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Debattieren als Kernkompetenz - nicht nur in politischer Bildung

Debattieren kann man lernen und macht Spass: 60 Jugendliche der Sekundarstufen I und II aus Kantonsschulen der Kantone Zug und Luzern diskutierten Anfang Jahr engagiert und mit vielen guten Argumenten im Rahmen des Wettbewerbs «Jugend debattiert» an der Kantonsschule Beromünster. Hier zeigte sich im Kleinen, was wir uns im Grossen wünschten: Debattierende von Pro- und Contra-Seite hören einander zu, gehen auf Argumente der Gegenseite ein, zerpflücken diese aber auch, wo es für sie Sinn macht. Der Debattierwettbewerb als «Schule des respektvoll kritischen Umgangs».


Für eilige Leserinnen und Leser: 

  • Der Wettbewerb «Jugend debattiert» existiert seit 2006 in der Schweiz und ist integraler Bestandteil des schulischen Alltags.
  • Schulen legen Wert darauf, dass Schülerinnen und Schüler lernen, ihre Gedanken und Überzeugungen auszudrücken, ohne andere zu diskreditieren, und fördern Meinungsfreiheit sowie respektvollen Meinungsaustausch als Grundpfeiler der demokratischen Gesellschaft.

  • Debattieren kann in verschiedene Fächer integriert werden, um politische Bildung zu fördern und Jugendliche zu mündigen, selbstkritischen Bürgern zu erziehen.

  • Das nationale Finale von «Jugend debattiert» findet am 22. und 23. März 2024 in Bern statt. 

Den Debattierwettbewerb «Jugend debattiert» gibt es in der Schweiz seit 2006 und das Format ist nicht mehr aus dem schulischen Alltag wegzudenken. Doch nicht nur als Vorbereitung auf solche Wettbewerbe wird an den Schulen debattiert. Der Anspruch der Schulen – und auch der Lehrpläne – ist es, dass die jungen Menschen lernen, ihre Gedanken und Überzeugungen auszudrücken, ohne das Gegenüber zu diskreditieren oder abzuwerten. Dabei sollen Meinungsfreiheit und ein respektvoller Meinungsaustausch gefördert werden, die zu den Grundpfeilern einer funktionierenden demokratischen Gesellschaft gehören. Denn nur in einer Atmosphäre, in der unterschiedliche Perspektiven respektiert und diskutiert werden, entsteht ein konstruktives Miteinander über Meinungsgrenzen hinweg. Am Ende geht es darum «die Mitglieder des Gemeinwesens so zu formen, dass sie zur Bewältigung der – wie auch immer definierten – Aufgaben in der Lage»* sind.

Debattieren kann man lernen

Debattieren ist aber anstrengend. Nicht nur für Schülerinnen und Schüler. Wie anstrengend, das kann jeden Tag, vom Küchen- bis hin zum Stammtisch, in den Medien, im Parlament beobachtet werden. Doch die gute Nachricht ist: Debattieren kann man lernen und es macht Spass. Das haben die Jugendlichen in Beromünster gezeigt. Denn die Debatten waren nach dem offiziellen Teil meist nicht vorbei, sondern in den Gängen wurden weiter die Köpfe zusammengesteckt und über das eine oder andere vorgebrachte Argument und Gegenargument weiterdiskutiert. Wollen wir die Demokratie, in der wir leben, auch als Lebensideal** verstanden wissen, indem an Aushandlungsprozessen aktiv teilgenommen wird, dann können Debattierwettbewerbe als gelungene Anlässe dafür verstanden werden.

Nach der Diskussion ist vor der Diskussion - an der Kantonsschule Beromünster wird eine lebhafte Debattenkultur gelebt.
Nach der Diskussion ist vor der Diskussion: An der Kantonsschule Beromünster wird eine lebhafte Debattenkultur gelebt.

Das Private wird sehr rasch politisch

Doch wie genau kann das Debattieren an den Schulen im Idealfall aussehen? Und was, wenn kein eigenes Fach «politische Bildung» dafür vorgesehen ist, wie beispielsweise an der Kantonsschule Alpenquai in Luzern? Die These dieses Beitrags könnte durchaus lauten: Debattieren lässt sich in die meisten Fächern integrieren und ist auch nicht an ein eigens dafür eingerichtetes Fach gebunden. Wir wissen es ja nur allzu gut: Sehr rasch wird etwas politisch. Erst noch privat und in sehr persönlichem Rahmen diskutiert, erhält ein Thema öffentliche Aufmerksamkeit. So lautete bereits Ende der 1960er Jahre eine feministische Forderung «Das Private ist politisch». Frauen ging es darum, Beziehung, Sexualität, Schwangerschaft, Kinder und Erziehung zu politisieren, um am Ende auch entsprechend politische Entscheide zu erzwingen. Und, weniger heikel, aber nicht weniger brisant: Bereits seit der Aufklärung gibt es den Leitsatz, dass Wirtschaft und Politik für den Menschen da zu sein haben – und nicht umgekehrt. Es zeigt sich, Debattieren ist eine Kompetenz, für die es sich so früh als möglich fit zu machen lohnt, um sich für Anliegen einzusetzen, die für einen selbst und für uns als Gesellschaft bedeutsam sind. 

 

Das Debattieren als eine Methode der politischen Bildung kann aber nicht in einem Vakuum geschehen, denn «Poltische Bildung kann niemals losgelöst von den historischen Konstellationen und politischen Auseinandersetzungen existieren»**. Dies nicht nur etwa in Anbetracht der letzten beiden Weltkriege, der Herausforderungen sind genügend andere da, um eine solche möglichst breit im schulischen Curriculum abzustützen.

