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Von der Kanti Seetal nach Mexiko: Auslandschweizerin auf Zeit

Text: Vera Bergen / Bilder aus Mexiko: Anna Bregenzer

Wenn es um einen Sprachaufenthalt geht, führen viele Wege ins Ausland. Schweizer Schülerinnen und Schüler können sich entweder an die nationale Austauschagentur «movetia» oder an eine private Austausch-Organisationen wenden. Die dritte Variante führt über offene Schulen und engagierte Lehrpersonen. Eine davon ist Nicole Wildisen, Spanischlehrerin an der Kantonsschule Seetal. Dank ihr konnten schon viele Schüler und Schülerinnen in Mexiko oder Chile Auslandschweizer oder Auslandschweizerin auf Zeit sein. Anna Bregenzer hat die Chance gepackt und reiste nach Mexiko.

Nicole Wildisen ist «profesora de español con alma y corazón» - Spanischlehrerin mit Leib und Seele. Das merkt man einerseits an ihrem Spanisch-Unterricht an der Kantonsschule Seetal, andererseits reicht auch ein Telefongespräch mit ihr. Nebst dem Schulalltag setzt sie sich auf freiwilliger Basis dafür ein, dass ihre Schülerinnen und Schüler im Schwerpunktfach Spanisch an der Kanti Seetal die Möglichkeit erhalten, einen Sprach-Austausch zu machen. 

Privater Einsatz für eine Herzensangelegenheit

Porträt der Spanischlehrerin Nicole Wildisen.
Nicole Wildisen ist seit 1996 an der Kantonsschule Seetal tätig. (Quelle: Nicole Wildisen)

Seit über 15 Jahren erhalten dank ihr zwei bis vier Schülerinnen und Schüler des Schwerpunktfachs Spanisch jährlich die Chance, für bis zu vier Monate nach Mexiko oder Chile zu reisen. Sie leben dort in einer Gastfamilie, besuchen die Schweizerschule vor Ort und lernen Land und Leute kennen. Vorher nehmen die Schweizer Familien im Gegenzug die jeweiligen Gastbrüder oder Gastschwestern für drei Monate bei sich auf. Finanziert wird ein solcher Austausch von den Eltern. «Die Familie bezahlt den Flug und die Auslagen während des Aufenthalts vor Ort, Vermittlungs- oder Schulgebühren gibt es nicht», sagt Nicole Wildisen. Was sie nicht erwähnt: Die Auslandaufenthalte sind auch dank ihrem Einsatz und ihrer Vernetzung mit den Schweizerschulen in Mexiko und Chile möglich.  

Standort Cuernavaca der Schweizerschule Mexiko. Roter Backsteinbau inmitten des Wohngebiets von Cuernavaca.
Die Schweizerschule Mexiko ist mit mit über 1'400 Schülerinnen und Schülern, 170 Lehrpersonen und drei Standorten (Mexiko-Stadt, Cuernavaca, Querétaro) die grösste Schweizerschule weltweit. Im Bild ist der Standort Cuernavaca zu sehen. (Quelle: CSM)
Google Maps Karte von Mexiko mit Mexiko-Stadt, Veracruz, Cuernavaca, Puebla und anderen Städten.
Cuernavaca ist die Hauptstadt des Bundesstaates Morelos und liegt südlich von Mexiko-Stadt. (Quelle: Google Maps)

Nicole Wildisen und jeweils eine Person der Schweizerschulen setzen sich dafür ein, dass alles reibungslos läuft und dass die Jugendlichen eine passende Gastfamilie finden. Dabei wird Nicole Wildisen von der Schulleitung der Kantonsschule Seetal unterstützt. «Mein Aufwand ist nicht sehr gross», sagt sie. «Das könnte auch jemand anderes übernehmen». Fragt man ihre Schülerinnen und Schüler klingt es anders: «Ich bin sehr dankbar, dass Frau Wildisen diesen Austausch ermöglicht und uns ermutigt ins Ausland zu reisen», sagt zum Beispiel Anna Bregenzer, die mit Nicole Wildisens Unterstützung im mexikanischen Cuernavaca, südlich von Mexiko-Stadt, war. «Damit erhalten wir die Gelegenheit, eine komplett andere Kultur kennenzulernen. Ausserdem hatte ich schon nach einem Jahr Spanisch-Unterricht eine gute sprachliche Grundlage und konnte mich schnell verständigen», fügt sie an.

Über WhatsApp und FaceTime ins «real life»

Schwarz-weiss Foto von Anna Bregenzer unterwegs im Zug.
In Mexiko konnte Anna Bregenzer ihre Spanischkenntnisse für ihr Schwerpunktfach verbessern.

Anna Bregenzer lebte im Sommer 2022 während drei Monaten bei ihrem Gastbruder Hugo Velázquez und seiner Mutter Guadalupe. Dafür musste sie eine Art Bewerbung schreiben. «Ich füllte ein Formular über mich und über meine Erwartungen an den Austausch aus», sagt die fast 17-Jährige. Gibt es einen passenden «Match» in Mexiko oder Chile werden die beiden Jugendlichen und deren Familien von der Schweizerschule in Verbindung gesetzt. «Der erste Kontakt fand über WhatsApp statt, danach über Videoanrufe», erklärt Anna Bregenzer. Der wirkliche Austausch beginnt dann mit der Anreise des Gastbruders oder der Gastschwester. Die mexikanischen und chilenischen Schülerinnen und Schüler machen jeweils den Anfang. Sie reisen bereits im Frühling in die Schweiz und nehmen während mehrerer Monate am Unterricht an der Kantonsschule Seetal teil. Damit dieser «intercambio» gelingt, sind die Gastlernenden auf die Unterstützung der Lehrpersonen und die Klasse vor Ort angewiesen.

