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70 Jahre Kantonsarchäologie Luzern: Rück- und Ausblick mit dem ehemaligen und dem aktuellen Kantonsarchäologen

Text: Ausgabe 2024/17 von Berichte! / Blogredaktion

Bilder: zVg / Kantonsarchäologie Luzern

70 Jahre sind aus archäologischer Sicht eine Kleinigkeit, aus Sicht einer kantonalen Institution hingegen ein Jubiläum wert. 1954 wurde die Kantonsarchäologie Luzern aus der Taufe gehoben – als zweite in der Deutschschweiz nach dem Aargau. 35 dieser 70 Jahre hat Jürg Manser - zuerst als Mitarbeitender, danach während 22 Jahren als Kantonsarchäologe - mitgeprägt. Im vergangenen Herbst ging er in Pension und gab sein Amt an Christian Auf der Maur weiter. Ein Gespräch zum Jubiläum zwischen dem ehemaligen und dem neuen Luzerner Kantonsarchäologen über unerwartete Fundstellen, Finanzen und Folgen der Erderwärmung.


Für eilige Leserinnen und Leser: 

  • Die Kantonsarchäologie Luzern wurde 1954 als zweite Einrichtung ihrer Art in der Deutschschweiz gegründet. Sie begann als Einpersonenbetrieb unter Josef Speck. 2024 feiert sie ihr 70-Jahr-Jubiläum.
  • 1960 wurde ein kantonales Gesetz zum Schutz der Kulturdenkmäler eingeführt, das die rechtliche Grundlage für die archäologische Arbeit im Kanton Luzern bildet.
  • Ab 1985 wurde unter dem damaligen Kantonsarchäologen Jakob Bill der Einsatzbetrieb deutlich ausgebaut, was der Kantonsarchäologie ermöglichte, grössere Projekte wie die Grabungen in Sursee durchzuführen.
  • Unter der Leitung von Jürg Manser ab 2001 wurde die Kantonsarchäologie modernisiert, besonders durch die Digitalisierung des Fundstelleninventars und die Verlagerung in ein zentrales Büro.
  • Seit Herbst 2023 leitet Christian Auf der Maur die Kantonsarchäologie, welche vor neuen Herausforderungen steht. Wichtig sind unter anderem, wie Fundstellen vor dem Klimawandel geschützt werden können und die Frage, wie es beim geplanten Durchgangsbahnhof Luzern weitergeht. 

Jürg Manser (links) ging Ende Oktober 2023 in Pension. Dr. Christian Auf der Maur führt die Luzerner Kantonsarchäologie seit dem 1. November 2023.
Jürg Manser (links) ging Ende Oktober 2023 in Pension. Dr. Christian Auf der Maur führt die Luzerner Kantonsarchäologie seit dem 1. November 2023.

Jürg Manser, welchen Rat gaben Sie Christian Auf der Maur für seinen Job als Kantonsarchäologe mit auf den Weg?

Jürg Manser (JM): «Heb sorg zom Team». Nur in einem Umfeld, in dem man sich wohl fühlt, sind gute Leistungen möglich. Die Teampflege ist deshalb sehr wichtig.

 

Christian Auf der Maur, welche Tipps haben Sie sich bei Jürg Manser abgeholt?

Christian Auf der Maur (CA): Ein wichtiger lautete: Lockerbleiben, lass die neue Aufgabe einfach mal auf dich zukommen. Auch der Teamgedanke ist für mich zentral. Ich kann sagen, ich durfte ein gut funktionierendes Team übernehmen. Pflegen möchte ich ebenfalls die Kontakte gegen aussen, insbesondere zu den weiteren Kantonsarchäologinnen und -archäologen, aber auch zu anderen Institutionen.

Jürg Manser, Sie waren bis im Oktober 2023 während mehr als drei Jahrzehnten für die Kantonsarchäologie Luzern tätig, davon 22 Jahre als Chef. Welches waren Ihre Meilensteine?

