Text: Blog-Redaktion
Bilder: DBW, pixabay
Seit rund fünf Jahren verfügen die Berufsfachschulen über gute IT-Infrastrukturen und vor zwei Jahren wurde BYOD eingeführt. Dies hat die Corona-bedingte Umstellung auf den Fernunterricht sehr erleichtert. Im Interview schildert Daniel Preckel, Leiter Schulische Bildung bei der Dienststelle Berufs- und Weiterbildung DBW, die Erfahrungen im «unfreiwilligen» Pilotversuch mit digitalem Unterricht.
Wie sieht die erste Bilanz nach drei Wochen Fernunterricht an den Berufsfachschulen aus?
Daniel Preckel: Wir erleben gerade ein substanzielles und gewaltiges Praxisexperiment in Sachen digitalem Unterricht. Die Umstellung auf Fernunterricht hat funktioniert, und zwar auf sehr hohem Niveau. Ich finde es vor allem beeindruckend zu sehen, wie Lehrpersonen in dieser Zeit, in der es mehr Fragen als Antworten gibt und in der die Unsicherheit gross ist, engagiert und professionell den Fernunterricht entwickeln und die Ausbildung ihrer Lernenden gewährleisten. Das verdient grossen Respekt und Dank.
Ein Glück, dass man im Kanton Luzern schon länger auf die BYOD-Strategie gesetzt hat?
Tatsächlich ist in dieser Situation ein Vorteil, dass der Kanton Luzern bereits vor rund fünf Jahren die IT Infrastruktur an den Schulen geschaffen hat! Seit zwei Jahren ist BYOD eingeführt, wir haben in Weiterbildungen, in Kollaborationssoftware, in Supportstellen an den Maturitäts- und Berufsfachschulen investiert – und zwar nicht nur an einzelnen Schulen, sondern flächendeckend für alle. Das zahlt sich in dieser Krisensituation aus, wo man «übers Wochenende» auf Fernunterricht für rund 13'000 Lernende der Berufsbildung umstellen musste.
In welchen Bereichen erwischte Corona die Berufsschulen dennoch auf dem falschen Fuss – wo war man hingegen gewappnet?
Eine grosse Herausforderung ist das bevorstehende Qualifikationsverfahren (Lehrabschlussprüfung). Ebenso das Gestalten von validen Semesternoten. Wir sind noch nicht darauf vorbereitet, wirklich valide digitale Abschlussprüfungen und Lernkontrollen durchzuführen. Es gibt zwar vielversprechende Pilotversuche, doch noch fehlen uns überzeugende Plattformen für anspruchsvollere Prüfungen und auch die Erfahrung mit den digitalen Prüfungen auf Distanz. Wir haben ein Strategieprojekt lanciert, doch was die Prüfungen angeht, kam Covid-19 zwei Jahre zu früh.
Lernende nehmen die Umstellung gelassen
Wie kommunizieren die Lehrpersonen und Lehrlinge miteinander?
Die Kommunikation erfolgt vor allem über MS Office365-Applikationen (Teams, OneNote), gefolgt von Mails und Kommunikation via Smartphone. Die Lerninhalte werden via Livestreams und Lernplattformen vermittelt. Die Lernenden erhalten Zeitfenster und Aufgaben, in denen sie alleine oder in Teams arbeiten. Die Rückmeldungen und Fragen werden via Chat oder Videotelefonie ausgetauscht.
Wie kommen sie mit der Situation zurecht?
Die Lehrpersonen sind im Moment stark gefordert. Einerseits müssen sie unter Zeitdruck neue Lernmaterialien und -prozesse einsetzen. Zum anderen benötigt die Betreuung von Lernenden im Fernunterricht mehr Zeit als im Präsenzunterricht. Im Moment sind pragmatische Vorgehensweisen gefragt. Die Hilfsbereitschaft unter den Lehrpersonen ist sehr hoch. Digitale Lerneinheiten werden bereitwillig ausgetauscht oder miteinander entwickelt. An den Schulen spürt man in diesen Tagen grossen Teamgeist. Die Lernenden nehmen die Umstellung mehrheitlich gelassen. Am Anfang war die Verunsicherung gross, weil sich die Informationslage oft änderte. Auch gab es Unmut, wenn technisch etwas nicht klappte. Einige Lernende, die zu Hause arbeiten, differenzieren noch zu wenig zwischen Fernunterricht und einer privaten Chatgruppe. Sonst zeigen aber die Reaktionen, dass unsere Lernenden mit dem Fernunterricht gut klarkommen - sie den Präsenzunterricht aber auch vermissen.
