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50 Jahre Frauenstimmrecht: Das Historische Museum setzt den Kampf für mehr Demokratie in Szene

Am 25. Oktober 1970 sagten die stimmberechtigten Luzerner "Ja" zum Frauenwahlrecht. Damit erhielten Frauen erstmalig Zugang zum politischen Geschehen auf Kantonsebene. Das Historische Museum Luzern begeht dieses 50-Jahr-Jubiläum mit der Ausstellung "Eine Stimme haben. 50 Jahre Frauenstimmrecht" und einem reichhaltigen Begleitprogramm. Sibylle Gerber, Kuratorin der Ausstellung, gibt einen Einblick hinter die Kulissen und erzählt, wie aus einer Idee eine Ausstellung heranwächst.

Archivbild Demonstrantin an der Reuss, Luzern auf dem Frauenstreik 1991
"Wenn Frau will, steht alles still" - lautete die Parole auf dem Frauenstreik 1991 auch in Luzern an der Reuss, wie dieses Archivbild zeigt. Foto: Priska Ketterer, 14. Juni 1991/ Website Historisches Museum

Sibylle Gerber, wie entstand die Idee zur Ausstellung?

Sibylle Gerber: Die letzte Ausstellung «Rocky Docky – 450 Jahre Altes Zeughaus Luzern» zeigte aufgrund der Geschichte des Hauses als militärisches Lagerhaus bis zu seiner jetzigen Nutzung als Museum eine reine Männerdomäne. Über Jahrhunderte hinweg wurde die Geschichte dieses Hauses von Männern geprägt – von Zeugherren, Waffenschmieden, dem Stadtschreiber Cysat, Patriziern, Söldnern und Zeughäuslern.

 

Die nächste Ausstellung sollte deshalb von Frauen handeln. Über einen Artikel stiess ich auf die Thematik Frauenstimmrecht in Luzern und politische Partizipation. Das Frauenstimmrecht in Luzern wurde im Oktober 1970 eingeführt – also knapp vier Monate vor der nationalen Einführung – diese wird am 7. Februar 2021 begangen. Die Frauenthematik in Verbindung mit dem Innovationsgeist im Jahre 1970 von Kanton Luzern und das 50-Jahr-Jubiläum gab schliesslich den Ausschlag für die heutige Ausstellung.

 

Wie gingen Sie bei der Planung der Ausstellung vor? 

Von der Idee bis zur physischen Ausstellung vergehen bis eineinhalb Jahre. Als die Idee zur Ausstellung «Frauenstimmrecht» feststand, fing ich mit der Recherche an, was zeitlich am längsten dauert, da die Informationssuche in die Breite wie in die Tiefe geht.

 

Zum aktuellen Thema «Frauenstimmrecht» habe ich viele verschiedene Personen und Organisationen angefragt und mit der Zeit ein ExpertInnen-Netzwerk aufgebaut, aus dem ich zu verschiedenen Aspekten Informationen schöpfen konnte. Zum Beispiel habe ich im Staatsarchiv nach Quellen und Fotos aus der Zeit gesucht, das Luzerner Frauenstreik-Komitee, die Frauenzentrale Luzern und das Fastenopfer kontaktiert, aber auch direkt Frauen bzw. Aktivistinnen auf dem Frauenstreik 2019 angesprochen.

 

Ich sprach auch mit der Kantonsratspräsidentin Ylfete Fanaj über diese Idee – sie griff das Thema auf und gründete im Frühling 2020 den Verein 50 Jahre Frauenstimmrecht Luzern, von wo aus wiederum ein grosses Begleitprogramm für das Jubiläumsjahr auf die Beine gestellt wurde.

 

Die Recherche ging immer weiter in die Vergangenheit zurück, bis in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. 


Sibylle Berger Kuratorin am Historischen Museum Luzern
Sibylle Gerber während der Aufbauarbeiten zur Ausstellung "50 Jahre Frauenstimmrecht Luzern". Bild: Gabi Mischkale

Sibylle Gerber ist Kulturwissenschaftlerin und seit 2014 als Kuratorin am Historischen Museum in Luzern tätig. Sie hat fünf grosse Ausstellungen mit- bzw. einzeln kuratiert: «Die Mauer. Von Musegg bis Gaza (2014/2015)», «Chilbi. Von Zuckerwatte, Karussells und Schaustellern (2016)», «Tatort. Luzerner Kriminalgeschichten auf der Spur (2017/2018)», «Rocky Docky – 450 Jahre Altes Zeughaus Luzern (2019)» und zuletzt die Ausstellung «Eine Stimme haben. 50 Jahre Frauenstimmrecht Luzern». Als Sibylle Gerber geboren wurde, war das Frauenstimmrecht gerade einmal 17 Jahre alt. 


Bei der Recherchearbeit ergibt sich eine Fülle an Quellen und Informationen. Welche Schwerpunkte haben Sie für die Ausstellung gewählt?

Der Fokus liegt auf der politischen Dimension des Stimm- und Wahlrechts, zeigt den Weg der Frauen dorthin auf und geht bis zur politischen Partizipation von heute.

 

Die Ausstellung ist in fünf Zeitblöcke gegliedert. Das Jahr 1970 bildet dabei eine Art Mittelpunkt, denn seit diesem Jahr sind Frauen und Männer betreffend Stimm- und Wahlrecht gleichberechtigt. Von 1970 geht die Ausstellung 50 Jahre zurück und auch 50 Jahre nach vorn bis in unsere Gegenwart.

