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Schulangebote Asyl: Schulische Unterstützung in einer neuen Heimat

Interview: Vera Bergen 

Bilder: zVg

Kinder und Jugendliche in der Schweiz haben das Recht und die Pflicht die Schule zu besuchen. Das gilt auch für Kinder und Jugendliche, die Asyl beantragt haben. Bevor sie jedoch in die Gemeindeschulen integriert werden, besuchen sie die Schulangebote Asyl. Leiterin Brigitt Stadelmann gibt Einblick den Schulalltag, der den Grundstein für die Integration in der Schweiz legt.


Für eilige Leserinnen und Leser: 

  •  Die Schulangebote Asyl bieten Bildung für Kinder und Jugendliche, die Asyl suchen. Dies betrifft sowohl Kinder in der obligatorischen Schulzeit als auch spät eingereiste Jugendliche und junge Erwachsene.

  • Der Unterricht findet täglich statt und umfasst Fächer wie Deutsch als Zweitsprache, Mathematik, Sport und Kunst, je nach Alter und Sprachniveau der Lernenden.

  • Die Schulangebote Asyl sind durch unter anderem durch den Umgang mit unterschiedlichen Bildungsniveaus, Traumata und kulturellen Unterschieden herausgefordert.

  • Die Lehrkräfte bereiten sich durch spezielle Fortbildungen vor und nutzen differenzierten Unterricht, um auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler einzugehen.

  • Die Schulen sind hauptsächlich in Asylzentren oder in der Nähe davon angesiedelt, um den Zugang zur Bildung für diese Gruppen zu erleichtern.
  • Aufgrund steigender Flüchtlingszahlen werden im Kanton Luzern laufend neue Klassen in den Schulangeboten Asyl eröffnet. 


Brigitt Stadelmann ist seit 2016 Leiterin der Schulangebote Asyl im Kanton Luzern.
Brigitt Stadelmann ist seit 2016 Leiterin der Schulangebote Asyl im Kanton Luzern.

Brigitt Stadelmann, Können Sie uns einen Überblick darüber geben, was die Schulangebote Asyl sind und was sie leisten?

Die Schulangebote Asyl kümmern sich um die Bildung von Kindern und Jugendlichen, die Asyl beantragt haben. Unsere Schule richtet sich sowohl an alle Kinder und Jugendliche im Alter der obligatorischen Schulzeit, die in einem der kantonalen Asylzentren wohnen, als auch an späteingereiste fremdsprachige Jugendliche und junge Erwachsene aus dem Asylbereich und aus EU/EFTA-und Drittstaaten. 

 

Der Unterricht findet von Montag bis Freitag Der Unterricht findet von Montag bis Freitag täglich statt und umfasst Fächer wie Deutsch als Zweitsprache, Mathematik, Sport und weitere Fächer, je nach Alter und Sprachniveau der Lernenden. Da beide Zielgruppen am Anfang des Erwerbes der deutschen Sprache stehen, bildet der Unterricht in Deutsch als Zweitsprache bei allen den Mittelpunkt. Ein weiteres Fach, das allen unterrichtet wird, ist Mathematik. Weitere Schulfächer im obligatorischen Bereich sind Bewegung und Sport sowie Bildnerisches Gestalten. Im nachobligatorischen Bereich wird Textiles und Technisches Gestalten oder Bildnerisches Gestalten sowie je nach Sprachniveau Lebenskunde, Informatik und Individuelles Lernen angeboten. Zusätzlich haben die Jugendlichen je nach Standort die Möglichkeit, freiwillige Fächer wie Konversation und unterstütztes Lernen zu besuchen. 

Neben Deutsch als Zweitsprache und Mathematik gehört auch Bewegung und Sport zu den obligatorischen Schulfächern der Schulangebote Asyl.
Neben Deutsch als Zweitsprache und Mathematik gehört auch Bewegung und Sport zu den obligatorischen Schulfächern der Schulangebote Asyl.

Welche besonderen Herausforderungen gibt es im Schulalltag von Kindern und Jugendlichen aus dem Asylbereich?

Nebst den unterschiedlichen Voraussetzungen der Lernenden, die von schulgewohnten und schulfremden Kindern über Analphabeten bis zum Gymischüler gehen, ist auch der Umgang mit unterschiedlichen Werten, Haltungen und Normen herausfordernd. Weitere Herausforderungen sind der Umgang mit Traumata, Fluchtgeschichten, schwierigen Familiensituationen und gesundheitlichen wie psychischen Problemen. 