Debattieren ganz konkret

Nicht nur die Unterrichtsfächer geben Stoff für Debatten her, auch das aktuelle Weltgeschehen. (Bild: Pexels / Suzy Hazelwood)
Nicht nur die Unterrichtsfächer geben Stoff für Debatten her, auch das aktuelle Weltgeschehen. (Bild: Pexels / Suzy Hazelwood)

Bereits die Fächer Geschichte, Wirtschaft und Recht, Philosophie, Religion und Ethik, die Sprachfächer, aber auch Geografie und Sport, geben unendlich viel Spielraum, um den Jugendlichen Debattier-Kompetenzen zu vermitteln. In Geschichte kann bereits ein Thema wie die eine oder andere Staatsform zu angeregten Diskussionen führen, der Nahostkonflikt oder der Krieg in der Ukraine aber auf jeden Fall. In Philosophie lassen sich Fragen um die Freiheit des Menschen ihrerseits ans Fach Geschichte binden (Aufklärung!) und in Wirtschaft und Recht bieten nicht nur Sozialismus und Kapitalismus Debattierstoff, sondern auch ein gerechter Lohn oder die 13. AHV-Rente. Das Fach Religion und Ethik wiederum berührt Fragen der Welt- und Lebensdeutung, die wohl schon immer nach Debatten gerufen haben, die nur nicht immer so offen wie heute geführt werden konnten. Solche Themenkomplexe sind auch in den Literaturfächern verhandelbar. Denn Literatur entsteht in und um solch komplexe Fragen, denen sich Autorinnen und Autoren ganz konkret und oftmals auch zwischen den Zeilen stellen. Zudem sind literarische Texte weniger abstrakt, das heisst sie bieten anhand von möglichen menschlichen Handlungs- und Sichtweisen viel Anschauungs- und Diskussionsmaterial, mit dem sich Lernende auseinandersetzen können. Ein literarisches Werk, das sich nebst vielen anderen auch fast hundert Jahre nach seinem Erscheinen fürs Debattieren eignet, ist der noch heute und gerade heute aktuelle Antikriegsroman «Im Westen nichts Neues» von Erich Maria Remarque. Nicht zuletzt sind aber auch Fächer wie Geografie, wenn es etwa um die Ausbeutung von Rohstoffen in rohstoffreichen Ländern geht – um nicht immer die Klimakrise zu zitieren – oder Sport geeignet. Hier können etwa mit der Selbstoptimierung durch Smartwatches durchaus gesellschaftsrelevante Themen angesprochen werden, um sportliches und faires Debattieren anwenden und in einen grösseren gesamtgesellschaftlichen Kontext stellen zu können.

Am Ende geht es um unser Demokratieverständnis

Wie die obigen Ausführungen zeigen, werden in Debatten meist Fragen von Freiheit und Einschränkung verhandelt. Diese betreffen jeden Menschen, von klein auf. Es ist also wichtig, den Jugendlichen nicht nur das jeweils nötige Fachwissen mitzugeben, sondern auch das Vertrauen und diejenigen Kompetenzen, die sie Hintergründe verschiedener Denkpositionen verstehen lässt, sie befähigt, diese zu hinterfragen und im Gespräch auch mit Andersdenkenden selbst formulieren und durchsetzen zu können. Die Schule selbst stellt einen demokratischen Lebensraum dar, in dem die Schülerinnen und Schüler Forderungen stellen dürfen und sollen***. Sie in Entscheidungsprozesse und die dazu gehörenden Diskussionen einzubinden – etwa durch Schülerräte, Organisationskomitees bei Anlässen, aber auch bei Schullektüren etc. – gehört zur Bildung dazu, will man das Konzept der «Poltischen Bildung» nicht nur als Feigenblatt vor sich hertragen. 

Durch eine offene Debattenkultur lernen Schülerinnen und Schüler nicht nur Fachwissen, sondern auch Vertrauen und die Fähigkeit, verschiedene Denkweisen zu hinterfragen und im Dialog mit anderen zu artikulieren und zu vertreten.
Durch eine offene Debattenkultur lernen Schülerinnen und Schüler nicht nur Fachwissen, sondern auch Vertrauen und die Fähigkeit, verschiedene Denkweisen zu hinterfragen und im Dialog mit anderen zu artikulieren und zu vertreten.

So zu Ende gedacht, leistet die Schule einen wichtigen Beitrag dazu, Jugendliche auch heute im Sinne der Aufklärung zu mündigen, selbstdenkenden und -kritischen und nicht von Meinungen anderer abhängiger Menschen heranzubilden. Sie werden dereinst die Geschicke der demokratischen Welt in den Händen halten. Denn eines kann man heute hautnah miterleben und man kann es nicht oft genug sagen: Demokratie ist nicht einfach da, sie muss jeden Tag neu verhandelt und es muss jeden Tag neu für sie gekämpft werden.



Quellenangaben:

* Reheis Fritz (2016): Politische Bildung. Eine kritische Einführung, 2. Auflage, Springer Fachmedien, Wiesbaden, S.10.

** Ziegler, Béatrice und Monika Waldis (Hg.) (2018): Politische Bildung in der Demokratie. Interdisziplinäre Perspektiven, Springer Fachmedien, Wiesbaden, S. 7 / S.11.

*** vgl. dazu den (auch) kritischen Beitrag von Leser, Christoph (2011): Poltische Bildung in und durch Schule, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.

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