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BKD behind the scenes: Schulabsentismus und die Rolle des Schulpsychologischen Dienstes

Wenn es an Schulen Probleme gibt, kommt oft der Schulpsychologische Dienst ins Spiel. Das ist auch bei Schulabsentismus der Fall. In dieser Episode von BKD behind the scenes blicken wir hinter die Kulissen des Schulpsychologischen Diensts und sein Vorgehen in Bezug auf Kinder und Jugendliche, welche der Schule über längere Zeit fernbleiben.

Weiterschlafen statt zur Schule gehen - ein Fall von Randstunden schwänzen. (Bild: Meruyert Gonullu / Pexels)
Weiterschlafen statt zur Schule gehen - ein Fall von Randstunden schwänzen. (Bild: Meruyert Gonullu / Pexels)

Hand aufs Herz: Haben Sie auch schon mal die Schule geschwänzt? Wahrscheinlich nicken Sie jetzt und vielleicht haben Sie auch ein kleines Grinsen im Gesicht. Denn Sie erinnern sich vielleicht an die geschwänzte Sportlektion oder dass Sie den Wecker einfach mal haben klingeln lassen und erst eine Stunde später zur Schule sind. 

Vier Typen von Schulabsentismus

Brigitte Schumacher ist Beauftragte Schulpsychologie bei der Luzerner Dienststelle für Volksschulbildung. (Bild: SKJP)
Brigitte Schumacher ist Beauftragte Schulpsychologie bei der Luzerner Dienststelle für Volksschulbildung. (Bild: SKJP)

Gesellschaftlich gesehen ist gelegentliches Schulschwänzen kein Problem – für manche gehört es gar zu einer Schulkarriere dazu, zwischendurch mal «zu cool für die Schule» gewesen zu sein. Pädagogisch gesehen ist Schwänzen jedoch ein Problem, weil Kinder und Jugendliche in der Schweiz eine gesetzliche Pflicht und auch das Recht haben, zur Schule zu gehen. Dennoch lassen Lernende Stunden ausfallen und Psychologen und Psychologinnen verwenden je nach Art des Fernbleibens verschiedene Begriffe für dasselbe Phänomen: Randstunden schwänzen, Intervallschwänzen oder Kurzzeitschwänzen. Dabei handelt es sich aber (meist) nicht um ein psychologisches Problem, denn die Kinder und Jugendlichen leiden nicht unter einer Angst in Bezug auf die Schule, sondern möchten einfach attraktiveren Beschäftigungen nachgehen. «Zum Problem wird der sogenannte Schulabsentismus dann, wenn es psychologische Gründe dafür gibt», sagt Brigitte Schumacher, Beauftragte Schulpsychologie bei der Luzerner Dienststelle für Volksschulbildung. «Das ist dann der Fall, wenn die Schule aus Schulangst oder Schulphobie nicht besucht wird oder auch weil das Kind der Schule ferngehalten wird» (vgl. Merkblatt Schulabsentismus der Dienststelle Volksschulbildung Luzern).

Meidet ein Kind aus Schulangst die Schule, ist da meist ein Problem: Beispielsweise wird es gemobbt, gehänselt oder es fühlt sich über- oder unterfordert. Bei der Schulphobie liegt der Grund für das Fernbleiben ausserhalb der Schule, in der Familie, beim Kind selbst. Bei jüngeren Kindern mag das Angst vor einer Trennung von den Eltern oder Geschwistern sein. Vielleicht macht sich das Kind aber auch Sorgen, dass es der Mutter oder dem Vater zuhause aus vielerlei Gründen nicht gut geht oder aber das Kind oder der Jugendliche leidet an anderen Ängsten oder Depressionen. Fernhalten ist, wenn Eltern ihr(e) Kinder willentlich vom Gang zur Schule abhalten. Beispielsweise, weil sie daheim Aufgaben übernehmen müssen. Früher sei diese Form von Schulabsentismus stärker verbreitet gewesen als heute, so Brigitte Schumacher. «Aber es kommt auch heute noch vor, deswegen darf man auch diese Form von Schulabsentismus nicht vergessen». 

 

Sobald der Schulabsentismus einen psychologischen Hintergrund hat – meist bei Schulphobie und Schulangst - kommt der Schulpsychologische Dienst ins Spiel - und das kam in den vergangenen Monaten immer häufiger vor.

