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Besser lernen mit digitalen Technologien? Die Studie «DigiKanti» untersucht die Rolle der Schule

Schülerin bei der Recherche. (Quelle: Kantonsschule Seetal, Symbolbild)
Schülerin bei der Recherche. (Quelle: Kantonsschule Seetal, Symbolbild)

Wie können Schulleitungen dafür sorgen, dass Lehrpersonen digitale Technologien im Unterricht gewinnbringend einsetzen? Dieser Frage ging ein interdisziplinäres Team aus der Hochschule Luzern Wirtschaft, Soziale Arbeit und Informatik sowie der PH Luzern nach. Die Studie namens «DigiKanti» hat anhand von Interviews an vier Schulen  Spannungsfelder im Umgang mit digitalen Technologien identifiziert und bietet mögliche Orientierungshilfen.

Die Studie erhebt den Ist-Zustand der Digitalisierung an zwei städtischen und zwei ländlichen Gymnasien im Hinblick auf die Frage, wie digitale Technologien gewinnbringend einzusetzen sind. Gewinnbringend ist dabei nicht wirtschaftlich zu verstehen, sondern gewinnbringen gemessen an den Lern- und Sozialisierungsergebnissen der SchülerInnen. Das Studienteam hat 26 Lehrpersonen in qualitativen Interviews befragt sowie die Vor- und Nachteile von digitalen Technologien im Unterricht zusammengefasst. Die Studie weist schliesslich auf sechs Spannungsfelder hin, die alle Schulleitungen der Gymnasien kennen sollten. 

Digitale Technologien - Chancen für alle Lernenden

Digitale Technologien bergen sowohl Chancen als auch Risiken, so die Forschungsergebnisse. Die Chancen digitaler Technologien liegen in einer höheren Methodenvielfalt, in den Bezügen, die man zur Aktualität herstellen kann und darin, komplexe Informationen zu veranschaulichen. Ihr Einsatz trägt zu flexiblem, selbständigem und individualisiertem Lernen bei, was die Schülerinnen und Schüler motiviert, ihre Eigenverantwortung stärkt und sie auf das Studium vorbereitet. Digitale Technologien machen flexibles und selbständiges Lernen an prinzipiell jedem Ort und zu jeder Zeit möglich. Das ist positiv für die meisten Lernenden: die leistungsstarken unter ihnen haben weniger Wartezeiten, während die leistungsschwächeren sich die Zeit nehmen können, die sie benötigen. 

Unterrichtszeit besser nutzen und kollaborativ arbeiten

Lehrpersonen können die Unterrichtszeit mithilfe digitaler Technologien effizienter und effektiver nutzen, beispielsweise indem sie die Hausaufgaben digital einfordern, vorgängig korrigieren und die Unterrichtszeit dafür verwenden, Fehler zu besprechen und zu verbessern. Der Einsatz digitaler Technologien bedeutet auch, mit der Zeit zu gehen und die Lernenden auf die neue Arbeits- und Lebenswelt vorzubereiten. Unterrichtsunterlagen lassen sich strukturieren, zentral archivieren und unkompliziert teilen. Kollaboratives Arbeiten zwischen Lehrpersonen und Lernenden wird gefördert. 

Abbildung 1: Chancen und Risken der Digitalisierung, (Quelle: Schlussbericht DigiKanti, S. 5; Download am Ende des Artikels)
Abbildung 1: Chancen und Risken der Digitalisierung, (Quelle: Schlussbericht DigiKanti, S. 5; Download am Ende des Artikels)

Hardware-Einsatz braucht ein pädagogisches Konzept

Die Befragten äussern sich darin einig, dass die Digitalisierung des Unterrichts nicht damit getan ist, den Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern Geräte zur Verfügung zu stellen. Um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, bedarf es eines pädagogischen Konzeptes und umfassender Überlegungen dazu, wie digitale Technologien im Unterricht sinnvoll einzusetzen sind. Digitalisierung heisst nicht einfach, Analoges zu digitalisieren bzw. dasselbe wie vorher einfach digital zu machen. Worin der echte Mehrwert digitaler Technologien bestehe, sei vielmehr die zentrale Frage. 

Schattenseiten digitaler Technologien - immer präsent, immer bereit

Als Risiken nennen die Lehrpersonen eine höhere Arbeitsbelastung durch Mehraufwand und Abgrenzungsprobleme auf Grund der stetigen Verfügbarkeit - man könnte schliesslich jederzeit und überall arbeiten. Auch der beschleunigte Wandel und die kurze Lebensdauer von digitalen Technologien stresst die Lehrpersonen. Sie wünschen sich mehr Beständigkeit. Und betreffend Schülerinnen und Schüler sehen sie die Hauptrisiken in der Ablenkung im digitalen Raum sowie in möglichen physischen und psychischen Gesundheitsgefahren: Wie viel Bildschirmzeit ist der Entwicklung der jungen Menschen zuträglich? Viele Lehrpersonen vermuten zudem, die mit digitalen Technologien einhergehenden Möglichkeiten überforderten die Heranwachsenden hinsichtlich Selbstdisziplin, Impulskontrolle und der verfügbaren Menge an Daten und Informationen. Auch negative Auswirkungen auf die Merkleistung, Ausdauer und Schreibkompetenzen der Schülerinnen und Schüler werden befürchtet. Eine weitere Herausforderung birgt die Kenntnis und Einhaltung des Datenschutzes und der Datensicherheit – beide Bereiche müssen ausreichend thematisiert werden. Nicht zuletzt können digitale Technologien die Chancenungleichheit zwischen den Lernenden verstärken, indem diejenigen, die daheim keinen guten Zugang zur IT-Infrastruktur und wenig Unterstützung von den Eltern haben, abgehängt werden könnten.