JM: Die Professionalisierung ist sicher ein wichtiger Aspekt in diesen vielen Jahren. Erst ab 1985 begann unter meinem Vorgänger Jakob Bill der Aufbau des Teams. Diesen Aufbauprozess habe ich begleitet und ab 2001 weitergeführt. Es ging darum, das fachliche Niveau aufzubauen und zu sichern. Ich denke, das ist mir gelungen. Ein Meilenstein war zudem die Digitalisierung des Fundstelleninventars. Dazu haben wir mehrere Tausend Einträge kritisch überprüft.

 

Bei den Grabungen auf dem Hofstetterfeld wurde unter anderem ein gut erhaltenes Grab aus der späten Eisenzeit (Latènezeit) gefunden. (Bild: W. Clements / Kantonsarchäologie Luzern)
Bei den Grabungen auf dem Hofstetterfeld wurde unter anderem ein gut erhaltenes Grab einer Keltin aus der späten Eisenzeit (Latènezeit) gefunden. (Bild: W. Clements / Kantonsarchäologie Luzern)

Besonders gefreut habe ich mich über die Funde beim Hofstetterfeld in Sursee. Vor rund 15 Jahren habe ich in der Zeitung gelesen, dass in der Nähe der Autobahn eine etappierte Grossüberbauung geplant ist. Ich habe mich eingeschaltet. Es war ein Volltreffer. Dabei war das Gebiet gar nicht als Fundstelle eingetragen. Da haben mein archäologisches Gespür und meine Erfahrung mitgeholfen. Die Ausgrabungen auf einer Fläche von insgesamt 13 Hektaren erfolgten in Begleitung des Bauprojekts, etappiert zwischen 2011 und 2014. Es hat sich gelohnt, wir haben epochenübergreifend reiche Befunde gemacht. Das Hofstetterfeld hat unsere Kenntnisse enorm vorwärtsgebracht.

Eine Errungenschaft unter Ihrer Ägide sind die Vermittlungsangebote, zu denen auch der 2004 gegründete Archäologische Verein Luzern zählt. Warum haben Sie dies zunehmend ins Zentrum gestellt?

JM: Als ich angefangen habe, war der Ruf der Archäologie nicht der beste. Uns fehlten zuverlässige Instrumente. Damals gab es viel mehr Konfliktfelder. Wir waren zu spät auf Platz und es kam zu Baustopps. Man sah uns nicht gerne. Das ist heute anders. Ich fand irgendwann, wir müssen die Bevölkerung überzeugen, dass die Arbeit der Archäologie wichtig ist und man die Geschichte, die in unserem Boden liegt, nicht einfach zerstört. Doch das wird sie, wenn gebaut wird. Wenn die Bevölkerung dafür sensibilisiert ist, wird es irgendwann auch die Politik erreichen, war meine Überlegung. Die Kantonsarchäologie muss genügend Mittel erhalten, um ihre Aufgabe mit Würde erfüllen zu können. Wir bereichern die Geschichte des Kantons Luzern. 

Während Jürg Mansers Zeit bei der Kantonsarchäologie Luzern wurden mit den Kulturabenteuern im Seetal und in Luzern mehrere Vermittlungsangebote ins Leben gerufen. (Bilder: Kulturabenteuer)
Während Jürg Mansers Zeit bei der Kantonsarchäologie Luzern wurden mit den Kulturabenteuern im Seetal und in Luzern mehrere Vermittlungsangebote ins Leben gerufen. (Bilder: Kulturabenteuer)

Christian Auf der Maur, Sie sind gebürtiger Krienser, wohnen in der Stadt Luzern und kennen das Gebiet rund um den Sempachersee ebenfalls sehr gut, Sie haben dort zu frühmittelalterlichen Siedlungen und Kirchen doktoriert. Warum?

