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Fernunterricht am Gymnasium - Sehnsucht nach realem Schulbetrieb wächst

Text: Blog-Redaktion / Bilder: zVg.

So wie Annette Studer, Rektorin der Kanti Reussbühl, geht es wohl den meisten Rektorinnen und Rektoren im Kanton Luzern. Sie vermissen ihre Schülerinnen und Schüler, das Lehrerkollegium wie auch das laute bunte und zuweilen chaotische Treiben auf dem Schulareal. Nach acht Wochen Schulschliessung und Fernunterricht, könnten sich ab dem 11. Mai die Schulen wieder mit Leben füllen.

Kantonsschule Reussbühl Luzern Gebäude
An der Kantonsschule Reussbühl besuchen rund 670 Schülerinnen und Schüler das Langzeit- bzw. das Kurzzeitgymnasium

Seit alle Schulen der Schweiz infolge Corona Mitte März geschlossen wurden, musste der Unterricht an den neun Luzerner Kantonsschulen im Eiltempo und praktisch übers Wochenende an die neuen Verhältnisse angepasst werden. Inzwischen – nach vier Wochen Fernunterricht und der Vorbereitung auf die Fortsetzung nach den Frühlingsferien, ist in diesem Ausnahmezustand so etwas wie Normalität eingekehrt.

 

Nach Planung des Bundesrats werden die Kantischüler am 8. Juni 2020 wieder zur Schule gehen, die Klassen des Untergymnasiums als Teil der obligatorischen Schule schon ab dem 11. Mai. Und doch sind aktuell viele Fragen offen, wie es mit dem Unterricht, der Schulorganisation oder den Maturaprüfungen weitergeht.

Fernunterricht – Neuland für Lehrpersonen und Lernende

Nach den ersten vier Wochen Fernunterricht blickt Rektorin Annette Studer mehrheitlich positiv auf die Erfahrungen zurück: Für alle Schülerinnen und Schüler ging der Unterricht auch zu Hause gemäss Stundenplan weiter. «Unsere mit eigenen Notebooks ausgestatteten Oberstufen-Klassen trafen wir online über «Teams», verteilen Arbeitsaufträge und lassen auch in Gruppen arbeiten». Die digitale Form des Unterrichtens bringt es mit sich, dass die Inhalte in jedem Fach entsprechend anders aufbereitet werden müssen.

 

Beispielsweise bereitet Chemielehrer Rudolf Pletzer seine Lektionen in Sequenzen vor und führt die Stunde auch so durch: mit einer Startkonferenz beginnend, lässt er eine Arbeitsphase mit Aufträgen folgen, geht über in eine Schlusskonferenz und beendet die Lektion mit einem Quiz. Für komplexe Sachverhalte erstellt er Präsentationen oder kurze Erklärvideos.

 

Für Französischlehrerin Regula Schöb, die zu Hause neben der Unterrichtszeit auch ihr 6-jähriges Kind zu betreuen hat, ist das Arbeitsvolumen merklich gestiegen. Jede Lektion müsse minutiöser vorbereitet werden. Die Spontaneität, die mit den vielen Erfahrungsjahren sonst möglich sei, liesse sich online nicht wirklich anwenden.

Homeoffice und Betreuung: Lehrerin mit Tochter am Küchentisch
Multitasking ist gefragt: Französischlehrerin Regula Schöb und ihre sechsjährige Tochter beim Arbeiten. Bild: zVg.

Distance Teaching: Unterschied Ober- und Untergymnasium

Während digitale Lehr- und Lernformen auf der Oberstufe gängig sind, ist die Situation auf der Unterstufe anders. Die Schülerinnen und Schüler der 1. bis 3. Klassen des Langzeitgymnasiums sind nämlich nicht mit eigenen Notebooks ausgerüstet. Zu Hause teilen sie sich häufig einen Computer mit anderen Familienmitgliedern. Der Fernunterricht ist in diesen Klassen weniger digitalisiert.

 

Zwar erhalten die Lernenden ihre Aufträge meist per E-Mail oder über OneDrive und können mit dem Smartphone im «Teams» chatten. Doch die Auseinandersetzung mit dem Lernstoff passiert nach wie vor hauptsächlich mittels analoger Lehrmittel. Zum Teil schicken die Lehrpersonen Material sogar per Post nach Hause. Diese Bedingungen sind zum Beispiel für Vertiefungsaufgaben und Repetitionen, und weniger zum Erschliessen neuer Wissensgebiete geeignet.

 

Auch aus gesundheitlichen Gründen sei es wichtig, dass die Jugendlichen nicht den ganzen Tag vor dem Bildschirm sitzen, betont Annette Studer.

Screenshot Arbeitsauftrag Chemie über OneNote
Chemieunterricht: Lehrer und Schüler tauschen sich über OneNote in Echtzeit aus.

