Interview: Romy Villiger, Kommunikation Dienststelle Volksschulbildung
«Der Einsatz hat sich ausbezahlt: fast alle offenen Stellen konnten auf den Schulstart hin im Kanton Luzern besetzt werden», erklärt Martina Krieg, neue Leiterin der Dienststelle Volksschulbildung im Interview zur aktuellen Situation rund um den Mangel an Lehrpersonen. Doch: «Die Herausforderungen und Anstrengungen insbesondere für die Schulleitungen waren gross – langfristige Massnahmen sind gefragt.»
Martina Krieg, die Sommerferien sind zu Ende. Mit welchen Gefühlen sehen Sie dem neuen Schuljahr entgegen?
Mit Freude und gespannt-positiv! Wir verfügen im Kanton Luzern über engagierte Schulleitungen und qualifizierte Lehr- und Fachpersonen. Ich bin überzeugt, dass sie auch in diesem Schuljahr wieder voller Elan tollen Unterricht gestalten und sich gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen für eine gute Schulqualität einsetzen. Allen Lehrpersonen mit einem hohen Berufsethos liegt viel am Wohl der Kinder und Jugendlichen und dafür geben sie täglich ihr Bestes. Wir von der Dienststelle Volksschulbildung werden sie dabei nach Kräften unterstützen.
Sie selber haben viele Jahre als Primarlehrerin unterrichtet. Was gab damals den Ausschlag für Ihre Berufswahl?
Mein 6. Klasslehrer Herr Bodmer war ausschlaggebend. Er hat uns Kinder im Unterricht jeden Tag begeistert, vor allem Singen und Musizieren sind unvergesslich. Bei der Berufswahl hat mich die Vielseitigkeit des Berufs fasziniert. Gestalten, Musik, Sprache, Mathematik, Sport, Geschichte – mir hat alles gefallen. Als Lehrerin musste ich mich nicht für ein Fach entscheiden, sondern konnte alles machen. Die Gestaltung der Arbeitszeit fand ich auch interessant, weil ich in der Schulzeit sehr viel arbeiten und mir dann dafür mehr Ferien nehmen konnte, oder umgekehrt auch mal viel in den Schulferien der Kinder arbeiten. Im Seminar haben mich dann die Themen rund um Lernen und Entwicklung richtiggehend gepackt. Und last but not least: Mit Kindern ist es lustig, es vergeht kein Tag ohne Lachen.
Trotz der geschilderten Vielseitigkeit des Lehrberufs hatten dieses Jahr viele Schulen grosse Mühe, die offenen Stellen zu besetzen. In den letzten Wochen war der Mangel an Lehrpersonen in den Medien das Thema schlechthin. Wie zeigt sich die Situation im Kanton Luzern?
Die Besetzung der Stellen war für die Schulleitenden eine immense Herausforderung und gelang nur dank ihrer grossen Anstrengungen und der flankierenden Massnahmen der Dienststelle Volksschulbildung (DVS). Doch der Einsatz hat sich ausbezahlt: Am 16. August waren auf Beginn des Schuljahres noch fünf Stellen ausgeschrieben: eine 50%-Stelle für eine Lehrperson für Integrative Förderung/Sonderschulung und drei Kleinpensen für Lehrpersonen Deutsch als Zweitsprache (DaZ) in der Primarschule sowie eine 50%-Stelle DaZ in der Sekundarschule.
«Die Zahl der bis 2025 zu
erwartenden Lernenden in der Volksschule
entwickelt sich sehr viel schneller als jemals zuvor.»
Welche Massnahmen sprechen Sie an?
Es gibt nicht DIE Massnahme, die greift. Vielmehr ist es das Gesamtpaket der Massnahmen, die seit Frühling kurzfristig umgesetzt wurden, beispielsweise die Aktivierung von pensionierten Lehrpersonen, Werbung bei PH-Abgängerinnen und Abgängern aller Stufen und auch die telefonische und schriftliche Beratung von Schulleitungen mit Rekrutierungsfragen durch die DVS. Trotzdem: Nicht alle Schulen konnten ihre Vakanzen wunschgemäss besetzen, teilweise mussten sie interne Übergangslösungen finden oder Personen anstellen, die nicht über die vollständige Ausbildung für ihre Stufe verfügen. Die Situation bleibt weiterhin angespannt.
