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Höhere Berufsbildung: Erfahrungen und Learnings aus dem Fernunterricht

Text: Carla Gasser, Leiterin Höhere Berufsbildung DBW

Fotos: Dienststelle für Berufs- und Weiterbildung DBW, pixabay

Fernunterricht: Die Erfahrungen, die aus diesem «Echtzeit-Experiment» resultierten, öffnete vielen Schulen die Perspektive für eine geänderte Ausrichtung innerhalb des Bildungsmarktes. Auch im Bereich der Höheren Berufsbildung HBB. Ein Bildungsanbieter und ein Bildungsexperte berichten, welche Erfahrungen während der Fernunterrichtsphase gemacht wurden und wie sich diese Schulstufte aufgrund der digitalen Möglichkeiten  weiter strategisch auszurichten kann.

Urs Dickerhof, Inhaber der Dickerhof AG, einem HBB-Bildungsanbieter im Bereich medizinische Massage sowie Präsident der Interessensgemeinschaft Höhere Berufsbildung (IG HBB) schildert die Erfahrungen und die daraus resultierenden Entwicklungen aus der Fernunterrichtsphase. 

Was waren die grössten Herausforderungen für die HBB-Bildungsanbieter während der Coronapandemie? 

Höhere Berufsbildung HBB
Urs Dickerhof, Inhaber der Dickerhof AG und Präsident der IG HBB

Urs Dickerhof: Als nicht staatlich finanzierte Ausbildungsstätte war es uns wichtig, so schnell wie möglich auf die neue Situation zu Beginn des Lockdowns am 19. März 2020 reagieren zu können, denn der Unterricht musste sichergestellt werden. Die Herangehensweise dabei war sehr unterschiedlich: Einige Lehrpersonen hatten sich vorgängig Gedanken gemacht und Ideen entwickelt, andere waren weit weg von einer Lösung. Es war bekannt, dass die Kommunikation auch über Skype oder ähnliche Tools sichergestellt werden kann, aber mit der Implementierung dieser Tools für den Unterricht kannten sich die Wenigsten aus. Jede Ausbildungsinstitution war auf sich gestellt und die Reaktionszeit von innerhalb weniger Tage war sehr kurz. 

 

Einige Lehrpersonen beschränkten sich darauf, die Lehrmittel oder die Unterrichtsmaterialien digital zu übermitteln, jedoch war nach wie vor ein Teil der Schulungsunterlagen analog. Im Laufe der Zeit kamen weitere Herausforderungen dazu: Schlechte Internetverbindungen, zu kleine Server oder zu wenig Geräte. Die grösste Herausforderung lag jedoch beim fehlenden Know-How der Lehrpersonen in der digitalen Didaktik. Deshalb führten wir die Lehrpersonen zu Beginn der Fernunterrichtsphase schrittweise über den digitalen Weg an neue Unterrichtsformen heran und diese mussten das vermittelte Werkzeug sofort umsetzen. Rückblickend können wir sagen, dass die grösste Herausforderung die Unwissenheit im Umgang mit dem digitalen Unterricht und den dazugehörenden Ressourcen bestand.

Gibt es eine verstärkte Vernetzung zwischen den HBB-Schulen am Standort Luzern dank der Pandemie – und wie wird diese weiterentwickelt? 

Urs Dickerhof: Die IG HBB hat schnell festgestellt, dass viele Schulen und Institutionen unsicher sind, ob sie auf dem richtigen Weg sind. Die IG HBB hat daher beschlossen, niederschwellige «best practices» Webinare anzubieten, um den Schulen in gezielten Themen eine Hilfestellung zu geben. Die Webinare wurde von den HBB-Schulen angeboten und zeigte die Bereitschaft der Schulen, in dieser Ausnahmesituation Know-How weiterzugeben, auch wenn die Schulen zum Teil als Konkurrenten auftreten. Nach Informationen über Hardware, Software und Plattformen wurde zusätzlich eine IG HBB-Tagung zum Thema digitale Didaktik durchgeführt. Ebenfalls wurde unter diesem Aspekt die Generation Z und deren Umgang mit digitalem Unterricht beleuchtet. Zu den rege besuchten Veranstaltungen der IG HBB wurden auch Nichtmitglieder eingeladen. Die Frage, ob die Vernetzung während der Pandemie unter den HBB-Schulen zugenommen hat, kann ich mit ja beantworten.

Gab es durch den «erzwungene Digitalisierungsschub» – trotz der anfänglichen Schwierigkeiten – auch positive Entwicklungen für die Schulen?

Urs Dickerhof: Die Lust auf digitales Lernen sowie die Freiheit, den Unterrichtsstoff in verschiedener Art und Weise zu vermitteln, haben zugenommen, was sich unter anderem auch auf die Angebote auswirken wird. Nach den spontanen und erzwungenen ersten Schritten der digitalen Transformation sind wir zurzeit in einer Konsolidierungsphase. Das Verständnis für die neue Lernwelt war bei den HBB-Schulen sehr schnell erkennbar und entwickelte eine Eigendynamik. Die damit verbundenen Investitionen und beschränkten Ressourcen bedeuten wiederum für jede Bildungsinstitution ein Risiko. Aber allen ist bewusst, dass der Schritt in eine neue Ära eingeläutet worden ist und damit verbunden auch die Möglichkeiten vom anderen zu profitieren. Dies will und soll genutzt werden.

Wie unterstützt die IG HBB die Schulen auf dem digitalen Weg?

