Interview: Vera Bergen
Bilder: Chantal Stafflage
Mit Labrador Ayo hat die Kindergartenlehrperson Chantal Stafflage einen ungewöhnlichen Arbeits-Kollegen. An zwei Tagen pro Woche arbeitet der «Schulhund» bei ihr im Kindergarten Gersag und beruhigt, motiviert oder lockt sogar schüchterne Kinder aus der Reserve. Doch die Anwesenheit eines Hundes im Unterricht ist kein Selbstläufer. Hinter Ayos Job steckt viel Planung, Ausbildung und seine Halterin trägt viel Verantwortung. Wie wird ein Hund zum Schulbegleiter und was bewirkt er im Alltag? Chantal Stafflage berichtet von Freud und Fell im Klassenzimmer.
Für eilige Leserinnen und Leser:
- Der 9-jährige Labrador Ayo ist ein sogenannter Schulhund und hilft der Kindergartenlehrperson Chantal Stafflage bei der Arbeit. Er beruhigt Kinder, motiviert sie und hilft ihnen, sich besser zu fühlen.
- Ayo begleitet Chantal Stafflage seit dem Schuljahr 2015/2016 in den Kindergarten. Die Entscheidung, Ayo als Schulhund einzusetzen, war gut überlegt. Er und seine Besitzerin Chantal Stafflage mussten eine Ausbildung machen und es gibt feste Regeln für seinen Einsatz (siehe Merkblatt).
- Dank und mit Ayo lernen die Kindern den richtigen Umgang mit Hunden.
- Besonders schüchterne oder unruhige Kinder profitieren von Ayos Anwesenheit. Sie werden ruhiger, entspannter und freuen sich, dass Ayo im Kindergarten dabei ist.
- Die Verantwortung für Ayo liegt ganz bei Chantal Stafflage. Sie achtet darauf, dass er Pausen bekommt und dass alle Kinder ihn respektieren.
Chantal Stafflage, Ihr 9-jähriger Hund Ayo begleitet Sie seit mehreren Jahren mit in den Kindergarten und nimmt als Begleithund aktiv am Kindergarten-Alltag teil. Wie sind Sie auf die Idee mit dem Schulhund gekommen?
Ich bin mit einem Hund aufgewachsen und hatte schon immer gerne Hunde. Irgendwann kam der Wunsch auf, einen eigenen Vierbeiner anzuschaffen. Mir war aber klar, dass dieser nicht den ganzen Tag allein zuhause auf mich warten kann. Als ich einige Beiträge über Schulhunde und deren positive Wirkung gelesen hatte, reifte in mir die Idee, dies in meinem Berufsalltag umzusetzen. Nach weiteren Recherchen und langem Überlegen habe ich dann den grossen Schritt gewagt und Ayo zu mir geholt. Seit dem Schuljahr 2015/2016 begleitet er mich nun in den Kindergarten.
Hunde können nicht einfach so in den Kindergarten oder in die Schule mitgebracht werden. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit es klappt?
Zuerst musste die Schulleitung einverstanden sein, dann konnte ich einen Antrag an die Geschäftsleitung (Rektor, Prorektor der Schule sowie diverse Leitungspersonen der Gemeinde im Bereich Schule) stellen. Vor einer definitiven Zusage galt es noch, einige Anforderungen zu erfüllen: Da ich einen Welpen einsetzen wollte, musste ich einen genauen Stundenplan erstellen, wann der Welpe Pause hat. Zudem brauchte es einen «Notfallplan», falls der Einsatz des Schulhunds nicht oder nur teilweise klappen würde. Eine weitere Voraussetzung war der Besuch einer Hundeschule und anschliessend einer Schulhunde- Ausbildung. Mittlerweile hat die zuständige Dienststelle Volksschulbildung ein Merkblatt erarbeitet, dass den Einsatz von Hunden im Klassenzimmer und die entsprechenden Voraussetzungen regelt.