Leistungsstarke Lernende im Vorteil
Wie steht es um die Chancengleichheit? Nicht alle Lehrlinge haben daheim wohl das gleich gute Lernumfeld?
Das ist schwer zu beurteilen, wir werden den Effekt von Covid-19 erst im Nachhinein feststellen und messen können. Der Fernunterricht hat das Potenzial, das kooperative Lernen zu fördern - Lernende können sich gegenseitig unterstützen, zusammenarbeiten, gemeinsam lernen, und auch der Lehrbetrieb kann digital in den Lernprozess eingebunden werden. Andererseits ist zu beobachten, dass die Ablenkung im Fernunterricht grösser ist. Und auch die Wohnverhältnisse haben einen Einfluss.
Generell lässt sich sagen, dass unter den Bedingungen des Fernunterrichts / selbstorganisierten Lernens leistungsstarke, leistungsorientierte Lernende klar im Vorteil sind. Das zeigen auch die Feedbacks unserer Lernenden in diesen Tagen: schwächere Lernende geben an, dass sich für sie das Setting distanziert anfühlt, die Lehrperson einem nicht nahe ist, man sich mehr erklären muss, die Kollegen je nach Problem nicht direkt helfen können. Die persönliche Beziehung, die direkte Begleitung fehlt also. Wir gehen deshalb davon aus, dass wir nach der Phase des Fernunterrichts bei schwächeren Lernenden bestimmte Lerninhalte und Kompetenzen nachträglich aufbauen müssen – durch Förderkurse, Stützkurse oder individuelle Lernbegleitung.
Wie sieht es mit den Abschlussprüfungen aus?
Zuverlässige, gültige Abschlussprüfungen lassen sich nicht in wenigen Wochen vom praktischen und schulischen Teil digitalisieren. Deshalb ist es richtig, dass die Verbundpartner im Moment das Qualifikationsverfahren QV ausgesetzt haben. Derzeit prüfen Experten auf nationaler Ebene, welche Umsetzungsvarianten unter den aktuellen Umständen am meisten Sinn machen. Ziel ist, einen einheitlichen Vollzug der Prüfungen zu ermöglichen: Im Sommer sollen alle Lernenden der Abschlussklassen ihren Lehrabschluss mit einem eidg. Fähigkeitszeugnis, Berufsattest, Berufsmaturitätszeugnis abschliessen können.
Welche Lehrmethoden könnte man nach auch nach «Corona» integrieren?
Die Forschung zeigt, dass es nicht «die» richtige Lernmethode gibt. Der Vorteil ist, dass wir jetzt in diesem gewaltigen Praxisexperiment wichtige Erfahrungen sammeln können. Das ist für unseren Bildungsbereich von unschätzbarem Wert. Entscheidend ist in der Bildung, dass die Lehrpersonen sich auf etwas Neues einlassen, und das tun sie ja jetzt. Denn die didaktischen «Innovationen» spielen sich im Kern ihrer Unterrichtseinheiten ab, z. B. durch eine andere Rhythmisierung, mehr selbstgesteuertes Lernen, mehr Kooperation zwischen Lernenden. Klar ist, dass Lernen in digitalen Räumen an Bedeutung gewinnen wird – in einem sinnvollen Mix zwischen analogen Orten und digitalen Formaten. Covid-19 wird die Digitalisierung der Bildung vorantreiben. Was aber bleibt, ist die Person, die diesen Mix gestaltet: Das ist die Lehrperson.
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