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HSLU: Mikroalgen gegen den Klimawandel

Die Schweiz will bis 2050 CO2-neutral sein. Doch dafür reicht es nicht aus, «nur» weniger CO2 zu produzieren, sondern es muss auch Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernt werden. Um das CO2 zu binden, waren bislang Pflanzen, welche das Kohlendioxid binden, das wirksamste Mittel. Effizienter sind aber Mikroalgen. Die Hochschule Luzern - Technik & Architektur erforscht aktuell die besten Bedingungen für die Algenzucht. Prof. Dr. Mirko Kleingries erklärt, wie Mikroalgen bei der Bindung von CO2 helfen können.

Prof. Dr. Mirko Kleingries forscht an der HSLU - Technik & Architektur im Bereich der CO2-Bindung durch Mikroalgen.
Prof. Dr. Mirko Kleingries forscht an der HSLU - Technik & Architektur im Bereich der CO2-Bindung durch Mikroalgen.

«Netto-Null»- ein Wort, das man nicht erst seit der aktuellen Energiediskussion immer wieder hört. Netto-Null bedeutet, dass ein Staat zwar noch CO2 ausstossen darf, aber in gleichem Umfang CO2 durch natürliche beziehungsweise technische Speicher aus der Atmosphäre entfernt und damit CO2-neutral ist. 

Nahezu alle Staaten der Welt haben sich einem Netto-Null-Ziel verschrieben. Mit Buthan und Suriname haben aber erst zwei Länder dieses Ziel erreicht. Fast alle weiteren Länder möchten bis 2050 CO2-neutral sein. So auch die Schweiz. Ein Ansatz um dieses Ziel zu erreichen, ist die aktuelle Forschung an der Hochschule Luzern - Technik und Architektur. Dort untersucht Prof. Dr. Mirko Kleingries mit seinem Team die besten Bedingungen für die Algenzucht, da Algen bei der Bindung von CO2 wichtige Helfer sein können.

 

Denn zur Erreichung der Netto-Null-Ziele müssen nicht nur in erster Priorität menschengemachte CO2-Emissionen schnell und deutlich gesenkt werden, sondern auch negative Emissionstechnologien (NET) in großem Massstab eingesetzt werden. Von einer so genannten negativen Emissionstechnologie NET spricht man, wenn der Atmosphäre durch deren Betrieb mehr CO2 entnommen als hinzugefügt wird.

CO2 abtrennen und speichern

CO2-Emissionen können reduziert werden, indem der Einsatz fossiler Energieträger wie Kohle, Heizöl, Erdgas etc. minimiert beziehungsweise verhindert wird. Dies wird auch Dekarbonisierung genannt, obwohl eigentlich eine Defossilisierung gemeint ist. Zudem muss bei schwer vermeidbaren CO2-Quellen, wie beispielsweise der Kehrrichtverbrennung (KVA) oder Zementherstellung, das entstehende CO2 aus den Abgasen abgetrennt und langfristig gespeichert werden. Das Abtrennen und dauerhafte Speichern von CO2 aus solchen so genannten Punktquellen – das CO2 liegt dort lokal in hohen Konzentrationen vor – nennt man auch Carbon Capture and Storage (CCS).

Für weniger CO2 in der Atmosphäre sollten einerseits weniger fossile Energieträger zum Einsatz kommen und andererseits kann CO2 durch sogenanntes CCS abgetrennt und gespeichert werden. (Bild: SilhoutteDerBäume / Pexels)
Für weniger CO2 in der Atmosphäre sollten einerseits weniger fossile Energieträger zum Einsatz kommen und andererseits kann CO2 durch sogenanntes CCS abgetrennt und gespeichert werden. (Bild: SilhoutteDerBäume / Pexels)

Um bei dem Beispiel der KVA zu bleiben: Rund die Hälfte von deren CO2-Emissionen ist biogenen Ursprungs, weil viele biogene Siedlungsabfälle wie Altholz, Papier, Kautschuk etc. verbrannt werden. Wird das entstehende CO2 der KVA abgetrennt und dauerhaft gespeichert (CCS), wird der Betrieb der KVA CO2-negativ.

