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Kanti Reussbühl: Fünf Klassen bloggen im Deutschunterricht und haben wachsende Freude am Schreiben

Text/Interview: Gabriela Mischkale, Bilder: Kantonsschule Reussbühl Luzern

Auf der Plattform "Digitale Welten" der Kanti Reussbühl veröffentlichen rund 100 Schülerinnen und Schüler individuelle Textbeiträge für den Deutschunterricht. Sie bloggen über Themen, die sie interessieren, feilen an ihren Texten, werden gelesen und können mit ihrer Leserschaft interagieren. Bloggen macht Freude und steigert die Motivation am Schreiben bei Lernenden wie Lehrpersonen. Drei Lehrer haben dieses Projekt initiiert.

Bild aussen kanti Reussbühl
Schülerinnen und Schüler strömen in die Kanti Reussbühl. Bild zVg.

Die Posts handeln von Bio-Essen, Fake News & Images, Trompetenspielen, digital zeichnen, Powernap und Erholung, Game-Sucht oder vom Rubik Würfel - das ist nur der Anfang einer langen Liste und die Autorinnen und Autoren dieser Posts sind aus der Klasse 4c. Diese und die Klassen 4b, 4d, 4e und 4k bloggen in diesem Schuljahr im Deutschunterricht. Die Texte sind so vielfältig wie die rund 110 Schülerinnen und Schüler und lesen sich wie Miniexpertisen und Lexikoneinträge. 

 

Die Idee hinter den Digitalen Welten - mit neuen Medien einen zeitgemässen vernetzten Unterricht zu ermöglichen - geht auf. Selten hat sich die Textarbeit einen derartig grossen Zuspruch seitens der Schülerinnen und Schüler erfreut. "Ein Idealfall in Sachen Schulentwicklung", nennt das Irene Gerber, Prorektorin und selber Deutschlehrerin. Die ganze Schule profitiere davon, wenn Initiativen für Projekte aus dem Kollegium selbst kommen. Und fachlich sei das Projekt "bestechend, weil es Schülerinnen und Schüler dazu animiert, generell mehr und gerne zu schreiben." 

René Israng, Christoph Schaufelberger, Peter Kehrli, kanti Reussbühl
Die Initianten der "Digitalen Welten" an der Kanti Reussbühl (v.l.n.r.) René Israng, Christoph Schaufelberger und Peter Kehrli engagieren sich für das Projekt. Bild zVg.

Peter Kehrli, Fachlehrer für Deutsch, ist sehr erfreut, dass dieses Jahr schon vier Deutschlehrpersonen ihre Klassen an das Bloggen herangeführt haben. Er schildert im nachfolgenden Interview die Entstehung der Blog-Plattform, den Weg dahin zusammen mit René Israng (Biologielehrer) und Christoph Schaufelberger (Deutschlehrer), die Fülle an Kompetenzen, die dabei erworben werden und die Rolle der "intrinsischen Motivation" für das Lernen.

Bloggen an der Schule - was hat Sie auf diese Idee gebracht?

Peter Kehrli: An unserer Schule haben sich drei Lehrpersonen zum Ziel gesetzt, das Bloggen an die Schule zu bringen. Nach längerer Aufbauzeit und mit Hilfe von Anita Holdener, IT-Fachperson der Hochschule Luzern, gelang es uns, die Grundlage für die sogenannte Blog-Farm (KSR Digitale Welten) zu legen, in der heute gebloggt wird. Unser Blogging-Tool Wordpress wird von unserem Lehrer-Kollegen René Israng administriert. Den ganzen Prozess mitgestaltet hat Christoph Schaufelberger (Fachlehrer für Deutsch). Und den Speicherplatz mieten wir bei einem Schweizer Anbieter.

 

Die Idee haben wir uns abgeschaut: In Deutschland gab es von 2003-2010 eine regelrechte Blog-Welle an Schulen aller Stufen. Die scheint inzwischen abgeebbt, denn aktuell finden sich viele «verwaiste» Blogs aus dieser Zeit. Auf Schweizer Schulen ist diese Blog-Welle aus dem Nachbarland nie so richtig übergeschwappt. Dabei gehören Informatik, Medienbildung und BYOD gerade an Luzerner Gymnasien (MAR) zum Lehrplan. Auch Medien-Pädagogen wie Philippe Wampfler werden seit Jahren nicht müde, die Vorteile von Social Media und dem Einsatz neuer Medien in Schulen und im Unterricht, aufzuzeigen. 

