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Leseförderung: «Das gute Vorbild spielt eine zentrale Rolle»

Interview: Romy Villiger, Dienststelle Volksschulbildung DVS

Bilder: Dienststelle Volksschulbildung

Seit 50 Jahren besuchen Autorinnen und Autoren Luzerner Schulklassen und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Leseförderung. Kinder und Jugendliche erhalten durch diese Kontakte einen speziellen Bezug zu den Geschichten und tauchen in die Welt der Bücher ein. Leslie Schnyder Sigrist, Beauftragte Leseförderung und Bibliotheken an der PH Luzern erklärt im Interview, weshalb Lesen so wichtig ist.

Leseförderung
Leslie Schnyder Sigrist, Beauftragte Leseförderung und Bibliotheken an der PH Luzern

Leslie Schnyder, Lesen ist in unserer Gesellschaft eine Kulturtechnik, welche die Kinder spätestens beim Eintritt in die Volksschule lernen. Bloss: Wie stellt man es an, dass die Schülerinnen und Schüler möglichst gern und gut lesen?

Ich kam als pädagogisches Greenhorn zu meiner Stelle als Beauftragte für Leseförderung an der PH Luzern. Wichtige Voraussetzung für meine Anstellung war einerseits mein Organisationstalent, das ich als Geschäftsführerin des Luzerner Literaturfests unter Beweis stellen konnte und andererseits meine vielen Kontakte zu Verlagen und Autorinnen und Autoren. Mein Ursprungsberuf war Buchhändlerin. Darum kann ich wohl nur ganz allgemein antworten, wie Lesefreude geweckt werden kann.

 

Das gute Vorbild spielt eine zentrale Rolle. Wenn Kinder von Büchern umgeben sind, daheim oder in der Schule, ist ihnen nur schon das Objekt Buch nicht fremd. Bibliotheksbesuche mit der Klasse sind etwas so Wertvolles, da sie auch Kindern eine Welt eröffnen können, die daheim eher bildungsfern aufwachsen. Und auch wichtig – man soll lesenden Kindern keine Grenzen setzen, die Bücher müssen nicht literarisch hochstehend sein, wenn es darum geht, Freude am Lesen zu wecken. Eines der schönsten Beispiele waren und sind die Harry Potter Bücher von Joanne K. Rowling – die haben ganze Generationen von Kindern zum Lesen gebracht. Und ähnliches gilt für Greg’s Tagebuch oder beliebte Comicreihen. Schliesslich gehört auch das «Lesen» von Bildern zur Leseförderung.

Wann sollen Kinder idealerweise mit dem Lesen beginnen? Gilt: je früher, desto besser?

Auch hier kann ich nur aus eigener Erfahrung berichten. Ich konnte lesen und schreiben, bevor ich eingeschult wurde, da war der Unterricht für mich am Anfang oft sehr langweilig. Es macht also die Aufgabe der Lehrpersonen nicht einfacher, wenn ein Teil der Kinder schon liest und schreibt. Auf der anderen Seite sollen Kinder, die wissbegierig sind, natürlich auch nicht gebremst werden.

 

Wer vom Lesen spricht, denkt oft an Bücher. Sind Bücher, gerade auch für Erstlesende, noch zeitgemäss oder können diese problemlos durch digitale Medien - z.B. Tablets - ersetzt werden? 

Das dürfen Sie eine Buchhändlerin nicht fragen (schmunzelt). Aber ernsthaft, es gibt bereits Studien, die beweisen, dass sich Texte weniger gut festsetzen und weniger gut verstanden werden, wenn sie am Bildschirm gelesen werden. Offenbar ist das Haptische des Buches wichtig für das kindliche bzw. menschliche Gehirn. Und wichtig ist für Kinder auch, zu sehen, wie dick das Buch ist und wieviel sie schon gelesen haben – da kann Scrollen nicht mithalten.

Zusammenspiel aller Medien ist ideal

Warum eigentlich ist Lesen so wichtig? Man kann sich Texte heute ja auch vom Computer vorlesen lassen. 