Das klingt anspruchsvoll. Wie lief diese Ausbildung ab?
In den ersten Lebensjahren habe ich mit Ayo die herkömmliche Hundeschule besucht. Dort ging es darum, dass er den Grundgehorsam lernt.
Ein bisschen später habe ich die Schulhunde-Ausbildung absolviert. Dabei habe ich mich bewusst für die Ausbildung beim Hundecoaching-Team «Kommunikation Hund» entschlossen. In der von ihnen angebotenen Ausbildung «Pädagogik Hund» wird sehr viel Wert auf den Charakter des Hundes gelegt. Bei den Treffen vor Ort wurde das Wesen des Hundes eingeschätzt und anhand dieser Erkenntnis weitergearbeitet. Es ging darum, die Position, welche der Hund in einem Rudel hat, zu erkennen und dann darauf basierend die Beziehung zu mir als Mensch aufzubauen und zu stärken. Nun weiss ich, dass Ayo ein sogenannt hinterer Leithund ist und worauf ich wegen seiner Position in einem Rudel achten muss.
In den Theoriekursen lernten wir auch die rechtlichen Verpflichtungen, ärztliche Fürsorge und natürlich die Vorbereitungen für einen Einsatz des Schulhundes. Während der Ausbildung wurden wir immer mal wieder am Einsatzort - also bei mir im Kindergarten - besucht und haben anschliessend eine Rückmeldung erhalten, wo es noch Verbesserungspotenzial gibt.
Nach Abschluss der Ausbildung gibt es alle zwei Jahre eine Supervision und ich muss jährlich mindestens einen Tag eine Weiterbildung besuchen, damit das Zertifikat nicht verfällt.
Welche Vorkehrungen oder Vorbereitungen müssen Sie mit den Kindern und deren Eltern treffen, bevor der Hund in die Klasse kommen konnte?
Da ich Ayo während dem Schuljahr angeschafft habe, musste ich bei diesem Jahrgang von allen Eltern das Einverständnis einholen.
Inzwischen ist es bekannt, dass bei mir im Kindergarten ein Schulhund ist und dies wird auch von Anfang an so kommuniziert. So gibt es die Möglichkeit, bei einer allfälligen Hundehaar-Allergie eine Umteilung in eine andere Kindergarten-Klasse vorzunehmen, ansonsten braucht es keine speziellen Vorkehrungen und auch kein Einverständnis der Eltern mehr.
Am Anfang des Schuljahrs bespreche ich mit den Kindern jeweils, welches die Bedürfnisse eines Hundes sind und welche Regeln es im Umgang mit dem Schulhund gibt. Das Meiste erlernen die Kinder aber im direkten Umgang mit Ayo im Alltag. Dort ist es meinerseits sehr wichtig, Ayo gut zu beobachten, bei allfälligen Problemen rechtzeitig zu handeln und den Kindern zu erklären, wie sich ihr Verhalten auf Ayo, oder auch auf andere Hunde auswirken könnte.
Welche Herausforderungen gibt es bei der Integration eines Hundes in den Schulalltag?
Die grösste Herausforderung ist, dass man am Anfang nicht sicher ist, ob die Integration in den Schulalltag überhaupt funktioniert. Darum war es für mich wichtig, einen Hund schon als Welpen mit in die Schule zu nehmen, damit er sich von klein auf daran gewöhnt. Nicht jeder Hund eignet sich für diese Aufgabe, dies kann man vorher nur teilweise abschätzen.
Es ist auch eine Herausforderung, den Hund so in den Schulalltag zu integrieren, dass es ihm gut geht und dass er sich wohl fühlt.