Welche Kompetenzen bei den Schülerinnen und Schülern und auch bei den Lehrpersonen werden durch den Einsatz des Blogs gefördert?

Peter Kehrli: Seit diesem Schuljahr bloggen gleich vier Deutschlehrinnen und Deutschlehrer mit insgesamt fünf 4. Klassen resp. rund 100 BloggerInnen.

Deutschlehrpersonen interessieren sich aus verschiedenen Gründen fürs Bloggen ihrer Schüler: sie lesen die Texte nicht mehr allein. Der Kreis der Rezipienten, die Möglichkeit zum Dialog und somit der Wirkungsradius - all dies wächst durch die digitale Veröffentlichung. Damit verbunden ist auch die Hoffnung, dass die Klasse stärker als sonst motiviert ist, einen attraktiven, kohärenten, korrekten und adressatengerechten Text anzufertigen.

 

Blog-Posts wenden sich viel stärker als traditionelle Textsorten an das Publikum. Sehr oft wird in den letzten Sätzen zum Verfassen von Kommentaren aufgerufen. Auf Seite der Schülerinnen und Schüler ist am Bloggen spannend, dass man das Schreiben im Deutschunterricht mit der eigenen Lebenserfahrung verbinden kann, indem man z.B. über ein schon bestehendes Interesse berichten kann.

 

Blog 4b Kanti reussbühl
Ein Beispiel aus der Klasse 4b - ein Blog über die Relativitätstheorie

Wo liegen die Stolpersteine?

Peter Kehrli: Wir betrachten Schwierigkeiten nicht als Stolpersteine, sondern als Herausforderungen. Von Beginn weg war klar, dass die Schülerinnen und Schüler die vollen Rechte über ihren Blog haben; und nur sie allein. Sie allein legen die Design-Vorlage fest und administrieren die Kommentare.

 

Sie schreiben von Beginn weg im freien Netz und nicht in einem passwortgeschützten Bereich. Es gab noch nie eine Situation, in der wir den Vertrauen-Vorschuss, den wir den Klassen geben, bereut hätten. Selbstverständlich befähigen wir unsere Schülerinnen und Schüler und führen sie an die Selbstverantwortung, die nötig ist, heran. 

Die Schülerinnen und Schüler denken intensiver über ihre Sprache nach, sind aktiver und viel stärker als sonst damit beschäftigt, an ihren Formulierungen zu feilen. Das Bloggen eine gute Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler in einer Zeit, in der sie mitten in der Phase der Identitätsfindung sind, abzuholen und – jenseits der gängigen Widerstände – intrinsisch motiviert zum Schreiben zu bringen. Z.B. die Notwendigkeit, Ausführungen zu strukturieren, leuchtet hier allen ein und wird berücksichtigt. Die intrinsische Motivation beim Bloggen wirkt eindeutig als Katalysator für eine positive Entwicklung der Sprachkompetenzen der Schülerinnen und Schüler.

Gerda Bissig, Deutschlehrerin 

Tanzblog Klasse 4k Reussbühl
Ein Beispiel aus der klasse 4k - Der Tanzblog bietet Informationen über verschiede Tanzstile und die gesellschaftlich-kulturelle Bedeutung des Tanzes

Wo sind die Highlights?

Peter Kehrli: Ganz klar in der gesteigerten Sprachkompetenzen und in der Freude, das eigene Interesse auszudrucken. Aber auch in der zusätzlichen Kenntnis vom Umgang mit dem Tool, der Rechtslage und dem Datenschutz.

 

Für Eliane Nater, die auch Deutsch unterrichtet und erstmals mit einer Klasse bloggt, sind die Highlights, dass auch jene Schülerinnen und Schüler, die sonst eher demotiviert wirken, engagiert bei der Sache sind. Dies habe sicherlich in erster Linie mit der freien Themenwahl zu tun, welche eine Autonomie- und Selbstwirk­samkeits­erfahrung fördert.