Stichwort «vollständig ausgebildete Lehrpersonen»: Wie steht es damit im Kanton Luzern, können Sie Zahlen nennen?
Die Zahlen für das neue Schuljahr sind noch nicht bekannt. Diese erheben wir jeweils per 1. September. Stand letztes Schuljahr hatten rund 95% der Kindergarten-, Basisstufen- und Primarschullehrpersonen die vollumfängliche Ausbildung. Bei den Sekundarschullehrpersonen lag der Anteil bei etwa 76%. In diesen Zahlen sind Lehrpersonen mit einem Pensum von unter 15% sowie Förderlehrpersonen nicht berücksichtigt.
Worauf führen Sie den Mangel an qualifizierten Lehrpersonen zurück?
Lehrpersonenmangel ist kein neues Phänomen, sondern ein wiederkehrendes, länger dauerndes Problem. Bereits der nationale Bildungsbericht 2018 hat den Mangel prognostiziert. Zentrale Ursachen sind die Pensionierung der Lehrpersonen der «Babyboomer-Generation» und die steigenden Schülerinnen- und Schülerzahlen.
Die Zahl der bis 2025 zu erwartenden Lernenden in der Volksschule entwickelt sich sehr viel schneller als jemals zuvor. Doch das sind nicht die einzigen Gründe. Auch der Trend zu immer mehr Teilzeitarbeit dürfte eine Rolle spielen, zurzeit lockt zudem die Privatwirtschaft mit vielen interessanten Jobs und zahlreiche junge Lehrpersonen setzen jetzt ihre von der Pandemie verhinderten Reisepläne um. Anita Sandmeier und Silvio Herzog von der PH Schwyz haben zu diesem Thema im August 2022 einen aufschlussreichen Bericht verfasst: «Lehrkräftemangel: Fakten, Gründe, Massnahmen».
Auch wenn die Stellen für das neue Schuljahr schliesslich fast alle besetzt werden konnten - der Mangel an ausgebildeten Lehrpersonen bleibt weiterhin akut, wie Sie selber sagen. Wie wollen Sie das Problem angehen?
Zusätzlich zu den genannten kurzfristigen Massnahmen planen wir auch mittel- und langfristige Massnahmen. So sind wir daran, das Stellenportal zu erneuern. Für den Herbst 2022 planen wir eine vertiefte Analyse möglicher Gründe für den Mangel an Lehrpersonen. Auch die Anstellungsbedingungen, die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie die Belastungssituation von Lehrpersonen wollen wir dabei genau anschauen. Aus den Erkenntnissen werden wir dann Massnahmen ableiten, selbstverständlich in Zusammenarbeit mit den Schulpartnern wie LLV, VSL LU und PH Luzern.
Seit Kurzem wird in den Medien eine neue Idee diskutiert: Lehrpersonen mit höheren Pensen sollen besser entlöhnt werden. Was sagen Sie dazu?
Alle konstruktiven Vorschläge prüfen wir eingehend und mit der nötigen Sorgfalt. Wir haben im Juni einen politischen Vorstoss zum Thema Lehrpersonenmangel und Anstellungsbedingungen erhalten und werden im Rahmen der Beantwortung diese und andere, noch nicht spruchreife Ideen, näher prüfen.
Martina Krieg (Jg. 1968) leitet seit 1. Juli 2022 die Dienststelle Volksschulbildung. Sie hat das Lehrerseminar in Pfäffikon und Rickenbach absolviert, viele Jahre als Primarlehrerin unterrichtet und vor rund 10 Jahren einen Bachelor in Bildungswissenschaft und berufsbegleitend einen Master in Schulentwicklung absolviert. In ihrer bisher über 30jährigen Berufslaufbahn im Bildungsbereich arbeitete sie nebst dem Lehrberuf auch als Referentin, Kursleiterin in der Eltern- und Lehrerweiterbildung sowie als Coach für Schulleitungen und als Dozentin an der PH Luzern. Die neue Dienststellenleiterin Volksschulbildung lebt mit ihrer Familie in Einsiedeln und hat als Mutter von drei mittlerweile erwachsenen Kindern auch einen persönlichen Bezug zu Schul- und Unterrichtsthemen.
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