CA: Ich habe in Lausanne provinzial-römische Archäologie studiert. Über diese Zeit wurde bereits viel geforscht. Mich interessierte zunehmend, wie es nach dem Zusammenbruch des römischen Reichs weiterging, als neue Kulturen in unser Gebiet zogen. Darüber weiss man eher wenig. Das frühe Mittelalter fasziniert mich deshalb. Ich hatte das Glück, 2005 auf der Grabung Mülihof in Sursee mitarbeiten zu dürfen, einer Siedlung aus dem 6. und 7. Jahrhundert. So bin ich in Kontakt zur Kantonsarchäologie Luzern und Jürg Manser gekommen.

Entstanden ist daraus ein Projekt zur Auswertung der Funde im Rahmen einer Dissertation an der Uni Zürich von 2011 bis 2014. Die Ergebnisse sind dann 2016 in den Archäologischen Schriften Luzern erschienen.

Sie sind beruflich breit aufgestellt: Sie haben Erfahrung bei Kantonsarchäologien gesammelt, waren Taucher bei der Unterwasserarchäologie Zürich und haben zuletzt für ProSpect gearbeitet, einer privaten Firma für Dienstleistungen im Bereich Archäologie und Bauforschung.Welche Schwerpunkte wollen Sie als Luzerner Kantonsarchäologe setzen?

CA: Einerseits ist unsere Grundlage der gesetzliche Auftrag, er gibt vor, was wir zu tun haben. Andererseits möchte ich Schwerpunkte setzen bei der Digitalisierung, etwa mit effizienten und umfassenden Dokumentationsmethoden, um Funde vor Ort aufnehmen zu können. Auch die Langzeitarchivierung der Daten wird uns beschäftigen. Die Wissensvermittlung, mit der Jürg ein starkes Fundament hinterlässt, ist für mich Aufklärungsarbeit, an der man konstant dranbleiben muss. Wir müssen zeigen, wie Archäologie funktioniert und was ihr Sinn und Zweck ist.

Jürg Manser (links) und Christian auf der Maur fachsimpeln über die Archäologie und deren künftige Herausforderungen.
Jürg Manser (links) und Christian auf der Maur fachsimpeln über die Archäologie und deren künftige Herausforderungen.

Welches sind künftige Herausforderungen, die auf die Archäologie zukommen?

CA: Wie bereits angesprochen muss man der Bevölkerung die Sinnhaftigkeit der Archäologie aufzeigen. Die archäologisch begleiteten Bodeneingriffe sind wichtig, um die Vergangenheit zu erklären. Zudem herrscht aktuell ein Wohnungsmangel, das heisst es werden wohl mehr Bauprojekte auf uns zukommen – und zwar immer grössere, ganze Quartiere, die aus dem Boden gestampft werden.

 

JM: Eine Herausforderung für die Kantonsarchäologie ist zudem das geplante neue Museum in Luzern. Es ist wichtig, dass dort auch die Archäologie vertreten ist und bei der Museumsgestaltung mitwirken kann.

 

CA: Ein weiteres Thema ist der Klimawandel. Feuchtbodensiedlungen etwa brauchen eine stabile Umgebung. Weil der oberflächennahe Grundwasserspiegel instabiler wird, sind sie bedroht, so auf der Halbinsel Zellmoos bei Sursee, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Diese Siedlungen im Boden

zu schützen, wird eine Herausforderung.


Eine weitere Herausforderung wird der Bau des geplanten Durchgangsbahnhofs in Luzern. Bei Probebohrungen im Seebecken fand man Spuren von neolithischen sowie bronzezeitlichen Siedlungen. Umfangreiche Rettungsgrabungen werden notwendig. Wie sieht der Zeitplan aus?

