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Trouvaille: Hans Erni - Illustrator eines Luzerner Schulbuchs

Text: Othmar Wüest

Bilder aus: Deutsche Sprachlehre, Luzerner Lehrmittelverlag 1931

Hans Erni, der bekannte Luzerner Künstler und Humanist, hat als junger Mann die Kunstgewerbeschule Luzern besucht. In diesen Jahren entstanden die Illustrationen für die "Deutsche Sprachlehre für die 2. bis 7. Klasse" aus dem Luzerner Lehrmittelverlag. Dieses bislang unbekannte Wirken freut auch die Hans Erni Stiftung.

Hans Erni wurde vom damals bekannten Luzerner Pädagogen, Dichter und Lehrmittelautor Josef Wüest angefragt, sein neustes Deutschbuch zu illustrieren. Wahrscheinlich erfolgte die Anfrage um 1927, als Hans Erni, gerade 18jährig, die Kunstgewerbeschule in Luzern besuchte (heute Fachklasse Grafik). Bereits vier Jahre später erfolgte die zweite Auflage des Lehrmittels, wovon es heute noch zwei Exemplare geben soll. 

Hans Erni Deutschbuch
Der Verfasser, Josef Wüest, widmete ein Exemplar seinem gleichnamigen Sohn, zusammen mit seinem Portrait, erstellt von Hans Erni. Unten rechts sind die verschlungenen Initialen HE (Hans Erni) zu lesen.
Hans Erni Deutschbuch
Titelseite des Schulbuchs - mit Hinweis auf den Illustrator Hans Erni

Sprachlehre mit Verkehrsregeln verbunden

Neben dem Erlernen der Regeln der Deutschen Sprache wurden mit dem Lehrmittel auch die Gepflogenheiten und Benimmregeln der damaligen Zeit aufgegriffen. Im 148seitigen Lehrmittel nehmen die Satzbildung und -zeichen einen besonders hohen Stellenwert ein. Der Verfasser verbindet dabei die Sprach- mit der Verkehrslehre, einem für die damalige Zeit neuen pädagogisch Ansatz. Visuell verdeutlicht werden die Verkehrsgefahren für die Schülerinnen und Schüler mit verschiedenen Illustrationen von Hans Erni.

Das Kapitel über die Satzzeichen beginnt mit den Regeln zu Interpunktion. Punkt, Komma, Fragezeichen und Ausrufzeichen werden mit den Regeln für Fussgänger veranschaulicht. Etwa so: «Merke dir, dass das Rechtsgehen, das Rechtsausweichen und das Linksüberholen erstes Erfordernis ist!»   

 

Beim älteren Herrn auf der Illustration könnte auch ein bekannter Luzerner als Vorlage gedient haben: er sieht dem 1924 verstorbenen Nobelpreisträger Carl Spitteler sehr ähnlich...

Hans Erni Sprachlehre
«Fussgängerregel Nr. 5» ist für die heutige Zeit unvorstellbar: Hast du die Fahrbahn betreten und ein Fahrzeug nicht beachtet, so warte ruhig mitten auf der Strasse, bis sie frei ist!
Hans Erni Sprachlehre
Etwas abenteuerlich mutet auch diese Regel an: «Das Aufspringen und das Anhängen ist sehr gefährlich, da man ausglitschen, fallen und überfahren werden könnte».

Eher unbekannte Handschrift von Hans Erni

Ernis Werke erstreckten sich über insgesamt mehr als sieben Jahrzehnte und umfassten eine breite Palette von Stilen, wozu auch die bisher unbekannten Illustrationen dieses Lehrmittels für die Luzerner Schulen gehörten. Die Zeichnungen in der «Deutschen Sprachlehre» tragen eine eher ungewohnte Handschrift von Erni und haben für die damalige Zeit als modern gegolten. Die Entstehungszeit des Lehrmittels war auch in jenen Jahre, in welchen Erni die abstrakte Kunst entdeckte, Pablo Picasso und Georges Braque traf, und sich von ihnen stark beeinflussen liess.

Mit Kunst zur Volksbildung beitragen

Heinz Stahlhut, Direktor des Hans Erni Museums in Luzern, würdigt das frühe Schaffen des Künstlers. «Noch im hohen Alter schrieb der Luzerner Künstler Hans Erni seiner Kunst nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine soziale Funktion zu. Auch die zwischen 1935 und 1945 entstandenen vier Schulwandbilder Hochdruckkraftwerk, Saline, Verkehrsflugzeug und Giesserei, in denen der Künstler Schülerinnen und Schülern die komplexen Vorgänge in der modernen Industriegesellschaft anschaulich macht, zeugen von seinem Streben, mit seiner Kunst zur Volksbildung beizutragen. »

Hans Erni Luzern Museum
Heinz Stahlhut, Direktor Hans Erni Museum

Stahlhut schätzt, dass die Illustrationen zur Sprachlehre des Luzerner Pädagogen Josef Wüest ein noch früheres Beispiel für dieses Interesse des Künstlers sind: «Die Illustrationen sind wohl Ende der 1920er-Jahre entstanden, als Erni sich nach dem Besuch der Luzerner Kunstgewerbeschule und ersten Aufenthalten in Paris und Berlin künstlerisch erst zu orientieren suchte und die verschiedenen aktuellen Stile wie Kubismus und Konstruktivismus erprobte, denen er in den Kunstmetropolen begegnet war.» Die Zeichnungen, so Stahlhut, zeugten von Ernis Faszination der Modernität und Klarheit der Neuen Sachlichkeit.

 

Sowohl von den Themen her – Leben in der verkehrsdurchfluteten Grossstadt oder neue pädagogische Ansätze wie die Waldschule – als auch stilistisch – die klare Linie und der harte Gegensatz von weissen und schwarzen Flächen – zeige sich Erni hier «dezidiert zeitgenössisch als Vertreter einer Kunstrichtung, die ein Auge hatte für die Chancen, aber auch die Probleme der modernen Gesellschaft», ergänzt der Erni-Experte Heinz Stahlhut.

Hans Erni Sprachschule
Verkehrsregel mit Lokalkolorit - Tramlinie Luzern-Maihof
Hans Erni Sprachlehre Luzern
Wortlehre mit neuem pädagogische Ansatz - die Waldschule.

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Artikel in der Luzerner Zeitung vom 6. März 2021: Altes Erni-Werk neu aufgetaucht
Hans Erni im BKD-Blog .pdf
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Kommentare: 1
  • #1

    Patrick Eberling (Sonntag, 07 März 2021 15:51)

    Was für ein wunderbarer, historischer Schatz, welcher da wiederentdeckt wurde! Viele der damaligen Regeln haben auch heute noch Gültigkeit. So gibt es für die Fussgänger auch heute noch den (eher unbekannten) Artikel 47 in der Verkehrsregelnverordnung VRV, dass bei dichtem Verkehr rechts auf dem Fussgängerstreifen gegangen werden muss. Auch die Ablenkung des Fussgängers durch das Handy erinnert stark an ein Bild von Hans Erni! Zu gerne möchte ich von seinen Bildern noch weitere sehen...