Zudem hat man als Lehrperson noch eine grössere Verantwortung. Ich muss mir zu jedem Zeitpunkt sicher sein, dass sich der Hund korrekt verhält. Dafür muss ich immer gut beobachten und die Situationen richtig abschätzen. Das ist manchmal schwierig, da meine Kernaufgabe die Arbeit mit den Kindern ist. Bei einem Zwischenfall hafte ich rechtlich immer persönlich. Ich bin für den Hund verantwortlich und muss schauen, dass nichts passiert. Schäden sind meist in der eigenen Haftpflichtversicherung eingeschlossen.
Bei einer Allergie werden Kinder umgeteilt. Wie ist es bei Schülerinnen und Schülern, die Angst vor Hunden haben?
Ich hatte schon Schülerinnen und Schüler, welche Angst hatten und jeweils davongerannt sind, wenn Ayo in ihre Nähe kam. Ein Kind ist jeweils sogar auf den Tisch geklettert. Bis jetzt haben wir es aber bei jedem Kind geschafft, die Angst zu überwinden. Es geht meistens so weit, dass diese Kinder Ayo sogar irgendwann mal streicheln.
Für mich ist es wichtig, dass die Kinder wissen, dass sie Ayo nicht anfassen müssen, wenn sie das nicht möchten. Eine positive Grundhaltung und auch das Beobachten der anderen Kinder, hilft den
Kindern mit Ängsten, diese zu überwinden. In meinen Augen ist dies eine grosse Chance für diese Kinder und hat sicher einen positiven Effekt.
Was für einen Einfluss hat Ayos Anwesenheit generell?
Ayos Anwesenheit hat positive Auswirkungen auf Kinder, welche eher unruhig sind. Ich habe schon öfter beobachtet, dass sie sich durch Ayo ruhiger verhalten, das gilt aber auch ganz grundsätzlich. Es spielt keine Rolle, ob die Kinder verhaltensauffällig sind oder nicht.
Die Kinder freuen sich, wenn Ayo im Unterricht mit dabei ist. Das ist grundsätzlich schön. Manchmal hilft es Kindern mit Ablösungsproblemen, wenn sie wissen, dass Ayo im Kindergarten ist. Es ist eine Motivation für sie, in den Kindergarten zu kommen. Hunde haben keine Vorurteile und nehmen den Menschen so, wie er ist. Das hilft vor allem Kindern, die wenig Anschluss zu anderen finden. In solchen Fällen konnte ich schon beobachten, dass ihnen der Umgang mit Ayo guttut und sie bestärkt. Die Kontaktaufnahme ist einfacher und der Hund verzeiht Fehler viel schneller als Menschen.
In welchen Bereichen des Unterrichts wird Ayo aktiv eingesetzt?
Ayo wird sehr wenig aktiv im Unterricht eingesetzt. In der Ausbildung haben wir gelernt, dass die meisten Hunde wenig Interesse haben, irgendwelche Übungen zu machen, die nicht ihrem Wesen entsprechen. Das ein Hund sich hinsetzen muss, nur weil ich als Mensch das möchte, macht im Auge des Hundes keinen Sinn, es nützt ihm nichts. Natürlich gibt es Situationen, wo der Hund das im Alltag machen muss, aber ein Hund im Rudel setzt sich nicht einfach so ohne Grund hin. Wir Menschen möchten das einfach so, weil es für uns nützlich ist.
Diese Philosophie versuche ich auch im Kindergarten umzusetzen. Ayo ist nicht das Maskottchen, das man für jede Übung einsetzen kann, sondern er soll durch seine Anwesenheit die Kinder unterstützen. Zudem ist es in meinen Augen wichtiger, dass die Kinder den richtigen Umgang mit einem Hund lernen, als das Ayo für die Kinder bei einem Spiel den Würfel «werfen» kann.
«Hunde haben keine Vorurteile und nehmen den Menschen so, wie er ist.
Das hilft vor allem Kindern, die wenig Anschluss zu anderen finden».
Wie stellen Sie sicher, dass Ayo im Kindergartenumfeld ausreichend Ruhe bekommt?