 

Es mag naheliegend wirken, das CO2 direkt der Atmosphäre zu entnehmen, da Umgebungsluft im Gegensatz zu den Punktquellen überall vorhanden ist. Allerdings ist die Physik hier eine Spassbremse, denn es gilt: Je niedriger die Konzentration des CO2, desto mehr Energie wird für die Abtrennung benötigt und umgekehrt. Daraus folgt, dass man vor der CO2-Direktentnahme aus der Atmosphäre sämtliche Punktquellen priorisieren sollte. Diese CO2-Direktentnahme aus der Atmosphäre wird auch als Direct Air Capture (DAC) bezeichnet, obwohl man nicht «Air», sondern das CO2 in der Luft «captured».

Das eine tun, das andere nicht lassen

Die Photosynthese ist nach wie vor der wirksamste Mechanismus zur Reduktion von CO2 in der Atmosphäre. (Bild: Brigitte Werner / Pixabay)
Die Photosynthese ist nach wie vor der wirksamste Mechanismus zur Reduktion von CO2 in der Atmosphäre. (Bild: Brigitte Werner / Pixabay)

Das Gute ist, dass sich diese Ansätze nicht gegenseitig ausschliessen. Die Natur macht es vor! Auch wenn die CO2-Abtrennung aus der Umgebungsluft energieaufwändig ist, ist die Photosynthese mit grossem Abstand der global wirksamste Mechanismus zur Reduktion der atmosphärischen CO2-Konzentration. Unangefochten Platz 1! …was sich auch in den saisonalen Schwankungen der Keeling-Kurve zeigt. Die Keeling-Kurve ist die tägliche Aufzeichnung der globalen atmosphärischen Kohlendioxid-Konzentration, die von der «Scripps Institution of Oceanography» an der Universität von Kalifornien in San Diego durchgeführt wird. Platz 2 ist nicht mal mit dem Teleskop erkennbar. Derzeit entwickeln aber zahlreiche Firmen mit Hochdruck rein technische und sehr gut skalierbare Ansätze für die CO2-Entnahme aus der Atmosphäre. Ein global prominentes Beispiel ist die Climeworks AG aus Zürich, die mit einer Art Filtermaterial das CO2 der Atmosphäre abtrennt. Und auch die Hochschule Luzern forscht an Möglichkeiten zur effizienten Bindung von CO2. 

HSLU setzt bei der CO2-Bindung auf Algen

Dafür setzt die HSLU - Technik und Architektur auf einen sowohl natürlichen als auch technischen Ansatz. Für die CO2-Direktentnahme aus der Atmosphäre, wird an der HSLU derzeit die Biomasseproduktion mit Mikroalgen in Photobioreaktoren erforscht. Der Grundgedanke ist simpel: Die Photosynthese ist offensichtlich ein erfolgreicher Mechanismus zu Bekämpfung des Klimawandels und hat Staaten wie Buthan und Suriname zu CO2-negativen Staaten gemacht. Warum setzt man dann nicht auf diesen Mechanismus und sorgt mit technischen Mitteln für maximale Produktionsraten und Effizienz? 

 

Mikroalgen heissen die Pflanzen deshalb, weil sie unglaublich winzig sind – ein Gramm von ihnen kann zwei Milliarden Algen enthalten. Diese Kleinstlebewesen haben gleich mehrere Vorteile: Dadurch, dass sie nicht wachsen, sondern sich teilen, vermehren sie sich in kurzer Zeit. Weil sie so klein sind, nehmen sie Nährstoffe schnell auf. Sie binden ausgesprochen viel CO2 – bis zu 70 Prozent ihrer Masse kann aus Kohlenstoff bestehen. Jedes dieser Kohlenstoffatome hat vorher einem Kohlendioxidmolekül in der Atmosphäre angehört. Darüber hinaus kommen die Mikroalgen auch in unseren Ökosystemen natürlich vor und sind anspruchslos. «Sie brauchen nur Wasser, Licht, CO2 und Nährstoffe, insbesondere gebundenen Stickstoff», erklärt Mirko Kleingries, Leiter des Kompetenzzentrums Thermische Energiesysteme und Verfahrenstechnik der Hochschule Luzern. 

