Text: Andreas Tunger-Zanetti
Der Fastenmonat Ramadan kann unter Umständen für den Schulalltag eine Herausforderung sein - zum Beispiel wegen müder und unkonzentrierter Schüler. Ein neuer Leitfaden der Universität Luzern bietet Unterstützung und Lösungsansätze.
Der 24. April 2020 ist noch weit weg. Und wenn Sie an einer Luzerner Schule unterrichten, geniessen Sie dann hoffentlich noch die wohlverdienten Frühlingsferien. Mit der Schule geht es ja erst drei Tage später wieder los.
Warum aber könnte es sinnvoll sein, sich den 24. April 2020 trotzdem in der Agenda zu markieren, vor allem, wenn unter Ihren Schülerinnen und Schülern auch solche aus muslimischen Familien sind?
Richtig, an diesem Datum beginnt der Ramadan, der Monat, in dem Musliminnen und Muslime ab der Pubertät von der religiösen Tradition gehalten sind, zwischen Morgengrauen und Sonnenuntergang nicht zu essen und zu trinken. Fastende Schülerinnen und Schüler sind oft nicht gleich leistungsfähig wie sonst, allenfalls unkonzentriert oder zu erschöpft für den Sportunterricht.
Ramadan kommt immer so plötzlich. Islam, Schule und Gesellschaft. Ein Leitfaden mit Hinweisen und Ideen für die berufliche Praxis.
von Andreas Tunger-Zanetti, Jürgen Endres, Silvia Martens und Nicole Wagner, Luzern: Universität Luzern, Zentrum Religionsforschung, Mai 2019, 92 Seiten.
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Unser Team am Zentrum Religionsforschung der Universität Luzern hat von Herbst 2017 bis Anfang 2019 gegen dreissig Workshops mit Lehrpersonen, aber auch Mitarbeitenden der Schulsozialarbeit, der schulpsychologischen Dienste, der Berufsberatung, der Jugend- wie der Integrationsarbeit abgehalten und viele Dutzend Praxisfälle diskutiert. Nicht nur solche rund um den Ramadan. Oft ging es auch um Geschlechterrollen, um Berufswahl oder Lehrstellensuche mit Kopftuch, um den Handschlag, ums Schwimmen oder auch mal um die Scheu mancher muslimischer Schülerinnen und Schüler, auf einer Exkursion eine Kirche zu betreten.
Bei den Diskussionen in den Workshops haben wir stets auch zwei muslimische junge Erwachsene eingeladen, eine Frau und einen Mann. Wie hatten sie selber ähnliche Situationen in ihrer Schulzeit oder bei der Berufswahl erlebt und für sich bewältigt? Wie sehen sie den vorgetragenen Fall? Was empfehlen sie? Zusätzlich zu diesen muslimischen Perspektiven kamen die ebenfalls meist vielfältigen Perspektiven der vertretenen Praktikerinnen und Praktiker sowie diejenigen des Kursteams mit seiner religions- und islamwissenschaftlichen Expertise.
Von Beginn der Workshops an sagten wir uns, all dies verdiene es, für breitere Kreise aufbereitet zu werden: die guten Ideen ebenso wie die Berichte von dem, was nicht gut funktioniert hat. So entstand der Praxisleitfaden, den wir kürzlich veröffentlichen konnten: «Ramadan kommt immer so plötzlich». Kurz bevor der Ramadan in diesem Jahr begann, war die elektronische Version online und ist weiterhin gratis für den Download verfügbar. Kurz, bevor er am 4. Juni mit dem Fest des Fastenbrechens endete, lag er dann auch gedruckt vor und wird nun über das Zentrum Religionsforschung verkauft.
Hilfreiches Wissen zu kulturellen Hintergründen
Ob die Broschüre auf 92 Seiten alle Probleme löst? Wohl kaum. Checklisten, die Sie im Blindflug zur passenden Lösung führen, werden Sie darin vergebens suchen, denn jeder Fall liegt wieder etwas anders. Der Leitfaden kann aber hoffentlich anhand der diskutierten tatsächlichen Fälle den Blick dafür schärfen, wo Probleme und Missverständnisse ihren Ursprung haben, wo Spielräume für Lösungen liegen könnten und wo eher nicht. Auch mag für manchen die eine oder andere Fachinformation über Islamisches oder über bestimmte kulturelle Hintergründe hilfreich sein. Im Übrigen müssen weiterhin Berufs- und Lebenserfahrung sowie gesunder Menschenverstand das Ihre beitragen.
Wenn dieses Zusammenspiel der Kompetenzen gelingt, muss unerwartetes oder irritierendes Verhalten eine Lehrperson nicht mehr aus der Ruhe bringen. Stattdessen kann sie das Problem eingrenzen: Geht es im konkreten Fall wirklich um Religion oder eher um Kultur? Oder liegt einfach die religiös gefärbte Variante einer schwierigen familiären Konstellation am Beginn des Falls? Brauchen Menschen, die als Flüchtlinge erst seit kurzem in der Schweiz sind, womöglich einfach etwas mehr Zeit, um mit dieser anderen Kultur zurechtzukommen? Und kennen wir das, was als ‹islamisch› gilt, nicht auch aus christlichen Kontexten in Vergangenheit und Gegenwart?
Wenn also nach den Frühlingsferien 2020 der Unterricht etwas gar zäh verläuft, weil gerade die ersten besonders anstrengenden Ramadantage vorbei sind, will Ihnen der Leitfaden helfen, die Ruhe zu bewahren. Sie wissen dann schon, dass Muslime mit der religiösen Pflicht höchst unterschiedlich umgehen, dass nicht alle Muslime geschickt mit der Menüauswahl, den Essens- und Schlafzeiten umgehen, aber auch, dass das Argument der Religionsfreiheit nicht als Generaldispens von ungeliebtem Unterricht taugt und dass es sinnvoll sein kann, wenn sich die Lehrpersonen eines Schulhauses schon einige Wochen vorher auf eine kohärente Linie verständigt haben. So sollte die Ramadan-Zeit mit ihren Herausforderungen im Schulalltag kein Kopfzerbrechen mehr bereiten.
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