Mehr Fälle von Schulabsentismus seit der Corona-Pandemie

Die Corona-Pandemie hatte im Kanton Luzern mehr Fälle von Schulabsentismus zur Folge. (Bild: Abou Yassin / Pixabay)
Die Corona-Pandemie hatte im Kanton Luzern mehr Fälle von Schulabsentismus zur Folge. (Bild: Abou Yassin / Pixabay)

Denn Fälle von längerer Schulabwesenheit häufen sich seit der Corona-Pandemie. So viel häufiger, dass die Schweizer Bildungsforscherin Prof. Dr. Margrit Stamm ihre Untersuchungen zu Schulabsentismus in der Schweiz, die sie in den Jahren 2008 und 2013 durchgeführt hat, 2022 nochmals aktualisiert hat. «Die Rückmeldungen von Schulen zeigen eindeutig, dass die Corona-Krise das Problem verschärft hat», schreibt sie in der aktualisierten Fassung.

 

Offizielle Zahlen zum Schule schwänzen hierzulande gibt es kaum. Die wohl einzige Erhebung dazu stammt aus dem Jahr 2007, welche Margrit Stamm, im Auftrag des Schweizerischen Nationalfonds SNF durchgeführt hat. In dieser Erhebung* kommt Margrit Stamm zum Schluss, dass «jeder zweite Schüler und jede zweite Schülerin (49 Prozent) während der Schullaufbahn ab und zu die Schule schwänzen». Diese Lernenden können demnach als «Gelegenheitsschwänzerinnen» bezeichnet werden. Dazu kommen 33 Prozent, welche relativ oft schwänzen, «fünf Prozent sind gar als massive Schulschwänzer zu bezeichnen», ordnet Margrit Stamm die Zahlen ein.

 

Auch im Kanton Luzern gibt es keine offiziellen Zahlen zum Schule schwänzen. Jedoch zeigen Rückmeldungen der Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, dass auch hier der Schulabsentismus seit der Corona-Pandemie zugenommen hat. Demnach wurden von August 2022 bis Juli 2023 im Kanton Luzern142 Fälle gezählt (aus Gründen des Datenschutzes werden diese Fälle nicht weiter ausgeführt). Früher waren es laut Brigitte Schumacher nur wenige Fälle pro Jahr. Warum dies zugenommen hat, darüber kann Brigitte Schumacher nur mutmassen: «Das hat wohl damit zu tun, dass zuhause bleiben während Corona eine Option war. Vorher war das ein Tabu», sagt sie. 

 

*Stichprobe von 28 repräsentativ ausgewählten Schulen aus neun Kantonen der deutschsprachigen Schweiz. Teilgenommen haben 3'942 Schülerinnen und Schüler der 7., 8. und 9. Klassen der Sekundarstufe sowie ihre Lehrpersonen. 

Lebenslange Folgen von Schulabsentismus

Die Schweizer Bildungsforscherin Prof. Dr. Margrit Stamm ist eine der wenigen in der Schweiz, die sich in ihren Forschungen mit Schulabsentismus auseinandergesetzt hat. (Bild: Iris Krebs)
Die Schweizer Bildungsforscherin Prof. Dr. Margrit Stamm hat sich in ihren Forschungen mit Schulabsentismus auseinandergesetzt. (Bild: Iris Krebs)

Bei Schulabsentismus und dessen Bekämpfung geht es nicht nur um die Einhaltung der elterlichen Sorge und gesetzlichen Pflicht, dass Kinder und Jugendliche zur Schule gehen müssen, sondern vor allem um die Vermeidung von – teilweise lebenslangen - Spätfolgen sowohl für die Betroffenen als auch für die Gesellschaft. So zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass ein Drittel aller chronischen Schulabsentisten und –absentistinnen im frühen Erwachsenenalter unter sozialen und/oder psychischen Störungen leiden. Laut Margrit Stamm haben «Absenzen und Verspätungen einen grossen Einfluss auf eine erfolgreiche Lehrstellensuche». Schulabsentismus kann darum auch zu einem erhöhten Risiko für Arbeitslosigkeit und in den schlimmsten Fällen auch zu Straffälligkeit oder Drogenmissbrauch führen. «Das heisst natürlich nicht, dass jedes Kind, das schulabsent war, delinquent oder arbeitslos wird. Forschungen zeigen aber, dass bei einer Gruppe von Delinquenten, viele davon Phasen von Schulabsentismus erlebt haben», erklärt die Schulpsychologin Brigitte Schumacher.