Endlich darf der eine Schüler über sein Lieblingcomputergame schreiben – seine Leidenschaft wird ernst genommen und nicht als Ablenkung vom Schulstoff abgetan! Endlich ist die Schülerin die Expertin und nicht die Lehrperson! Und der blogtypische Sprachstil, der ja stark auf das Zielpublikum ausgerichtet ist, entspricht viel eher der  Lebenswelt der Jugendlichen als z.B. die sehr sachliche Sprache einer dialektischen Erörterung.

Eliane Nater, Deutschlehrerin


Blog KS corona 4d
Ein Bespielblog aus der klasse 4d handelt von den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Psyche der Menschen

Wie nehmen Schülerinnen und Schüler das Bloggen im Unterricht an?

Peter Kehrli: Hier möchte ich wiederum Eliane Nater zu Wort kommen lassen: 


Einige Schülerinnen oder Schüler sind sogar fast übermotiviert, in dem Sinne, dass sie viel schneller arbeiten, als von ihnen verlangt, also auch neben dem Unterricht ein hohes Engagement zeigen. Auch dies hat natürlich mit der freien Themenwahl zu tun. 

Die Blogs sind öffentlich und alle wollen vor der Klasse eine gute Falle machen. Sie können eine schwache Leistung nicht rechtfertigen mit äusseren Attribuierungen wie «das Thema interessiert wenig, also engagiere ich mich nicht.

Eliane Nater, Deutschlehrerin

Können Sie beschreiben, wie so ein Auftrag im Unterricht abläuft und wie der aufgebaut ist?

Mittlerweile haben sich klare Standards herauskristallisiert, wie die Klasse an das Vorhaben herangeführt wird. Zunächst werden bestehende Beispiele studiert, dann berät die Lehrperson individuell die Schülerinnen und Schüler bei der Themenwahl. Der nächste Schritt umfasst die Planung der ersten fünf Posts.

 

Als flankierende Massnahme kommen die Rechtsbelehrung und die Schulung im Wordpress-Editor hinzu. Später verfasst die Lehrperson zu ausgewählten oder allen Blogs ein Feedback. Nach einer weiteren Phase findet auch eine Bewertung statt anhand eines Kriterienrasters, der zuvor besprochen worden ist.

 

Als praktikabel hat sich erwiesen, wenn die Klasse ca. 30-40 Prozent der Arbeit im Deutschunterricht erledigen kann. Insgesamt ist das etwas aufwändiger als der traditionelle Schreibunterricht.

Die einzelnen Blogposts sind inhaltlich vielfältig und auch in der Aufmachung individuell gestaltet. Wird der Umgang mit dem Tool geschult?

Das Tool Wordpress, das wir einsetzen, bietet eine Vielzahl von Design-Vorlagen, sogenannten «Themes». Die Schülerinnen und Schüler können einfach eines auswählen und benötigen keine gestalterischen Vorkenntnisse.

 

Da wir vor allem mit 4. Klassen des Langzeitgymnasiums bloggen, können wir aber davon profitieren, dass die Klasse punkto Titelsetzung, Aufbau, Illustration mit Bildern usw. doch ein schon recht gut entwickeltes ästhetisches Bewusstsein hat und sinnvolle Entscheidungen trifft. Als Illustration empfehlen wir eigene Bilder, Printscreens von Webseiten oder Video-Framing von Youtube-Videos.

 

Durch das Bloggen wird auch die Netikette geschult, also die Kenntnis davon, wie die Verhaltensregeln im Internet sind. Bei der Rechtsbelehrung werden auch Grundprinzipien wie Urheberrechte von Bildern und Texten sowie der Personendatenschutz angesprochen. Zudem ist es eine sinnvolle Erfordernis, dass die Bloggerin und der Blogger die genutzten bzw. verarbeiteten Quellen am Schluss deklariert.

 

Mit dem Führen des Blogs werden die Schülerinnen und Schüler übrigens selber zu Rechte-InhaberInnen, denn man darf auch ihre Bilder und Texte nicht ungefragt weiterverbreiten.


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