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Für bessere Bildungschancen: Fünf basellandschaftliche Gymnasien bilden sich an der Kantonsschule Reussbühl weiter

Text: Ernst Kindhauser, Allianz Chance Plus

 

Hassan will Informatiker werden, Ruslan Wirtschaft studieren und Ramona Biologie. Alle drei besuchen das Förderprogramm CHANCE KSR an der Kantonsschule Reussbühl Luzern, sie sind gut in der Schule, fleissig und motiviert, ihre Eltern keine Akademiker – und allesamt haben sie Migrationshintergrund. Was sie verbindet, sagt Hassan, sei der unbedingte Wille, «später bessere Berufsmöglichkeiten zu haben».

Ernst Kindhauser, Journalist und Historiker, ist Kommunikationsverantwortlicher der nationalen Allianz Chance+ für gerechte Bildungschancen, der auch die CHANCE KSR Reussbühl angehört.
Ernst Kindhauser, Journalist und Historiker, ist Kommunikationsverantwortlicher der nationalen Allianz Chance+ für gerechte Bildungschancen, der auch die CHANCE KSR Reussbühl angehört. (Bild: zVg.)

Hassan, Ruslan und Ramona (Namen geändert) packen ihre grosse Chance, denn: Noch immer schaffen deutlich weniger Jugendliche mit Migrationshintergrund die Matura, nur halb so viele wie junge Schweizer. In einem meritokratischen Bildungssystem, in dem eigentlich nur Leistung und Fähigkeit zählen, sollte dies anders sein. Hier setzt das von Rektorin Annette Studer und engagierten Lehrpersonen 2019 lancierte Förderprogramm CHANCE KSR an. Begabte, motivierte und sozioökonomisch benachteiligte Jugendliche – insbesondere mit Migrationshintergrund – werden während ihrer Gymnasialzeit bis zur Matura intensiv gefördert.

 

Wie sieht diese Förderung im Detail aus? Wie ist das Förderprogramm CHANCE KSR organisiert und finanziert? Wie steht es um Erfolgsquoten und Herausforderungen? Dies versuchte eine hochkarätige Delegation von Schulleitungen aus dem Kanton Baselland in Reussbühl in Erfahrung zu bringen. Ein Schulbesuch der besonderen Art: Für gerechtere Bildungschancen – wider den Kantönligeist. «Es braucht mehr Bildungsgerechtigkeit in unserem Kanton und im ganzen Land», sagt Brigitte Jäggi, Rektorin des Gymnasiums Muttenz über ihre Motivation, stellvertretend für rund ein Dutzend mitgereiste Rektorinnen und Rektoren und Co-Schulleitungen aus Laufen, Liestal, Münchenstein und Oberwil. Jäggi weiter: «Wir wollen erfahren, was man in Reussbühl für die Chancengerechtigkeit macht.»

Mit Lerntechniken und Arbeitsstrategien Durststrecken meistern

Kathrin Di Berardino, Coach bei Chance KSR, erklärt den anwesenden Schulleitungen das Programm. Bild: Annette Studer
Kathrin Di Berardino, Coach bei Chance KSR, erklärt den anwesenden Schulleitungen das Programm. Bild: Annette Studer

Die Weiterbildung startet mit einem Überblick von Annette Studer über Genese und Entwicklung von CHANCE KSR. Ihre Schule sei in einem nicht nur für Luzern untypischen sozialen Umfeld angesiedelt, führt die Rektorin aus. Hoch ist der Anteil an fremdsprachigen, bildungsfernen und sozioökonomisch benachteiligten Familien. Konsequenz: «Ein Drittel der Schülerinnen und Schüler im Langzeitgymnasium haben Migrationshintergrund, im Kurzzeitgymnasium fast zwei Drittel. » Deshalb ziele die Förderung darauf ab, «dass sie das Selektionsjahr überstehen, sich langfristig am Gymi halten und die Matura bestehen». Dazu vermitteln ihnen erfahrene Coaches effiziente Strategien für Lerntechniken, Arbeitsorganisation, Durchhaltewillen oder Stressbewältigung.

Förderung der Lernenden ist auch Förderung im Kollegium

Rund 100 Schülerinnen und Schüler haben das Förderprogramm CHANCE KSR seit 2019 durchlaufen, gecoacht von 14 Lehrpersonen, viele von ihnen Klassenlehrer und Klassenlehrerinnen. Wie steht es ums Commitment im Kollegium? «Anfänglich gab es durchaus Skepsis», sagt Studer, «es hiess etwa, wer speziell gefördert werden muss, gehört nicht ins Gymi.» Diese Bedenken seien inzwischen verschwunden. «Man hat begriffen, dass das Projekt, unser Engagement und die ständige Weiterbildung der Coaches dem ganzen Kollegium zugutekommen.»

 

Und wie wird CHANCE KSR finanziert?, wird Studer gefragt.  «Die ersten vier Jahre von der Stiftung UBS Optimus, seit 2023 von der Ria & Arthur Dietschweiler Stiftung aus St. Gallen.» Und der Kanton Luzern? «Die CHANCE KSR-spezifischen Angebote unterstützt der Kanton bisher noch nicht; hingegen finanziert er DAZ- und Deutschförderkurse, die allen Kanti-Schüler/innen offenstehen». Erstaunlich, denn Chancengerechtigkeit ist doch längst mehr als bloss ein fernes bildungspolitisches Ideal – Chancengerechtigkeit ist eine gesellschaftlich und gesetzlich deklarierte Absicht.

Fokus: Coaching, Deutschförderung und Dialog

Auf das Referat von Annette Studer folgen drei Workshops: Coaching, Deutschförderung und Austausch mit den Jugendlichen. Besonders angetan sind die Baselbieter Gäste vom Coaching, dem «Herzstück» (Rektorin Studer) des Programms. Inspirierend sei, wie die Jugendlichen darauf hingeleitet werden, ihr Potenzial zu erkennen – und wie sie durch die Arbeit mit dem Zürcher Ressourcen Modell sukzessive ein Selbstmanagement-Programm entwickeln. Aber wirkt es auch, dieses Coaching? Hassan, Ruslan und Ramona lassen im Gespräch keinen Zweifel aufkommen: «Es unterstützte mich enorm in schwierigen Zeiten, als ich zweifelte» – «Es verbesserte meine Noten und half mir, dranzubleiben» – «Man wird total individuell betreut, das ist einfach super».

 

Was bleibt von der Weiterbildung in Reussbühl? Vom Aufnahmeverfahren über die Programm-Elemente, deren bedarfsorientierte Weiterentwicklung bis zur Evaluation – das Förderprogramm CHANCE KSR beeindruckt die Schulleitungsmitglieder durch seine hohe Professionalität, das Herzblut der Verantwortlichen und die Akzeptanz in der Schülerschaft. «Der Besuch war sehr informativ und bestens organisiert», resümiert Brigitte Jäggi. «Die Vorstellung des Programms durch Annette Studer hat einen idealen Rahmen für die Workshops gesetzt. Es wurde klar und offen dargelegt, worum es geht, wie das Förderprogramm organisiert ist und welche Herausforderungen anfallen. Die Workshops haben mir sehr geholfen, den allgemeinen Rahmen zu konkretisieren und ein besseres Gefühl für die Wirksamkeit des Angebots zu gewinnen. Und sie waren sehr inspirierend und haben zum Denken angeregt.»

 

Man darf also gespannt sein, wann auch Baselbieter Jugendliche aus benachteiligten Verhältnissen eine «CHANCE» erhalten, die ihr Potenzial entdeckt und fördert.

 

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