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Daniela Dittli: «Gesellschaftliche Veränderungen werden in der Sonderschulung sichtbar!»

Interview: Romy Villiger / Blogredaktion

Vorschaubild: Dienststelle Volksschulbildung Kanton Luzern

Nach 11 Jahren im Dienst der Sonderschulung geht Daniela Dittli Ende Juni in Pension. Zuvor spricht die abtretende Leiterin der Abteilung Schulbetrieb II über Integration und Separation und künftige Herausforderungen der Sonderschulung.

Mehr Integration, weniger Separation - eine der grossen Veränderungen während Daniela Dittlis Zeit als Leiterin der Abteilung Schulbetrieb II.
Mehr Integration, weniger Separation - eine der grossen Veränderungen während Daniela Dittlis Zeit als Leiterin der Abteilung Schulbetrieb II.

Daniela Dittli, als Leiterin der Abteilung Schulbetrieb II sind Sie und Ihr Team zuständig für die pädagogischen, didaktischen und schulorganisatorischen Fragen der Sonderschulung. Was liegt Ihnen bei dieser Arbeit besonders am Herzen?

Alle Kinder, auch jene mit Behinderungen oder schweren Verhaltensauffälligkeiten sollen eine angemessene Schulung erhalten. Das bedeutet, dass das Zuweisungsverfahren zu Sonderschulmassnahmen möglichst transparent und fair gestaltet ist. Die Kriterien müssen immer wieder präzisiert und geschärft werden. Eine Sonderschulmassnahme ist nicht nur mit hohen Ressourcen, sondern auch mit einer gewissen Stigmatisierung für die Betroffenen verbunden. Darum ist es wichtig, jeden Einzelfall genau zu prüfen. Eine Sonderschulung muss für das betroffene Kind passend sein. Sie darf nicht als Lösungsversuch von allgemeinen System- und Überlastungsproblemen von Schule und Lehrpersonen «missbraucht» werden. 

Wie hat sich der Bereich Sonderschulung in den letzten zehn Jahren verändert?

Die integrative Sonderschulung ist stark gewachsen und die Separation hat abgenommen. Es war beeindruckend zu erleben, wie gut die Integration in den Schulen im Kanton Luzern aufgenommen wurde. Die grosse und rasche Zunahme der Integration hat nun aber viele Schulen an ihre Belastungsgrenzen geführt, zumal zusätzlich Fachkräftemangel herrscht.

 

Gesellschaftliche Veränderungen werden nicht zuletzt in der Sonderschulung sichtbar. Die Bedingungen des Aufwachsens haben sich gegenüber vor 15 - 20 Jahren für sehr viele Kinder stark verändert. Beispiele sind Digitalisierung, Aufwachsen mit elektronischen Geräten und nur geringem persönlichen Austausch, keinen Geschichten oder Erlebnissen in der Natur. Immer mehr Eltern betrachten ihre Kinder als persönliches Projekt und setzen ihnen keine Grenzen. Andere Eltern sind mit eigenen grossen Problemen beschäftigt oder haben psychische Erkrankungen und können ihren Kindern keine Geborgenheit bieten, welche eine stabile Bindung ermöglicht. Hinzu kommt eine stark steigende Anzahl von (Klein-)Kindern mit Autismus-Spektrum-Diagnose.

 

Viele Kinder, die heute in die Schule eintreten, bringen Voraussetzungen mit, auf welche das System Regelschule noch zu wenig vorbereitet ist. Dies hat in den letzten zwei bis drei Jahren zu einer überproportionalen Zunahme der Sonderschulanträge vor allem im Bereich Verhalten geführt.

Die Sonderschule funktioniert anders als die Regelschule. Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten. In der Sekundarstufe beispielsweise liegt der Fokus beider Schulen beim Berufsfindungsprozess.  (Quelle: DVS Luzern)
Die Sonderschule funktioniert anders als die Regelschule. Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten. In der Sekundarstufe beispielsweise liegt der Fokus beider Schulen beim Berufsfindungsprozess. (Quelle: DVS Luzern)

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen der Sonderschulung für die kommenden Jahre?

Vor allem im eben erwähnten Bereich Verhalten: Das System Regelschule muss fit werden für jene Kinder, die heute in die Schule eintreten. Insbesondere braucht es andere Strukturen, Haltungen und auch einen wirksameren Ressourceneinsatz im Umgang mit Verhalten, das als störend erlebt wird. Das ist nicht primär ein Sonderschulthema. Aber um viele unnötige Sonderschulanträge zu vermeiden, welche zu einer Stigmatisierung oder gar einem Ausschluss der betroffenen Lernenden führen, muss überlegt werden, welche Strukturen es braucht, damit diese Kinder in der Regelschule gehalten werden können, ohne dass die anderen Kinder darunter leiden.

 

Eine weitere Herausforderung ist die separative Sonderschulung. Durch die hohe Integrationsquote verbleiben in den Sonderschulen vorwiegend Kinder und Jugendliche mit sehr schweren oder komplexen Beeinträchtigungen. Das stellt die Mitarbeitenden der Sonderschulen vor grosse Herausforderungen, die bewältigt werden müssen.

Was bleibt Ihnen von diesen 11 Jahren als Abteilungsleiterin Schulbetrieb II der Luzerner Dienststelle Volksschulbildung in besonderer Erinnerung?

Ich habe viele sehr engagierte Fachpersonen, Schulleitungen und Lehrpersonen erlebt, die sich mit hoher Kompetenz für eine gute Schule engagieren. Dies sowohl in der DVS wie auch in den Regel- und Sonderschulen. Die Anforderungen sind in den letzten Jahren stark gestiegen und fordern die Mitarbeitenden in den Schulen und der Verwaltung stark.

 

Im Arbeitsleben sind Sie auf der Zielgeraden. Worauf freuen Sie sich nun am meisten? 

Auf mehr selbstbestimmte Zeit.


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Kommentare: 2
  • #1

    Hanna Waser (Dienstag, 27 Juni 2023 04:45)

    Die Kinder verbringen die meiste Zeit an der Schule, und dies sitzend und drinnen. Warum geht die Schule mit den Kindern nicht raus in die Natur, wenn das wichtige Mitursache für die Sonderschulproblematik ist und so viel Kosten sparen könnte?

  • #2

    Martin Moser (Dienstag, 27 Juni 2023 13:27)

    Die Leistungen für ein Kind in Not wurde in Ihrer Zeit der "Integration" hinter einer jahrelang dauernde Diagnose-, Abklärungs- und Zuweisungsverfahrenswand verlagert. Immer wieder muss danach neu bewiesen sein, dass das Kind wirklich noch immer behindert ist und keine wundersame Heilung erfahren hat. Eltern fühlen sich mit ihrem Wunsch nach Unterstützung für ihr Kind wie Sozialhilfebetrüger. Dennoch erhält das Kind häufig nur Almosen.
    Sie verstecken sich hinter dem Fachkräftemangel. An Ihrer Integrativen Schule ist der gesicherte Platz mit fachlicher Kompetenz für Kinder mit Behinderung wegen dieser Angst verschwunden. Das ist hausgemachte Einteilung und Plagerei: Diskriminierung und Stigmatisierung für ein schönes Portemonnaie.