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Digitales Lernen: die IG HBB unterstützt die Bildungsanbieter

Urs Dickerhof: Die IG HBB wird den Schwerpunkt ihrer weiteren Aktivitäten auf Erfahrungen und Möglichkeiten in der neuen digitalen Ausbildungswelt setzen und diese allen HBB-Schulen wiederum zur Verfügung stellen. Wir von der IG HBB werden die Kontakte auch ausserhalb der Bildungsbereichs suchen, um die sehr schnellen Entwicklungen im digitalen Bildungsbereich frühzeitig zu erkennen und das damit verbundene Wissen den Ausbildungsinstitutionen zur Verfügung stellen zu können.


Optionen von Bildungsanbietern aufgrund der Erfahrungen aus dem Fernunterricht

Wie können die Bildungsanbieter die Erfahrungen aus dem Fernunterricht nutzen um sich künftig im Bildungsmarkt zu positionieren?  Dr. Christoph Meier, Geschäftsführer des swiss competence centre for innovations in learning der Universität St. Gallen (HSG), zeigt für die HBB-Anbieter die Positionierungsmöglichkeiten anhand der vier Aspekte WER (Kunden), WAS (Themen), WIE (Infrastruktur, Rollen und Profile) und WERT (Ertragsmodell) auf. 

Wie können Bildungsanbieter die Erfahrungen aus der Coronapandemie für einen zukunftsgerichteten Unterricht nutzen?

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HSG-Donzent Dr. Christoph Meier über die verschiedenen Aspekte der Positionierung im Bildungsmarkt

Christoph Meier: Für Bildungsanbieter ist zum einen wichtig, die unter Umständen veränderten Anforderungen und Erwartungen der Kunden bzw. Teilnehmenden zu kennen. So haben wir jetzt wieder die Möglichkeit, Präsenzunterricht durchzuführen und haben uns darauf auch gefreut. Gleichzeitig haben wir die Flexibilität schätzen gelernt, die digitale Medien ermöglichen. Für Bildungsanbieter stellt sich die Frage, ob sie die in den letzten eineinhalb Jahren aufgebauten Kompetenzen im Bereich digitale Medien und digital unterstützte Lehr-Lernprozesse pflegen und weiterentwickeln wollen oder nicht. Hier gibt es aus meiner Sicht noch viel Entwicklungspotenzial. Digitale Medien können mehr leisten, als nur Flexibilität in der Umsetzung von Lehr-Lernprozessen zu ermöglichen. Sie können genutzt werden, um Lernende zu aktivieren oder um eine stärkere Differenzierung von Lernprozessen zu ermöglichen – bis hin zu individualisierten Lernpfaden. Sie können auch genutzt werden, um den Praxisbezug zu stärken, beispielsweise durch den Einsatz verschiedenster Formen von Video oder auch von VR-Technologien.

Wie können sich HBB-Bildungsanbieter künftig im Bildungsmarkt positionieren? 

Christoph Meier: Im Zuge der Digitalisierung verändern sich auch die Märkte für Bildungsdienstleistungen. Diese sind zunehmend weniger an einen physischen Ort gebunden, an dem sie erbracht werden. Das eröffnet Chancen, verändert aber auch das Spielfeld, auf dem die Anbieter unterwegs sind. Das gilt nicht nur für die eigene Bildungsorganisation, sondern natürlich auch für die Mitbewerber. Damit ergibt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, sich auf bestimmte Zielgruppensegmente zu fokussieren, diese in einem grösseren geografischen Raum als bisher zu adressieren und sich damit gegenüber anderen Anbietern zu profilieren.

 

Dabei sollte auch nicht vergessen werden, dass im Zuge der Digitalisierung tendenziell die Markteintrittsbarrieren niedriger werden. Ein Webauftritt und ein Webshop sind schnell aufgesetzt oder gemietet und das gleiche gilt für Online-Kursräume. Wenn man die richtigen Lehrpersonen und Fachleute beisammen hat, kann man - zumindest mit einer Online-Akademie - sehr schnell am Markt sein und mit entsprechender Kompetenz im digitalen Marketing rasch auf sich aufmerksam machen. Im digitalen Raum können Partnerschaften und Verbünde schnell, beispielsweise über neue Dachmarken und darunterliegende gemeinsame Dateninfrastrukturen, aufgebaut werden.

 

Für etablierte Bildungsanbieter ist es daher wichtig, solche Entwicklungen kontinuierlich zu verfolgen und gleichzeitig an der eigenen Positionierung zu arbeiten. Einer Positionierung, die die bisherigen Stärken mit neuen Kompetenzen verbindet, die im Rahmen der Pandemie und der damit verbundenen erzwungenen Digitalisierung erarbeitet wurden. 


Die HBB geht gestärkt aus der Krise

Die Studierendenzahlen der HBB sind im Kanton Luzern zwischen 2019 und 2020 erneut gestiegen (Höhere Fachschulen: + 8%; Vorbereitungskurse zu eidg. Prüfungen: + 2%). Diese Zahlen zeigen, dass die Attraktivität eines HBB-Studiums auch trotz der Umstellung auf den Fernunterricht nicht abgenommen hat. Im Gegenteil: Die Studierenden schätzten es, dass sie trotz Lockdown ihre Ausbildungsziele weiterverfolgen konnten. Bei einigen Personen ergaben sich zudem aufgrund Kurzarbeit neue zeitliche Kapazitäten für eine Weiterbildung. 

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