Reaktoren für schnelles Wachstum

Mirko Kleingries und sein Team, in dem sich auch Master-Studierende befinden, entwickelten deshalb in den vergangenen zwei Jahren auf dem Campus Horw Bioreaktoren, die bestmögliche Bedingungen für ein schnelles Wachstum der Mikroalgen bieten. Wichtig ist dabei, dass die Züchtung der Algen möglichst wenig Energie verbraucht, um den Effekt nicht zunichtezumachen. «Wir züchten die Algen mit natürlichem Tageslicht», erklärt Kleingries. Die Bioreaktoren haben einen weiteren Vorteil gegenüber anderen Methoden, die zum Beispiel an der Küste mit Meerwasser arbeiten: Es dringen kaum Bakterien in die Algenzucht, die sonst das Wachstum zum Erliegen bringen können; die Bioreaktoren am Campus Horw sind geschlossene Systeme. 

So sehen die Photobioreaktoren im Forschungslabor an der Hochschule Luzern - Technik und Architektur aus. (Bild: Mirko Kleingries)
So sehen die Photobioreaktoren im Forschungslabor an der Hochschule Luzern - Technik und Architektur aus. (Bild: Mirko Kleingries)

Was geschieht mit der Biomasse, wenn sie produziert wurde?

Geernete Algenbiomasse nach der Trocknung. (Bild: Mirko Kleingries)
Geerntete Algenbiomasse nach der Trocknung. (Bild: Mirko Kleingries)

Es gibt viele mögliche und sinnvolle Pfade der Verarbeitung und Nutzung der Algenbiomasse. Eine einfache Lösung wäre es, die Biomasse zu trocknen und unter einer Schicht Erde zu vergraben. Es können auch offene, nicht mehr verwendete Gruben, wie beispielsweise der Kies- oder Kohlegewinnung aufgefüllt und nachher geschlossen werden. Natürlich muss jeweils sichergestellt werden, dass der Kohlenstoff nicht weiter zu einem Gas wie Methan (CH4) reagiert und wieder austritt. Des Weiteren wäre denkbar, wenn auch technisch und energetisch aufwändiger, die Nährstoffe zurückzugewinnen und nur den Kohlenstoff zu speichern.

 

Diese Prozesse der Biomasseproduktion mit dem Fokus der CO2-Entnahme aus der Atmosphäre, verwenden in erster Linie natürliches Licht. Die Wertschöpfung wäre durch die negativen CO2-Emissionen gegeben. Unternehmen, Stiftungen, Privatpersonen könnten für diese negativen Emissionen zahlen, um eigene Emissionen zu kompensieren. Diese Carbon-Credits könnten auf öffentlichen Online-Plattformen gehandelt werden.

Aus Algenbiomasse produzierter Bio-Diesel. (Bild: Mirko Kleingries)
Aus Algenbiomasse produzierter Bio-Diesel. (Bild: Mirko Kleingries)

Es sind auch weitere Wertschöpfungsketten mit der Algen-Biomasse als Ausgangsstoff denkbar. Hierzu zählen die Produktion von teuren Wertstoffen wie Pharmazeutika oder Kosmetika aber auch von Lebens- und Futtermitteln, Farbstoffen, Bio-Kunststoffen, Biodiesel etc. Hier ist der geringe Bedarf an bereitgestellter Energie weniger entscheidend als bei den bereits beschriebenen Prozessen mit dem Fokus der CO2-Reduktion der Atmosphäre. Teilweise wird gar mit künstlichem Licht aus LEDs für die Photosynthese gearbeitet, obwohl der Energiebedarf für die Biomasseproduktion dadurch massiv steigt. Werden mit diesen biogenen Produkten fossile Ausgangsstoffe ersetzt, kann sich die CO2-Bilanz dieser Produkte deutlich verbessern und die Umwelt gewinnt. Diese Wertschöpfungsketten haben also eine materielle Verwertung als Fokus, zahlen aber auch auf das Konto einer Defossilisierung ein.

 

Die Biotechnologie mit (Mikro-)Algen ist ein vielseitiges und hochinteressantes Themenfeld und hat durch die ambitionierter werdenden Klimaziele, die Verpflichtungen zur Dekarbonisierung etc. nochmals frischen Wind bekommen. «Negative Emissionen allein können unsere Probleme aber nicht lösen – in erster Linie müssen wir immer noch weniger Energie verbrauchen und den CO2-Ausstoss dramatisch reduzieren. Aber Mikroalgen können zusätzlich einen wichtigen Beitrag leisten, um unsere Klimaziele zu erreichen», fasst Mirko Kleingries zusammen.


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