Lesen trainiert die Konzentrationsfähigkeit, da man nicht nebenher noch etwas anderes machen kann. Lesen ermöglicht Kindern und Erwachsenen, aktiv am Alltag und am kulturellen Leben teilzunehmen. Lesen und Schreiben gehört zusammen. Kinder, die wenig lesen, haben oft Mühe, sich schriftlich auszudrücken. Und unter anderem hilft das Lesen dabei, Textaufgaben in der Schule zu verstehen, Strassenschilder zu lesen, Formulare auszufüllen oder Informationen aus den Medien aufzunehmen und zu verarbeiten.

Allerdings bin ich keine Hardlinerin – ein Zusammenspiel aller Medien, die Geschichten vermitteln, finde ich ideal. Kinder sollen lernen, mit Tablets umzugehen, es gibt zum Beispiel grandiose Spiele und Apps, die auf Bilderbüchern basieren. Und das Hören von Geschichten hat ja auch eine lange Tradition, angefangen bei den erzählten Gutenachtgeschichten oder den Kassettenrekordern bis hin zu «Tonies» und ähnlichen Systemen, die auch in den Bibliotheken ausgeliehen werden können.

Leseförderung
Die deutsche Autorin Irene Margil bei einer online-Lesung während der Corona-Zeit

Seit nunmehr 50 Jahren gehen Autorinnen und Autoren in die Schulen und lesen Klassen vor. Was bewirken solche Lesungen?

Dadurch, dass die Autorinnen und Autoren, die die Bücher verfasst oder gezeichnet haben, in die Schulklassen gehen, bekommen die Kinder und Jugendlichen einen ganz anderen Bezug zu den Geschichten, weil ja der Verfasser oder die Illustratorin vor ihnen stehen und mit Fragen gelöchert werden dürfen. So wird ihnen auch klar, dass Schriftstellerin oder Illustrator ein Beruf ist – ich habe schon oft als Feedback gehört, dass die Kinder heimgingen und sagten: «Wenn ich gross bin, schreibe ich auch ein Buch». Sie fragen, wieviel Autorinnen und Autoren verdienen, wie alt sie sind und wie sie auf die Geschichten kommen. So geht eine Lesung längst über das reine Vorlesen hinaus und es entsteht echte Interaktion. Und ganz oft werden danach die Schulbibliotheken bestürmt und alle Bücher des Gastes über Monate hinaus ausgeliehen oder die Eltern bekommen einen Wunschzettel für Weihnachten.

Ach ja, und ich kenne mindestens vier Schweizer Autorinnen und Illustratoren, die wegen einer Schullesung diesen Beruf ergriffen haben.

Am 17. November 2022 findet in der ZHB eine Jubiläumsveranstaltung statt zum Thema «Welten öffnen – Schullesungen 1972 – 2022». Können Lesungen in den Schulen tatsächlich «Welten öffnen»? 

Die Veranstaltung in der ZHB ist ein Gespräch, das ich mit vier Autorinnen und Autoren sowie einer Mediothekarin führe: Katja Alves, Bruno Blume, Claudia Bucheli, Federica de Cesco, Doris Lecher und Sunil Mann. Ich werde sie bitten, davon zu erzählen, wie sie die Lesungen erleben und wie sich die Lesungen in den letzten Jahrzehnten verändert haben. Was geben ihnen diese Veranstaltungen und was nehmen die Kinder und Jugendlichen davon mit.

Und zum Thema Welten öffnen: Eine Freundin erzählte mir, sie sei im Entlebuch aufgewachsen, in einem relativ engen Dorfverband, aber die Bücher von Federica de Cesco hätten es ihr erlaubt, sich weit weg zu träumen. Bücher sind andere Lebenswelten oder ähnliche Lebenswelten mit einer anderen Entwicklung und so öffnen sie den Leserinnen und Lesern immer wieder neue Welten.


Weiterlesen: 

- Zentrum für Medienbildung und Informatik, PH Luzern: 50 Jahre Schullesungen 

- Jubiläumsanlass 17. November 2022 an der Zentral- und Hochschulbibliothek ZHB: Welten öffnen - 50 Jahre Lesungen in Schulklassen


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Kommentare: 1
  • #1

    Ruth&Felix (Freitag, 23 September 2022 13:13)

    Ein grosses Dankeschön, das Lesen bereichert unsere Gesellschaft ❤️