 

Wie gehen Sie bzw. die Lehrpersonen mit den unterschiedlichen psychischen und schulischen Voraussetzungen der Kinder und Jugendlichen um und wie werden sie darauf vorbereitet?

Unsere Lehrpersonen unterrichten sehr differenziert und gestalten individuelle Programme für die Kinder und Jugendlichen. Der Austausch unter den Lehrpersonen ist dabei sehr wichtig, insbesondere bei neuen Lehrkräften. Auch an Teamsitzungen und in bilateralen Gesprächen ist der Erfahrungsaustausch immer wieder Thema. Weiter werden interne Fortbildungen durchgeführt und Lehrpersonen auf externe Weiterbildungen aufmerksam gemacht.  Jugendlichen mit psychischen Problemen kann über die Sozialarbeit der Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen professionelle Hilfe vermittelt werden, sofern die Eltern bzw. der Jugendliche damit einverstanden sind. 

«Nebst den unterschiedlichen Voraussetzungen der Lernenden, die von schulgewohnten und schulfremden Kindern über Analphabeten bis zum Gymischüler gehen, ist auch der Umgang mit unterschiedlichen Werten, Haltungen und Normen herausfordernd»

Damit die Kinder in Klassen eingeteilt werden können, müssen sie einen Einstufungstest machen. Wie läuft dieser ab?

Beim Einstufungstest von Kindern und Jugendlichen im obligatorischen Schulalter werden mündliche und schriftliche Kenntnisse sowohl in Deutsch als auch der Muttersprache erfasst., Kenntnisse in Mathematik geprüft und bei jüngeren Kindern anhand von Zeichnungen die Graphomotorik (Schreibbewegungen) eingeschätzt. Die Ergebnisse bilden zusammen mit dem Gesamteindruck und dem Alter die Grundlage für die Klasseneinteilung. Mit den Jugendlichen im nachobligatorischen Bereich erfolgt ein schriftlicher Sprachtest in Deutsch und ein Gespräch, bei dem nach Möglichkeit die Vorbildung erfasst wird. Für die Klasseneinteilung ist insbesondere der Sprachstand in Deutsch massgebend. 

Unterricht in «Deutsch als Zweitsprache» im alten Zeughaus der Stadt Luzern.
Unterricht in «Deutsch als Zweitsprache» im alten Zeughaus der Stadt Luzern.

Wo finden die Schulangebote statt?

Die Standorte der Schulen richtet sich für die Kinder im obligatorischen Bereich nach den Standorten der Asyl-Zentren, in denen Familien wohnen. Der Hauptstandort befindet sich im Schulhaus Schädrüti, Luzern. Dort besuchen Kinder aus den Zentren rund um die Stadt Luzern den Unterricht. Sie fahren mit Schulbus oder mit dem öffentlichem Verkehr mit Elternbegleitung zum Unterricht und zurück. Weitere zentrale Schulen für diese Zentren befinden sich in Kriens und Ebikon. An einzelnen Standorten sind die Schulen im Asylzentrum integriert, zum Beispiel im Durchgangszentrum St. Urban und im Bundeszentrum im Eigenthal. Nachobligatorische Klassen werden an diversen Standorten in Luzern, in Ebikon und Kriens geführt. Aufs neue Schuljahr (2024/2025) eröffnet der Kanton im Alterszentrum Eichhof und an der Baselstrasse in Luzern weitere Klassen. Voraussichtlich kommen weitere Standorte dazu, denn der Asylbereich ist am Wachsen.

 

Inwiefern ist es schwierig, ausreichend Schulplätze zur Verfügung zu stellen bei den sich ständig verändernden Flüchtlingszahlen bzw. Einreise in die CH?

Zu viele Plätze hatten wir in den letzten Jahren nicht! Die stets steigenden Zahlen liessen uns laufend neue Klassen eröffnen. Aufgrund der Notsituation konnte die Akquisition von neuem Schulraum teilweise ohne Beschlüsse durch den Regierungsrat getätigt werden. Sollte die Zahl zurückgehen, werden einzelne Standorte analog der Asylzentren wieder geschlossen. Eine besondere Herausforderung betreffend Standorte ist für uns, dass alle unsere Standorte befristet sind.

