Interview: Vera Bergen
Bilder: Ladislaus Reser / zVg
Kennen Sie jemanden, der 50 Jahre lang für denselben Arbeitgeber tätig war? Dr. Ladislaus Reser feiert dieses Jahr ein beeindruckendes Jubiläum: Seit einem halben Jahrhundert ist er für das Natur-Museum Luzern aktiv – und das mit ungebrochener Begeisterung für die Welt der Schmetterlinge. Als international anerkannter Pionier der Nachtfalterforschung hat Reser nicht nur die Sammlung des Museums entscheidend erweitert, sondern mit seinen Entdeckungen und Publikationen auch die Entomologie nachhaltig geprägt. Auch nach seiner Pensionierung 2005 bleibt er ehrenamtlich als Forscher und Sammlungsbetreuer am Natur-Museum Luzern tätig. Der fast 85-jährige Ladislaus Reser nimmt uns mit an den Plattensee, auf die Opernbühne und in die faszinierende Welt der Nachtfalter.
Für eilige Leserinnen und Leser:
- Dr. Ladislaus Reser wurde am 30.12.1939 in Ungarn geboren.
- Seine Leidenschaft für die Schmetterlinge und Insekten entdeckte er in den Sommerferien am ungarischen Plattensee.
- Als Forscher spezialisierte er sich auf Nachtfalter, eine weniger erforschte Insektengruppe, und beschrieb 14 neue Arten sowie 32 in der Schweiz zuvor unbekannte Arten.
- Bevor 1974 als Konservator Entomologie am Natur-Museum Luzern die Schmetterlingssammlung entscheidend ausbaute, stand er als Opernsänger unter anderem auf der Bühne des Luzerner Theaters.
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Seit seiner Pensionierung im Jahr 2004 arbeitet er ehrenamtlich als Forscher und Sammlungsbetreuer Schmetterlinge. 2024 feiert er das 50-Jahr-Jubiläum seiner Tätigkeit für das Museum Luzern.
- Reser erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter die goldene Ehrenmedaille der «Internationalen Gesellschaft für Entomofaunistik Mitteleuropas».
Herr Dr. Reser, trotz Ihrer Pensionierung im Jahr 2005 arbeiten Sie weiter ehrenamtlich als Forscher und Sammlungsbetreuer Schmetterlinge im Natur-Museum Luzern. Was treibt Sie immer noch an?
Ich bin vom Kopf bis Fuss ein neugieriger, konsequenter und unermüdlicher Insektenforscher. Einmal wurde ich beschrieben als jemand, der «beruflich seinen eigenen Weg geht und sich durch nichts und durch niemanden aufhalten lässt». Leider gibt es nur noch wenige erfahrene Insektenforscher, und berufliche Stellen in diesem Bereich werden immer seltener. Während meiner Zeit im Natur-Museum Luzern (ab 1974) war meine Stelle voll finanziert, heute ist sie noch zu 50 Prozent dotiert, was kaum Raum für Forschung lässt. Ich sehe meine Arbeit als Beitrag, eine Lücke zu füllen – auch wenn diese Lücke grösser ist, als ich allein bewältigen kann. Luzern ist seit 55 Jahren meine Heimat, und ich kann mir nicht vorstellen, woanders oder nur privat zu forschen.
Seit meiner Pensionierung konzentriere ich mich fast ausschliesslich auf Nachtfalter. Neben meiner ehrenamtlichen Tätigkeit im Natur-Museum Luzern habe ich auch für andere Institutionen geforscht, etwa für das Museo cantonale di storia naturale in Lugano, mit dem ich schon lange zusammenarbeite. Nach der Pensionierung habe ich meine Arbeit auf Museen in Porrentruy und Glarus ausgeweitet. Dort und in den umliegenden Regionen, etwa im Jura und im Kanton Glarus, habe ich bedeutende Nachtfalter-Sammlungen aufgebaut, die heute gut sortiert und dokumentiert sind. Diese Sammlungen haben auch zahlreiche wissenschaftliche Publikationen ermöglicht.
Sie sind in Budapest aufgewachsen und haben auch viel Zeit am ungarischen Plattensee verbracht. Wie hat diese Zeit Ihre Faszination für die Insektenwelt geweckt?
Tatsächlich waren die jährlich drei Monate langen Sommerferien beim Plattensee in meiner Kinder- und Jugendzeit massgeblich verantwortlich dafür, dass ich Naturforscher geworden bin. Ich bin ein Einzelkind, und nach dem zweiten Weltkrieg machten beim Plattensee nur wenige Menschen Ferien, so hatte ich keine gleichaltrigen Spielkameraden. Aus Langeweile blieb mir nichts anderes übrig, als mich mit der damals noch weitgehend unberührten Natur rund um unser Ferienhaus zu beschäftigen. Besonders die vielfältige Welt der Insekten hat dabei meine Aufmerksamkeit geweckt und mich fasziniert.