Die Zeit spielt bei Schulabsentismus eine grosse Rolle

Die Gefahr, dass ein Kind überhaupt zum Schulschwänzer oder zur Schulschwänzerin wird, lässt sich durch eine wohlwollende und positive Schulkultur sowie durch gutes Absenzenmanagement eindämmen. Bei einer unverbindlichen Absenzenregelung ist die Gefahr gross, dass eine längere Abwesenheit gar nicht auffällt. Fällt sie aber auf und es besteht die Gefahr von Schulabsentismus, ist Eile geboten. Denn die Zeit spielt bei der Lösungssuche eine wichtige Rolle: «Je länger eine Schülerin, ein Schüler der Schule fernbleibt, desto schwieriger wird der Wiedereinstieg in den Schulalltag», schreibt die Luzerner Dienststelle Volksschulbildung in ihrem Merkblatt zu Schulabsentismus. Dieses empfiehlt auch, dass die Lehrperson (Klassenlehrperson oder Lehrperson für integrative Förderung) zuerst mit dem betroffenen Kind oder Jugendlichen das Gespräch sucht. Hilft dies nicht, wird mit den Eltern oder Erziehungsberechtigten über Lösungsmöglichkeiten gesprochen. 

Schulpsychologischer Dienst leistet Detektivarbeit

Wenn diese Eskalationsstufen nicht zur einer Lösung, respektive zu einer stressfreien Rückkehr des Kindes zur Schule, führen, wendet sich die Schulleitung an den Schulpsychologischen Dienst SPD. Denn «DEN Schulschwänzer oder DIE Schulschwänzerin gibt es nicht. Schulschwänzen bricht auch nicht über Nacht aus. Häufig hat es eine lange Vor- und Nachgeschichte», fasst Margrit Stamm in ihrer Untersuchung zu Schulabsentismus zusammen. Darum geht es für den SPD – allenfalls in Zusammenarbeit mit weiteren Beteiligten - an die Ursachenforschung, an die «Detektivarbeit», wie es Brigitte Schumacher nennt.

 

Zuerst geht es darum herauszufinden, ob es sich um eine Schulangst (Problem liegt in der Schule) oder eine Schulphobie (Problem liegt zuhause/beim Kind) handelt. An Runden Tischen tauschen sich alle Beteiligten – von Lehrpersonen, Eltern, Schulleitung über spezielle Therapeuten aus. Allenfalls kommt auch der Kinderarzt oder die Kinderärztin zu den Treffen (bei psychosomatischen Problemen). Ganz wichtig: Das betroffene Kind oder die Jugendlichen werden altersentsprechend einbezogen. Ist der Grund für den Schulabsentismus klar, geht es darum, die Situation dahingehend zu verändern, dass das Kind wieder angstfrei zur Schule gehen kann. 

Kinder und Jugendliche sollen gerne und angstfrei zur Schule gehen können. (Bild: cottonbro studio / Pexels)
Kinder und Jugendliche sollen gerne und angstfrei zur Schule gehen können. (Bild: cottonbro studio / Pexels)

Problem und Teilprobleme

Blau: Erwartung Betroffener, was passieren könnte / Grün: kurzfristige emotionale Belohnung bei Vermeidung / Rot: Bei Konfrontation mit der Angst nimmt die Angst nach anfänglicher Steigerung ab. (Bild: DVS)
Blau: Erwartung Betroffener, was passieren könnte / Grün: kurzfristige emotionale Belohnung bei Vermeidung / Rot: Bei Konfrontation mit der Angst nimmt die Angst nach anfänglicher Steigerung ab. (Bild: DVS)

«Dafür muss das grosse Ziel ‘Ich gehe wieder in die Schule’ in Teilziele zerlegt werden», erklärt Brigitte Schumacher. Wichtig dabei ist, dass die Betroffenen viele kleine Erfolgserlebnisse haben. Denn bei Schulabsentismus geht es ja um Ängste, die überwunden werden müssen. Dabei ist «Schule schwänzen verführerisch. Denn kurzfristig wird man belohnt, wenn man es vermeidet sich seiner Angst zu stellen», so Schumacher weiter.  

 

Es geht also darum, dass der oder die Betroffene die Möglichkeit hat, sich der Angst zu stellen und diese durch die Erkenntnis, dass die Angst ausgehalten werden kann, zu überwinden. «Oft zeigen wir in Gesprächen deshalb die Angstkurve (siehe Abbildung) auf», erklärt Brigitte Schumacher den verhaltenstherapeutischen Ansatz einer Konfrontations-Therapie.

Gleichzeitig müssen die Hintergründe der Angst bearbeitet werden: Braucht das Kind Unterstützung, muss daheim etwas verändert werden oder liegt das Problem bei der Schule? Gerade in Bezug auf die Rolle der Schule in Sachen Schulabsentismus hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan: «Traditionell geht man davon aus, dass der Schüler oder die Schülerin und ihre Familie für das schulabsente Verhalten verantwortlich sind. Seit ein paar Jahren betont die Forschung jedoch auch die bedeutsame Rolle der Schule», fasst Margrit Stamm zusammen. Ist der Ansatzpunkt bekannt, sind individuelle Lösungen und deren Zerlegung in die Teilziele gefragt. 