Ein wohltuender Aussenblick

Zusammenkunft in Mexiko - Freunde und Familie treffen sich und essen.
Die Offenheit der Mexikaner und Mexikanerinnen durfte Anna Bregenzer u.a. an den sogenannten Reunión - Versammlungen von Freunden und Familie - erleben.

Hugo wurde nicht nur an der Schule sondern auch in Annas Familie herzlich willkommen geheissen. Er entwickelte sich schnell zu einer Art «Bruder» für Anna und ihre Schwester. Auch ihre Eltern sind vom Austauschschüler begeistert und die ganze Familie versucht, ihm die Schweiz und deren Kultur näher zu bringen. Hugo erwähnt in dieser Zeit häufig, wie schön und sauber er die Schweiz finde, wie gut das Zmittag in der Mensa sei und dass wir dankbar sein sollten, immer warmes Essen zu erhalten. «Dadurch haben auch wir realisiert, wie schön wir es hier in der Schweiz haben», fasst Anna ihre Erkenntnisse zum Austausch zusammen. Hugo schwärmt aber nicht nur für die Schweiz, er weist Anna auch auf die eher zurückhaltende Mentalität der Schweizerinnen und Schweizer hin. Er hatte grosse Schwierigkeiten, hier Kontakte zu knüpfen. «Ich glaube, uns beiden war vorher gar nicht bewusst, dass es zwischen den Kulturen wirklich so grosse Unterschiede gibt», sagt Anna Bregenzer stellvertretend für ihren Gastbruder. Spätestens nach ihrem Aufenthalt in Mexiko versteht Anna auch, was Hugo mit der fehlenden Offenheit meinte. «Es gab kaum jemanden, der sich nicht für mich und meine Kultur interessierte. Die Offenheit der Mexikanerinnen und Mexikaner werde ich nie vergessen», erinnert sie sich. 

Kulturschock - da und dort

Mexiko Stadt mit Hochhäusern und viel Verkehr bei bewölktem Himmel.
Ein erstes Foto bei der Ankunft in Mexiko-Stadt und der erste Kulturschock obendrauf. (Bild: Anna Bregenzer)

Was Anna aber auch nie mehr vergessen wird, ist die mangelnde Sicherheit in Mexiko. Das sei ein ziemlicher Kulturschock gewesen. «Nach der Begrüssung der Gastfamilien mussten ich und die anderen Austauschschülerinnen auf die Toilette. Wir sagten unseren Gasteltern Bescheid und verschwanden. Plötzlich rannte uns eine Gastmutter hinterher und erklärte uns, dass wir in Mexiko niemals alleine auf die Toilette oder an irgendeinen anderen Ort gehen dürften». Denn in Mexiko sind Gewaltdelikte an der Tagesordnung. Schiessereien zwischen Drogenbanden, Morde, sexuelle Übergriffe, Raubüberfälle und Entführungen sind weit verbreitet. Cuernavaca, die Hauptstadt des Bundestaats Morelos und für drei Monate das Zuhause von Anna, gilt zwar als einigermassen sicher. Aber auch dort steht mitten in der Stadt eine Tafel, auf der täglich Dutzende Menschen als vermisst gemeldet werden. «Diese geht mir nicht mehr aus dem Kopf», sagt Anna. Kein Wunder also, dass sie auch in einem vergleichsweise sicheren Bundestaat während ihres gesamten Aufenthalts immer in Begleitung von Erwachsenen war, dass ihre Schule eingezäunt und von Polizisten bewacht wurde. Zum Glück mussten Anna Bregenzer und die anderen Schweizer Austauschschülerinnen und -schüler während ihrer Zeit in Cuernavaca keine schlechten Erfahrungen machen. Im Gegenteil.

Über sich hinauswachsen

Aussicht auf den Vulkan Popocatepetl in Mexiko mit wunderbarem Sonnenuntergang in orange und gelb Tönen.
Vom Seetal nach Mexiko mit der Aussicht auf den Vulkan Popocatepetl und mit vollem Rucksack an Erfahrungen zurück.

Die jungen Seetalerinnen sind ausgezogen, um eine fremde Sprache zu lernen und merken spätestens bei ihrer Rückkehr, dass sie persönlich noch viel mehr profitiert haben. So ist auch Anna selbstständiger geworden. Sie hat gelernt Probleme selbst zu lösen und sich in einer fremden Kultur zu orientieren. Auch ihr Blick auf die Schweiz hat sich verändert: «Ich finde, ein Land ist nicht immer nur reich durch Geld. Es sind die Menschen und deren Freundlichkeit, Offenheit und Stolz auf ihre Kultur, die es ausmachen», resümiert sie. Rückblickend ist sich Anna sicher, dass ihr der Austausch menschlich mehr gebracht hat als schulisch. Kulturelle Bereicherung, nennt dies Annas Lehrerin, Nicole Wildisen. Und diese Bereicherung ist es dann auch, die nicht nur die Austauschschülerinnen und -schüler weiterbringt, sondern von der auch die Schulen und Gastfamilien profitieren.

 


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