Lehrpersonen zeigen sich offen gegenüber digitalen Technologien

Nebst den Chancen und Risiken untersuchte die Studie die Einstellung und das Können (u.a. Anwendungsskills) der Lehrpersonen. Es zeigt sich, dass Lehrpersonen gegenüber digitalen Technologien eher positiv eingestellt sind und über gute Anwendungsskills verfügen. Zudem wurde klar, dass die eigene Einstellung und das Können der Lehrpersonen massgeblich dafür sind, ob sie digitale Technologien eher als Chance oder als Risiko wahrnehmen. Lehrpersonen mit einer positiven Einstellung eignen sich das notwendige Können eher an und setzen digitale Technologien im Unterricht häufiger ein. Interessanterweise sind die Unterschiede hinsichtlich der Einstellung und dem Können der Lehrpersonen zwischen den Schulen kleiner als innerhalb der Schulen. 

Abbildung 2: Spannungsfelder im Umgang mit digitalen Technologien (eigene Darstellung). (Quelle: Bericht, S. 13)
Abbildung 2: Spannungsfelder im Umgang mit digitalen Technologien (eigene Darstellung). (Quelle: Bericht, S. 13)

Schulleitungen mit sechs Spannungsfeldern konfrontiert

Im Zentrum der Studie steht die betrieblich-organisationale Ebene der Gymnasien und die Frage, wie die Schulleitungen die Lehrpersonen dabei unterstützen können, digitale Technologien im Unterricht gewinnbringend zu nutzen. Die Studie identifiziert sechs Spannungsfelder, die die Führungsarbeit von Schulleitungen herausfordern.

  1. Das erste Spannungsfeld liegt in den oben beschriebenen, zahlreichen Chancen digitaler Technologien einerseits und den damit einhergehenden Risiken andererseits, die situativ gegeneinander abgewogen werden müssen. 
  2.  Die Unterschiede in der Einstellung und dem Können der Lehrpersonen ergeben ein zweites Spannungsfeld, welches in uneinheitlichen, gar gegensätzlichen Erwartungen und Wünsche an die Schulleitungen resultiert, beispielsweise hinsichtlich der IT-Infrastruktur und Weiterbildungsangeboten. Im Umgang mit diesen beiden Spannungsfeldern gilt es, den Mehrwert von analogen und digitalen Lern- und Lehrarrangements zu kennen und digitale Technologien nur dann einzusetzen, wenn sie echten Mehrwert stiften. Zudem ist auf Methodenvielfalt zu setzen und digitale Technologien sind ausgewogen zu verwenden.

  3. Gemäss Feedback der befragten Lehrpersonen, bestünde die Erwartung seitens der Politik und der Eltern, dass die teuer beschafften Geräte ausreichend häufig verwendet werden – worin ein drittes Spannungsfeld liegt. Deshalb sind folgende Fragen zu klären: Wie oft und wann sollen digitale Technologien verwendet werden und welcher Mehrwert geht damit einher? Wann sollen die Lernenden individuell in ihrem Tempo arbeiten und wann steht gemeinsames Lernen im Vordergrund? Die Lehrpersonen schätzen die Freiräume ihrer Arbeit und wünschen sich gleichzeitig eine gemeinsame Stossrichtung beim Umgang mit digitalen Technologien. Es empfiehlt sich, dass die Schulleitungen, gemeinsam mit den Lehrpersonen, einen verbindlichen Orientierungsrahmen mit ausreichend Gestaltungsraum erarbeitet.

  4. Entsprechend besteht das vierte Spannungsfeld zwischen vorgeben und geschehen lassen. Generell macht es Sinn, die Ressourcen der Lehrpersonen und ihre individuellen Stärken noch systematischer zu nutzen, wobei der Schulleitung eine Förderfunktion zukommt. Gleichzeitig hat die Schulleitung die Aufgabe, kritische Lehrpersonen zu ermutigen und digital weniger affine Lehrpersonen zu befähigen.

  5. Beides bedarf ausreichend zeitlicher und finanzieller Ressourcen, worin ein fünftes Spannungsfeld liegt. Dieses bewege sich zwischen Politik und Behörden, die mit den finanziellen Ressourcen möglichst wirtschaftlich umgehen wollen und Schulleitungen, welche zusätzliche Gelder möchten, um digitaler Technologien gewinnbringend in den Unterricht zu bringen, so die Rückmeldungen der interviewten Lehrpersonen.
  6.  Weiter bedarf es vielfältiger und niederschwelliger Weiterbildungsangebote, um die digitalen Kompetenzen der Lehrpersonen zu stärken. Darin enthalten ist ein sechstes Spannungsfeld, das oszilliert zwischen standardisierten Weiterbildungen zu Gunsten einer gemeinsamen Ausrichtung und individualisierten Weiterbildungen gemäss den Bedürfnissen der Lehrpersonen. 


  • Die Studie ITC DigiKanti: Digitalisierung Luzerner Gymnasien erhalten Sie auf Anfrage bei Shiva Stucki-Sabeti, Dozentin HSLU. 

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