Passende Lösung in Menge der Möglichkeiten finden

«Wird das Kind von den Eltern bis zur Klassenzimmertüre begleitet oder wird es von einem ‘Gpsändli’ abgeholt? Vielleicht bringt sogar die Schulsozialarbeiterin das Kind am ersten Tag zur Schule», erläutert Brigitte Schumacher Möglichkeiten, wenn das Kind ein Problem mit dem Schulweg hat. Geht es um eine Überforderung des Kindes in der Schule, ist auch eine vorübergehende Notenbefreiung möglich. «Ich erlebe die Schulen als kooperativ, lösungsorientiert und entgegenkommend», so Schumacher. Nicht zu vergessen ist bei allen Fällen die Rolle der Eltern. Halten Eltern ihr Kind von der Schule fern oder zeigen sie sich beim Prozess das Kind zurück zur Schule zu bringen, nicht kooperativ, kann die Schulleitung dies der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde melden. «Sind die Eltern bezüglich des Schulabsentismus aber nicht das Problem, muss ihnen vor allem der Rücken gestärkt werden. Sie müssen ja auch die Emotionen des Kindes aushalten», betont Schumacher. Sprich, sie müssen das Kind beispielsweise trotz psychosomatischen Symptomen zur Schule schicken. Um dies aushalten zu können, brauchen auch sie (psychologische) Unterstützung und das Wissen, dass sie ihrem Kind etwas Gutes tun. 

 

Wichtig ist , dass die Interventionen begleitet sind, einem Zeitplan folgen und die Verantwortung zwischen Schulleitung, Eltern und SPD verteilt ist. Was dabei nicht aus den Augen gelassen werden darf: «Rückfälle gehören zum Prozess und sind kein Grund aufzugeben», sagt Brigitte Schumacher. Wenn aber alle Beteiligten an einem Strang ziehen und dafür sorgen, dass die Betroffenen – in Teilzielen und Erfolgserlebnissen – nach und nach ihre Ängste auflösen können, ist eine angstfreie Rückkehr an die Schule und zur Normalität möglich. 



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Kommentare: 5
  • #1

    Regula Bucher (Mittwoch, 06 September 2023 09:13)

    Danke! Ich freue mich sehr über den Satz der Verantwortungsübernahme und Selbstreflexion:
    „Seit ein paar Jahren betont die Forschung jedoch auch die bedeutsame Rolle der Schule.“

    „Geht es um eine Überforderung des Kindes in der Schule, ist auch eine vorübergehende Notenbefreiung möglich.“
    Hier erscheint mir zentral, dass das Kind bei Notenbefreiung wirklich griffige Hilfe gemessen an seinem Bedarf erhalten würde. Das scheint mir häufig nicht der Fall zu sein. Die Verantwortung wird dann auf Kosten der beruflichen Chancen einseitig den Kinder aufgebürdet.

    Hier verstehe ich nicht, was Sie ausdrücken möchten:
    „«Sind die Eltern bezüglich des Schulabsentismus nicht das Problem, muss ihnen vor allem der Rücken gestärkt werden. Sie müssen ja auch die Emotionen des Kindes aushalten», betont Schumacher.“

  • #2

    BKD-Blog-Redaktion / Vera Bergen (Donnerstag, 07 September 2023 09:11)

    Liebe Frau Bucher
    Herzlichen Dank für Ihren Kommentar. Bezüglich der Rolle der Eltern habe ich den Text nun etwas angepasst:

    "Halten Eltern ihr Kind von der Schule fern oder zeigen sie sich beim Prozess das Kind zurück zur Schule zu bringen, nicht kooperativ, kann die Schulleitung dies der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde melden. «Sind die Eltern bezüglich des Schulabsentismus aber nicht das Problem, muss ihnen vor allem der Rücken gestärkt werden. Sie müssen ja auch die Emotionen des Kindes aushalten», betont Schumacher. Sprich, sie müssen das Kind beispielsweise trotz psychosomatischen Symptomen zur Schule schicken. Um dies aushalten zu können, brauchen auch sie (psychologische) Unterstützung und das Wissen, dass sie ihrem Kind etwas Gutes tun."

    Falls Sie weiterhin Fragen haben, können Sie sich gerne wieder bei uns melden.