 

In den fünf Zeitblöcken, die in der Ausstellung als fünf Zeitinseln zu erleben sind – werden für das Frauenwahlrecht wichtige Jahresdaten und Ereignisse markiert: 1929, 1959, 1979, 1991 und 2020. In jeder dieser Zeitinsel ertönen die Stimmen der Frauen, übrigens auch die der Männer, die für die jeweilige Zeit spezifisch sind. Wie zum Beispiel der Slogan aus dem Frauenstreik 1991 «Wenn Frau will, steht alles still».

Haben Sie eine bestimmte Entwicklung für die Zeit nach der Einführung des Frauenstimmrechts, also von 1970 bis jetzt 2020 beobachtet? 

Die Forderungen der Frauen, die sie an den beiden grossen landesweiten Frauenstreiks von 1991 und 2019 äusserten, sind weitgehend identisch. Die Themen Gleichstellung, Lohngleichheit, Care-Arbeit, Vertretung von Frauen in führenden Position sind immer noch sehr aktuell. 

 

Das Ausstellungsplakat zeigt eine weibliche Hand, zur Faust geformt und in die Höhe gereckt – darüber der Satz «Eine Stimme haben». Die Faust lässt sich positiv assoziieren mit Kraft, Machtdemonstration und Selbstbewusstsein, aber auch mit Gewalt. Wie ist die Verbindung Stimme und Faust gemeint?

Plakat 50 Jahre Frauenstimmrecht am Historischen Museum in Luzern
Das Ausstellungsplakat hängt an der Fassade des Historischen Museums an der Pfistergasse in Luzern. Bild: Gabi Mischkale

Das ist auch so gemeint: es mag ein wenig doppeldeutig sein, es soll auch aufrütteln. Einerseits erinnert die Faust an das Signum aus dem Frauenstreik. Andererseits zeigt es auch, wer keine Macht hat – auch im Sinne von Einfluss oder Stimme – dem hört man nicht zu. Ich will zeigen, welche unterschiedlichen Formen von Protest es in der Frauenbewegung der letzten 100 Jahren gab: von blumig-brav bis laut und provokativ.

 

Das Historische Museum hat als kantonale Institution einen Bildungs- und Kulturauftrag zu erfüllen. Es vermittelt die Geschichte des Kantons Luzern, der Region und deren Menschen. Was ist die Botschaft der Ausstellung? 

Die Einführung des Frauenstimmrechts ist Teil der Geschichte des Kantons Luzern und gleichzeitig Teil der Demokratisierungsgeschichte der Schweiz. Die Ausstellung soll zeigen, dass Demokratie nicht umsonst zu haben ist und gleichzeitig auch, dass es sich lohnt, für mehr Rechte zu kämpfen und die Stimme zu erheben. Das gilt natürlich gleichermassen für Frauen wie für Männer.

Die Ausstellung verhilft auch zur politischen Bildung: Wir bieten auch Workshops an für Schülerinnen und Schüler rund um das Thema Wahl- und Stimmrecht. 

 

Es fällt auf, dass die Ausstellungsmacherinnen nur Frauen sind. Ist das gewollt?  

Ja, das war mir bei dem Thema ein Anliegen: Es ging mir nicht darum Männer auszuschliessen, sondern um die Erfahrung, mit einem reinen Frauenteam zu arbeiten. Nicht nur von Förderung der Frauen zu reden, sondern es auch umzusetzen. Zum Kernteam gehören die Historikerin Silvia Hess (Recherche), die Szenografin Martina Nievergelt, die Grafikerinnen Stephanie Hofstetter und Manuela Lienert von der Werbeagentur Crème Fraîche Design und ich als Kuratorin. Im Hintergrund sind noch viel mehr Menschen -  Männer und Frauen – mit der Produktion und Durchführung betraut.

 

Warum ist diese Ausstellung unbedingt auch für Männer empfehlenswert? 

Männer haben – genauso wie Frauen auch – einen Auftrag in Gesellschaft, Politik wie in Familie und im Privaten. Es waren ja Männer, die 1970 in Luzern für die Einführung des Frauenwahlrechts gestimmt haben. Ab 1970 wählten sie die Frauen an ihre politische Seite – und gingen unterschiedlich damit um. Ich könnte mir vorstellen, dass männliche Besucher mit Interesse und Neugierde die Entwicklung und die Argumentationsketten von vor 100 Jahren überblicken, um sich ihr eigenes Urteil zu bilden. Und sie sind eingeladen, am Ende der Ausstellung ihre Stimme kundzutun, zum Beispiel bei der Frage: «Wo fühlen Sie sich heute nicht gleichberechtigt?»

 


Begleitprogramm zur Ausstellung

Theatertour: Wenn frau will... Auf dem Weg zur Gleichberechtigung

Die Stadt Luzern platzt aus allen Nähten – es ist Frauenstreik. 1991 und 2019 gehen die Menschen für die Gleichstellung von Mann und Frau auf die Strasse. Auch Nathalie Brun ist beide Male dabei. Doch der Weg hin zur weiblichen Emanzipation beginnt viel früher.

Informationen, Daten und Anmeldung: Wenn frau will

Zum vollständigen Begleitprogramm mit Veranstaltungen wie Führungen, Workshops, Filmvorführung, Vorträgen für Erwachsene, Familien und Kinder, Schülerinnen und Schüler. 

 


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