CA: Die SBB gehen von einem Baustart des Durchgangsbahnhofs frühestens anfangs der 2030er-Jahre aus. Wichtig ist, die archäologischen Arbeiten im Einklang mit dem Bauprogramm durchzuführen, damit es zu keinen Verzögerungen kommt. Wir sind auf dem Weg, es gibt aber noch viele Faktoren zu klären, nicht zuletzt die Finanzierung. Die archäologischen Arbeiten müssen wir unter Wasser ausführen. Das gab es in der Schweiz in diesem Umfang noch nie und wird eine grosse Herausforderung. Es braucht eine vorgezogene Teilgrabung, um die passende Grabungsmethode und den genauen Umfang der Grabung definieren zu können (vgl. FAQ's Archäologie und Durchgangsbahnhof).

Dieses Interview ist eine Kurzfassung. Das gesamte Gespräch finden Sie in der Ausgabe 2024/17 von Berichte! 


70 Jahre Kantonsarchäologie Luzern

Ein Grund zum Feiern! Deshalb lädt die Kantonsarchäologie die Bevölkerung herzlich zum Tag der offenen Tür an ihren Standort ein. Merken Sie sich bereits den Sonntag, 10. November 2024 vor – genaue Programmangaben folgen. 

Sieben Jahrzehnte zusammengefasst

1954... Die Kantonsarchäologie Luzern startet als Einpersonenbetrieb. Trotz seines überschaubaren 50%-Pensums hat der erste Kantonsarchäologe Josef Speck während seiner Amtszeit Beachtliches erreicht. Als wichtiges Beispiel sei die Inkraftsetzung des kantonalen Gesetzes über den Schutz der Kulturdenkmäler im Jahre 1960 genannt. 


 ... 1985 ... Eine neue Zeit wurde eingeläutet, als es dem nachfolgenden Kantonsarchäologen Jakob Bill zwischen 1985 und 2001 gelang, einen handlungsfähigen Einsatzbetrieb aufzubauen. Dies gab der Kantonsarchäologie Luzern den nötigen Schub, um ihre Kernaufgabe zu stemmen: die Dokumentation archäologischer Fundstätten, auch bei aufwendigen Projekten wie der Grossgrabung in der römischen Kleinstadt bei der Käppelimatt in Sursee.

... 2001 ... Mit dem nächsten Leitungswechsel zu Jürg Manser im Jahr 2001 sollte der Betrieb weiter professionalisiert werden. Kaum drei Jahre später fand der Zusammenzug der über die Stadt und Agglomeration verteilten Büros und Depots in der ehemaligen Kleiderfabrik Schild AG am Libellenrain 15 statt. Die kantonale Steuerstrategie und die damit verbundenen finanziellen Auswirkungen in den 2000er-Jahren trafen auch die Kantonsarchäologie. Budgeteinsparungen zwangen zu einer Priorisierung von Untersuchungen innerhalb der von Bauprojekten betroffenen Fundstellen, was zu undokumentierten Verlusten an unserem Kulturerbe führte. Gleichzeitig beschritt die Kantonsarchäologie unter Wahrung ihrer Kernaufgabe den vielversprechenden Weg der Vermittlung, indem sie ihre Erkenntnisse und die Freude an der Geschichte an die Bevölkerung weitergab. Daraus entstanden mit Hilfe von Partnerschaften u.a. die Pfahlbausiedlung Wauwil und die Kulturabenteuer Seetal und Luzern, welche bei Gross und Klein sehr beliebt sind.

... 2024 ... Im vergangenen Jahr gelangte die Leitung in neue Hände. Nichts änderte sich hinsichtlich des wichtigsten Ziels der Kantonsarchäologie: dem Schutz des archäologischen Kulturerbes bzw. der Dokumentation boden- und bauarchäologischer Fundstätten im Rahmen von bewilligten Bauprojekten. Daneben gilt es ein breites Aufgabenfeld abzudecken, so die laufende Aktualisierung des Fundstelleninventars, die Konservierung und Archivierung der Fundstücke, die Vermittlung und Beratung, die Betreuung archäologischer Ausstellungen oder die Beteiligung an Stellungnahmen zu gemeindeeigenen, kantonalen oder bundeseigenen Vernehmlassungsverfahren, um nur einige zu nennen.


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