Unterschiedliche Situationen und Bedingungen im Fernunterricht

Den Lernenden verlangt der Fernunterricht viel Disziplin, Selbständigkeit und

Eigenverantwortung ab. Das klappe in den meisten Fällen gut, bestätigen viele Lehrkräfte aufgrund ihrer Erfahrungen und Feedbacks, die sie bei ihren Klassen eingeholt haben. Die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten haben sich engagiert und diszipliniert auf das Abenteuer Fernunterricht eingelassen, berichtet Chemielehrer Rudolf Pletzer. Mathematik- und Philosophielehrer Roland Reichmuth bestätigt diese Beobachtung: «Die jungen Menschen wollen lernen und sind konzentriert bei der Arbeit. Das erfahre ich bei den Rückmeldungen und Fragen auf meine Erklärvideos.» Auch Französischlehrerin Regula Schöb macht ähnliche Erfahrungen: «Die Motivation scheint bei den meisten hoch. Zum Teil höre bzw. lese ich von sonst eher stillen Personen sogar mehr als im normalen Unterricht.» 

 

Für manche Jugendliche ist der Fernunterricht jedoch besonders herausfordernd, da sie in beengten räumlichen Verhältnissen leben, in die Haushaltsarbeit eingebunden sind oder die Betreuung jüngerer Geschwister übernehmen müssen. Sie haben in dieser Situation weniger Zeit, um sich vollständig den Schulaufgaben zu widmen.  Auch erhalten nicht alle von ihren Eltern gleich viel Unterstützung.

 

Vor allem auf der Unterstufe, wo die Lernenden noch weniger selbständig und auch technisch weniger versiert sind, kann dies zu Ungleichheiten führen, deren Ausmass und Konsequenzen aktuell noch schwierig abschätzbar sind. «Dies sind Gründe, weshalb während der Fernunterrichtsphase bis zu den Osterferien in den 1.-5. Klassen (ausser in den maturarelevanten Fächern) auf Leistungsbeurteilungen verzichtet wurde», erläutert die Rektorin. «Wir achten sehr genau darauf, dass durch die Schulschliessung keine Nachteile für die Promotionen entstehen», sagt Annette Studer. Und sollte sich nach der Wiedereröffnung der Schulen herausstellen, dass die Wissensvermittlung im Fernunterricht nicht in allen Fällen gemäss Lehrplan hat stattfinden können, werde darauf im Übergang zum nächsten Schuljahr Rücksicht genommen, etwa mittels gründlicher Stoffrepetitionen zum Schuljahresbeginn, so Studer weiter.

Maturaklassen und Maturaprüfungen

Allein an der Kanti Reussbühl befinden sich 86 Schüler/innen in den Abschlussklassen und stehen vor den Maturaprüfungen – in ganz Luzern sind es rund 770.

 

Der Beschluss der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz EDK, das Schuljahr 2019/2020 auf allen Stufen als vollwertig anzuerkennen, hat vielen die Unsicherheit vor einem möglicherweise «verlorenen» Schuljahr genommen. Eine Rückkehr zum normalen Schulbetrieb für Gymnasien, Berufs- und Hochschulen hat der Bundesrat auf den 8. Juni vorgesehen.

 

Aktuell ist noch offen, ob die Maturaprüfungen planmässig und im gewohnten Umfang stattfinden können. National wie kantonal werden mögliche Szenarien diskutiert wie planmässige Durchführung, anteilige Durchführung oder Verzicht auf die Prüfungen. Die Entscheidung zum Vorgehen, wird in den nächsten Tagen erwartet.

 

Klar ist, dass bei den Maturaprüfungen die Sicherheitsvorschriften des BAG eingehalten werden müssen. An der Kanti Reussbühl könnte dies beispielweise bedeuten, dass die schriftlichen Prüfungen in mehreren grossen Räumen in verschiedenen Gebäudetrakten mit separaten Eingängen und WC-Anlagen stattfänden. Die erhöhten Sicherheitsdispositive ziehen eine umfangreiche logistische Vorbereitung und Mehraufwand nach sich, zumal während der Prüfungen auch viel mehr Aufsichtspersonen eingesetzt werden müssten.

Die detaillierten Vorgaben werden nach dem Beschluss über die Durchführung der Maturaprüfung vom Bund bekanntgegeben.

Dora Jurcevic, Scülerin der Abschlussklasse an der Kanti Reussbühl
Maturandin Dora Jurcevic an ihrem Arbeitspult zu Hause. Bild: zVg.

Bis es soweit ist, bringt Maturandin Dora Jurcevic ihre persönliche Einschätzung auf den Punkt: «Wir haben deutlich weniger Hausaufgaben und die ausfallenden Prüfungen führen dazu, dass der Schulalltag früher fertig und somit genug Zeit für andere Dinge vorhanden ist, welche sonst zu kurz kommen, wie z.B. Lesen, Abschalten, tägliches Spazieren, Sport, genug Zeit, um sich Gedanken zu machen über das weitere Leben und die Studienwahl.»


Dieser Beitrag entstand auf Grundlage eines detaillierten Infoletters der Kantonsschule Reussbühl, der KSR-Nachrichten April 2020


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