    Freundliche Grüsse
    BKD-Blog-Redaktion / Vera Bergen

  • #3

    Regula Bucher (Freitag, 08 September 2023 17:36)

    Liebe Frau Bergen
    Ich danke Ihnen für die Präzisierung. Es freut mich, dass Sie meine Frage ernst nehmen. Dennoch stehen diese Ausführungen diametral meinem pädagogischen-psychologischen Wissen gegenüber:
    Sie schreiben, dass die Forschung die bedeutsame Rolle der Schule selbst bei Schulabsentismus erkannt hat. Es liegt auf der Hand, dass die Schule beim aktuell ausgeprägten Fachkräftemangel von bis zwei Drittel fehlendem ausgebildetem Personal im Bereich Heilpädagogik nicht ausreichend auf die Kinder eingehen kann. Die Lehrkräfte sind derzeit gemäss Medienberichten deswegen überfordert.
    In seinem Buch "Pubertät" im Kapitel "den Rücken stärken" empfiehlt Jesper Juul, dass Eltern die Kinder im Bezug auf die Schule ernst nehmen und ihrer Wahrnehmung vertrauen sollten. Er warnt davor, dass ein Vertrauensbruch langfristige Folgen haben kann.
    Auf welcher Forschung basiert Ihre Aussage, dass es gut ist, wenn die Eltern ihr leidendes Kind trotz möglicherweise unzureichender Beschulung in die Schule zwingen?
    Besten Dank und freundliche Grüsse

  • #4

    Blogredaktion / Vera Bergen (Donnerstag, 21 September 2023 13:14)

    Liebe Frau Bucher
    Ich habe bezüglich Ihrer Frage bei unserer Fachperson nachgefragt. Sie hält Folgendes abschliessend fest: Nein, ich kann mich nicht auf eine Studie beziehen. Es geht um das Thema zumuten und beistehen. Herausforderungen meistern. Im Beitrag wird ja deutlich, dass man dem Kind stark entgegenkommt mit massgeschneiderten Adaptionen für die Rückkehr zu Schule. Ängste überwinden braucht aber auch Konfrontation (Begriff kommt aus der Verhaltenstherapie), das wird mit der Angstkurve deutlich. Nur Schonen, Beschützen und Vermeiden sind nicht hilfreiches, entwicklungsförderndes Verhalten der Eltern. Wenn Eltern kein Vertrauen mehr in die Volksschule haben, müssen sie eine aus ihrer Sicht geeignete Privatschule suchen. Nicht in die Schule gehen, ist kein gangbarer Weg.

    Freundliche Grüsse
    Vera Bergen

  • #5

    Regula Bucher (Sonntag, 24 September 2023 21:24)

    Liebe Frau Bergen und Frau Schumacher

    Ich danke Ihnen beiden, dass auch Sie keine «Schulangst» zeigen und sich mit kritischen Fragen zu konfrontieren wagen.

    Sie ahnen es vielleicht. Befriedigend ist die Antwort für mich nicht: Wenn ich es richtig verstanden habe, mag bei Phobie die Konfrontation zum Angstabbau sinnvoll sein. Bei Angst muss jedoch ein massgeschneidertes Setting geschaffen werden. Aber wie bereits gefragt oben, ist für mich unklar, wie das bei mehr als 60% fehlenden HeilpädagogInnen oder langen Abklärungsverfahren möglich ist?

    Ängstliche Kinder und Jugendliche sollten heute m.E. nicht von ihren Eltern, die sich vor den Behörden fürchten, in die Schule gezwungen werden müssen. Durch das Ernstnehmen der Kinder und Jugendlichen konnten z.B. die Missstände der katholischen Kirche an den Tag kommen, es kann nun gehandelt werden und Weiterentwicklung wird möglich.

    Eltern wird von der Schule häufig als einziger Exit die Privatschule nahegelegt. Die Schule versucht so ihre Verantwortung in den privaten Bereich abzugeben. Aber auch da entsteht grosse Not. Weil es keine freie Schulwahl gibt, können die wenigsten Eltern das Geld für eine Privatschule aufbringen. Wie das Montoring «Privatschulbesuch» von Lustat zeigt, wird die Quote der PrivatschülerInnen zudem kantonal künstlich tief gehalten. Wegen den daraus resultierenden langen Wartelisten ist es häufig fast unmöglich, in nützlicher Frist eine adäquate Privatschule zu finden.

    Um Kinder, Jugendliche, Eltern, aber auch Lehrpersonen aus diesen Sackgassen zu befreien, bin ich sehr froh, dass die Schule die eigene Rolle grundlegend analysiert und reflektiert.

    Vielen Dank für den Artikel und Ihr Engagement.

    Freundliche Grüsse