 

Dieselben Schwierigkeiten zeigen sich wohl auch bei der Finanzierung der Schulangebote Asyl? 

Die Ausgaben hängen von der Anzahl Flüchtlinge ab. Es wird ein jährliches Budget erstellt, dass aber aufgrund der schwankenden Lernendenzahlen sehr flexibel gehalten werden muss. Dieses richtet sich nach den Vorgaben der Regelschule, wie auch die Löhne der Lehrpersonen. Der obligatorische Teil der Schule wird voll von der Dienststelle Volksschulbildung finanziert, der nachobligatorische Bereich durch die Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen sowie Dienststelle Soziales und Gesellschaft mitfinanziert.

«Zu viele Plätze hatten wir in den letzten Jahren nicht! Die stets steigenden Zahlen liessen uns laufend neue Klassen eröffnen»

Welche Erfolge und positiven Beispiele können Sie aus Ihrer bisherigen Arbeit berichten?

Eines unserer Ziele ist, den Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen Ort zu bieten, an dem sie sich wohl und daheim fühlen, sie gerne sind. Dies sehen wir als eine der Grundlagen zum Lernen. So erfreut es uns immer wieder, wenn sich Jugendliche auch ausserhalb des Unterrichts in der Schule aufhalten, sei es für Spiele, Lernen, Hausaufgaben, Gespräche oder einfach zum Sein. Schön ist auch, wenn Ehemalige anklopfen und stolz von ihrer Lehre berichten, oder gar einen Lehrabschluss vorzeigen. Oder wenn ein Jugendlicher nach einem Schulabbruch vorbeikommt, weil er wieder in den Unterricht einsteigen möchte. 

Welche speziellen Programme gibt es für die Flüchtlingskinder aus der Ukraine?

Anfänglich wurden die Kinder und Jugendlichen aus der Ukraine in separaten Klassen unterrichtet. Dies vor allem aufgrund der Wohnsituation. Die Zentren für Personen aus der Ukraine befanden sich z.B. in St. Urban oder Wikon. Der Schulweg nach Luzern wäre für diese Kinder zu weit. Wir richteten an diesen Standorten Gesamtschulen ein. Inzwischen vermischen sich die Nationalitäten auch an diesen Standorten, so auch in den Gesamtschulen vor Ort.

«Es erfreut uns immer wieder, wenn sich Jugendliche auch ausserhalb des Unterrichts in der Schule aufhalten, sei es für Spiele, Lernen, Hausaufgaben, Gespräche oder einfach zum Sein. Schön ist auch, wenn Ehemalige anklopfen und stolz von ihrer Lehre berichten, oder gar einen Lehrabschluss vorzeigen»

Wie läuft die Integration in die Gemeindeschulen ab, wenn die Familien das Durchgangszentrum verlassen und in eigene Wohnungen ziehen?

Die Schulanmeldung für Kinder im obligatorischen Alter wird über das Zentrum ausgelöst, in dem die Familie wohnt. Die Schulleitung der neuen Gemeinde erhält von unserer Schule einen Bericht über das Kind oder den Kontakt der Lehrperson, um bei Bedarf Fragen zum Kind stellen zu können. Die Integration in der neuen Wohngemeinde wird durch die Gemeindeschule organisiert. In der Regel erhalten die Kinder zusätzlichen Unterricht in Deutsch als Zweitsprache DaZ. Auch die Gemeinden erhalten Unterstützung: Die Dienststelle Volksschulbildung DVS bietet Netzwerkgruppen zum Austausch für Lehrpersonen an, DaZ-Lektionen werden je nach Asylstatus finanziert.

 

Wie arbeiten Sie mit anderen Institutionen und Organisationen zusammen, um die Integration der Kinder und Jugendlichen zu fördern?

Unsere Aufgabe ist die Kinder und Jugendlichen schulisch zu fördern und über diesen Weg für die Integration zu unterstützen. Themen sind neben Sprache auch Freizeitgestaltung, Bildungssystem, Werte und Haltungen in der Schweiz. Zu diesen Themen arbeiten wir mit externen Anbietern zusammen. Wir bieten Organisationen, die ausserschulische Angebote anbieten, in Absprache mit der Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen DAF Hand, diese den Jugendlichen vorzustellen. 


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