«Nach dem Zweiten Weltkrieg verbrachten nur wenige Menschen ihre Ferien am Plattensee, sodass ich als Einzelkind keine Spielkameraden hatte. Aus Langeweile wandte ich mich der unberührten Natur rund um unser Ferienhaus zu.»
Warum sind es die Nachtfalter und nicht Tagfalter, denen Sie ihr Lebenswerk gewidmet haben?
Als Kind begann ich mit der Beobachtung von Tagfaltern. Sie sind auffällig, fliegen tagsüber und lassen sich ohne Hilfsmittel leicht finden. Später habe ich mich intensiver mit ihnen beschäftigt, Forschungsprogramme durchgeführt und Ergebnisse veröffentlicht. Mit der Zeit richtete ich meinen Fokus auf Nachtfalter, da sie weniger erforscht sind und sich nur wenige Wissenschaftler oder Amateure mit ihnen beschäftigen. Ausserdem gibt es deutlich mehr Nachtfalterarten als Tagfalter. Allein in der Schweiz gibt es etwa 1500 Grossnachtfalterarten, auf die ich mich konzentriere. Für die noch zahlreicheren Kleinschmetterlinge (Microlepidoptera) bleibt mir kaum Zeit.
Sie waren zunächst als Opernsänger tätig und haben an renommierten Theatern gesungen. Wie haben Sie es geschafft, Ihre Leidenschaft für die Oper und die Wissenschaft der Entomologie zu vereinen?
Es gibt viele Menschen, die musikalisch sind und trotzdem andere Interessen verfolgen. Das funktioniert gut, wenn man Leidenschaft, Ausdauer und eine gewisse Zielstrebigkeit mitbringt und sich gut organisiert. Schon im Gymnasium trat ich mehrfach mit Klavierbegleitung auf, und während meines Studiums an der Budapester Universität gründete und leitete ich sogar ein kleines Opernensemble.
Nach meinem Abschluss in Musik und Naturwissenschaften arbeitete ich zunächst hauptberuflich als Biologe und sang abends nebenberuflich. Später war ich sechs Jahre lang Opernsänger, suchte aber in freien Abenden immer nach Nachtfaltern. Im Theater sorgte ich für Schmunzeln, weil ich in den Pausen zwischen den Auftritten an wissenschaftlichen Manuskripten arbeitete.
Als ich 1974 im Museum Luzern zu arbeiten begann, kehrte ich hauptberuflich zur Naturwissenschaft zurück und sang nur noch gelegentlich bei kleinen Veranstaltungen, zum Beispiel bei Vernissagen des Museums. Manchmal sang ich auch alleine, etwa nachts im leeren Museum oder draussen beim Nachtfalterfang – die Akustik war oft überraschend gut! So konnte ich meine beiden Leidenschaften immer miteinander verbinden. Der Sängerberuf hat mich in die Schweiz gebracht und damit den Grundstein gelegt, dass ich später als international anerkannter Schweizer Insektenforscher bekannt wurde.
«Der Sängerberuf brachte mich in die Schweiz und legte den Grundstein dafür, dass ich später als international anerkannter «Schweizer» Insektenforscher bekannt wurde».
Ab 1974 haben Sie im Natur-Museum Luzern gearbeitet und dort die Schmetterlingssammlung massgeblich ausgebaut. In Ihrer mittlerweile 50-jährigen Tätigkeit für das Natur-Museum haben Sie die Sammlung der Macrolepidopteren (Grossschmetterlinge) der Schweiz enorm erweitert. Was waren Ihre wichtigsten Entdeckungen?
Ich habe die Nachtfalter in etwa 200 natürlichen Lebensräumen der Schweiz untersucht, immer mit einem besonderen Fokus auf den Zusammenhang zwischen den Arten und ihrer Umwelt. Dabei habe ich nicht nur dokumentiert, welche Arten dort vorkommen, sondern auch ihre Häufigkeit erfasst – etwas, worüber es zuvor kaum Informationen gab.
«Ich bin vom Kopf bis Fuss ein neugieriger, konsequenter und unermüdlicher Insektenforscher.»
Neben Nachtfaltern habe ich auch wichtige Belege für die Erforschung anderer Insektengruppen wie Käfer, Wanzen, Köcherfliegen, Wespen und Libellen gesammelt. Besonders stolz bin ich darauf, 14 neue Arten und zehn Unterarten von Nachtfaltern entdeckt und beschrieben zu haben. Ausserdem konnte ich 32 Nachtfalterarten, die anderswo schon bekannt waren, erstmals in der Schweiz nachweisen.
Eine interessante Anerkennung meiner Arbeit ist, dass fünf von anderen Forschern entdeckte Insektenarten meinen Namen tragen: darunter eine Schlupfwespe (Bracon reseri) und eine Blattwespe (Parna reseri) in Europa, ein Bockkäfer (Acrepidopterum reseri) in Jamaika und zwei Nachtfalterarten (Apamea reseri und Apamea rezbanyaii) in Südostasien. Darüber hinaus gibt es aber auch noch eine Köcherfliegenunterart mit dem schönen Namen «Limnephilus rhombicus reseri».
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