Ayo hat eine Hundebox, die an einem Ort steht, wo die Kinder nur selten vorbei gehen. Wenn er in dieser Box ist, gilt die Regel, dass man Ayo in Ruhe lassen muss. Als Welpe hat er gelernt, dass er sich jederzeit in seine Box zurückziehen kann und die Kinder das akzeptieren. Mittlerweile zieht er sich von allein in die Box zurück, wenn er Ruhe braucht. Aktuell arbeitet Ayo während zwei Tagen pro Woche im Kindergarten. Die meiste Zeit sieht man ihn aber gar nicht, weil er sich in seine Box oder in die Bücherecke der Kinder verzieht und schläft.
Gibt es besondere Erlebnisse oder Erfolge, die Sie durch den Einsatz Ihres Schulhundes erlebt haben?
Eines meiner schönsten Erlebnisse war ein geistig beeinträchtigtes Kind, welches bei uns im Kindergarten war und von Beginn an sehr Angst vor Ayo hatte. Bis zum Schluss des Schuljahres haben wir es geschafft, dass dieses Kind Ayo akzeptiert und sogar gestreichelt hat.
Ein grosser Erfolg ist es für mich, dass Ayo seine Arbeit so gut macht, so geduldig ist und vielen Kindern ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Es ist tatsächlich so, dass zum Teil noch Sek-Schüler, welche mal bei mir im Kindergarten waren, vor der Schule oder in der Pause fragen, ob sie Ayo streicheln dürfen.
Was raten Sie anderen Lehrerpersonen, die überlegen, einen Schulbegleithund in ihren Unterricht zu integrieren?
Ich würde ihnen raten, sich dies vorher gut zu überlegen. Es macht in meinen Augen Sinn, sich einen genauen Plan zu machen und alle möglichen Szenarien durchzugehen. Wie bereits erwähnt, finde ich es sinnvoll, einen Hund bereits als Welpen zu sich zu nehmen, damit man ihn von Anfang an kennt.
Die Ausbildung «Pädagogik Hund» lege ich allen ans Herz legen, die einen Schulbegleithund ausbilden möchten. Ich habe dort so viel gelernt, nicht nur für den Einsatz in der Schule, sondern auch für die Bindung des Mensch-Hund-Teams, was eine zentrale Rolle spielt.
«Es ist tatsächlich so, dass zum Teil noch Sek-Schülerinnen und -Schüler, welche mal bei mir im Kindergarten waren, vor der Schule oder in der Pause fragen, ob sie Ayo streicheln dürfen».
Wieso eignet sich Ayo als Chocolate Labrador gut für diesen «Job»?
Grundsätzlich muss ein Schulhund menschenbezogen und freundlich sein. Chocolate Labradore, wie Ayo einer ist, haben eine sehr freundliche und gesellige Art. Sie eignen sich sehr gut als Familienhunde, da sie den Kontakt zu Menschen suchen. Zudem sind sie sehr anpassungsfähig. Ayo hat eine sehr soziale und feinfühlige Art. Er nimmt Veränderungen stark wahr und setzt sich für «seine» Menschen ein. Jetzt im Alter ist Ayo ein ruhiger und gelassener Hund, der sich super als Schulhund eignet. Es war sicher hilfreich, dass ich Ayo schon als Welpe in den Kindergarten mitnehmen durfte. So hat er sich von klein an daran gewöhnt.
Wie geht es Ayo nach einem Tag im Kindergarten?
Ayo ist meistens müde, dies, obwohl er schon im Kindergarten viel schläft. Hunde nehmen Emotionen sehr stark war, auch wenn man es ihnen nicht direkt ansieht. Das ist bei Ayo auch so. Nach dem Kindergarten möchte er aber jeweils noch mit mir spielen, dies hilft ihm sicher, die vielen Eindrücke zu verarbeiten. Die Spaziergänge am Mittag und nach dem Kindergarten helfen Ayo, seinen Kopf durchzulüften und sich von der Arbeit wieder zu erholen.
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