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Überfachliche Kompetenzen: Lernen will gelernt sein

Wissenschaftlicher Beitrag: Dr. Barbara Studer, Universität Bern

Redaktion: Gabriela Mischkale

Die Matura ist das Freiticket für ein Hochschulstudium in der Schweiz. Neben Fach- sind auch die sogenannten überfachlichen Kompetenzen für den Studienerfolg entscheidend. Darüber tauschten sich Zentralschweizer Gymnasialverantwortliche und Hochschuldozierende aus. Dr. Barbara Studer, Neuropsychologin an der Uni Bern, sprach über hirngerechtes und selbstorgansiertes Lernen. Zentrale Aussagen aus ihrem Input fasst sie in diesem Beitrag zusammen.

Wer die Matura abgeschlossen hat, kann jedes beliebige Studium an einer Schweizer Universität oder Pädagogischen Hochschule prüfungsfrei aufnehmen – eine Ausnahme ist das Medizinstudium. Die Matura garantiert eine breite Allgemeinbildung, vertiefte Fachkenntnisse in Deutsch, Mathematik wie auch im Schwerpunktfach und attestiert den Absolventinnen und Absolventen für die Hochschule allgemein reif zu sein.

 

Die fachlichen Kenntnisse sind klar geprüft: Wie gut jemand in sprachlichen, musischen oder naturwissenschaftlichen Fächern ist, zeigt das Maturazeugnis an. Im Hochschulstudium jedoch spielen gleich zu Beginn die «überfachlichen Kompetenzen» eine entscheidende Rolle. Denn je besser diese ausgereift sind und zur Anwendung kommen, umso hilfreicher sind sie beim Erschliessen neuer Fachkenntnisse und dem Bewältigen von zeit- und inhaltsintensiven Aufgaben. Es geht beispielsweise um Eigenmotivation, geschickte Zeiteinteilung, Stressbewältigung, kritisches Denken und Freude am Lernen.

 

Diesen «Überfachlichen Kompetenzen» widmete sich der diesjährige Thementag, ein Treffen von Gymnasialvertreterinnen und –vertretern aus der Zentralschweiz und Hochschuldozierenden. Es galt zu diskutieren, wie die überfachlichen Kompetenzen etwa am Gymnasium eingeübt und eingefordert werden. Und wie die Hochschulen das sehen: bringen heutige Maturandinnen und Maturanden diese Kompetenzen in ausreichendem Masse und gemäss den Anforderungen des Hochschulbetriebs mit?

 

Vier Ateliers näherten sich dem Thema aus Perspektive der Hochschule, eines Gymnasiums, der Philosophie und der Neuropsychologie an. Aus neuropsychologischer Sicht ordnete Dr. Barbara Studer von der Uni Bern die Fähigkeit des selbstorganisierten Lernens ein. Ihren Vortrag hat sie nachfolgend in Grundzügen zusammengefasst.


Selbstorganisiertes Lernen – lässt sich die Beherrschung dieser basalen Kompetenz von Lernenden einfach voraussetzen?

Dr. Barbara Studer, Neuropsychologin, Dozentin und Leiterin von Synapso - Fachstelle für Lernen und Gedächtnis an der Universität Bern
Dr. Barbara Studer, Neuropsychologin, Dozentin und Leiterin von Synapso - Fachstelle für Lernen und Gedächtnis an der Universität Bern

Nein. Sagt die Neuropsychologin Dr. Barbara Studer, weil selbstorganisiertes Lernen nicht einfach da ist, sondern gelernt sein will. Am Thementag stellte sie in einem Atelier Ziele und Methoden des selbstorganisierten Lernens vor und diskutierte mit den teilnehmenden Lehrpersonen und Dozierenden erfolgsversprechende Lernfaktoren. 

 

Was ist gelungenes selbstorganisiertes Lernen?

Um mögliche Antworten auf diese Frage zu finden, lohnt sich die Auseinandersetzung mit unserem Lernorgan, dem Gehirn. Das Gehirn ist ein unglaublich faszinierender komplexer Lernmotor, dessen Funktionsmechanismen in den letzten Jahrzehnten intensiv beforscht wurden. Befunde dazu beschreiben unser Gehirn u.a. als ein problemlösendes, aktives, emotionales, soziales, verknüpfendes, bewertendes, (sich selbst) belohnendes Organ.

 

Aufbauend darauf können grundlegende Prinzipien für hirngerechtes Lernen formuliert werden: Lernen erfolgt am schnellsten, wenn der Lerninhalt bedeutsam, überraschend, emotional, mit Freude verbunden und mit allen Sinnen erlebbar ist. So geschieht eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Lernstoff, womit Lerninhalte tiefer verarbeitet und mit eigenem Wissen und Erfahrungen verknüpft werden.

Auszug aus der Präsentation von Barbara Studer zum "Lernen lernen" vom 30.10.2020, Thementag "Überfachliche Kompetenzen"
Auszug aus der Präsentation von Barbara Studer zum "Lernen lernen" vom 30.10.2020, Thementag "Überfachliche Kompetenzen"


Diese Art des selbstorganisierten Lernens ist somit das Ziel, weil es das Wissensnetzwerk nachhaltig verändert. Und es ist zugleich eine Methode, weil diese Art des Lernens bei Lernaufträgen mit selbstorganisierten Prozessen viel wahrscheinlicher ist. Wenn Lernende selbständig die Lösung für eine Fragestellung herausfinden, geht ihnen das sicherlich mehr unter die Haut, als wenn sie eine Lehrperson dazu anleitet. Auch führen selbstregulierte Lernergebnisse zu vielen kleinen Erfolgserlebnissen, die dann nicht nur die Lernergebnisse, sondern zugleich die Selbstwirksamkeit und Lernkompetenz des Lernenden vergrössern.

 

Was aber, wenn Überforderung und Frustration bei selbstregulierten Lernaufträgen überwiegen und somit sowohl das Lernen als auch der Selbstwert geschwächt werden? In diesem Fall brauchen Lernende Unterstützung, u.a. durch Lehrpersonen, um sich gutes Lernrüstzeug anzueignen. 

 

Wie kann die Kompetenz des selbstorganisierten Lernens unterstützt werden?

Im Schulbereich wird oft diskutiert, mit welchen Methoden und Aufträgen selbstreguliertes Lernen erreicht werden kann. Viel weniger aber wird über die Förderung der Kompetenz des selbstorganisierten Lernens diskutiert. Teil diese Kompetenz sind Lernstrategien, Emotionsregulation, Motivationsmanagement, Zeitmanagement, Coping, Organisation, soziale Fähigkeiten und viele mehr. Lernende profitieren sowohl kurz- als auch langfristig davon, wenn diese Metakompetenzen gefördert werden und sie diese erweitern können.

 

Aus meiner Sicht besteht ein wichtiger Schritt dieser Förderung darin, mit den Lernenden konkret über die Anforderungen der selbstorganisierten Lernprozesse zu diskutieren, sie in diesen Prozessen zu begleiten und Feedbacks zu geben. Lernende fühlen sich so verstanden und in ihren Herausforderungen wahr und ernst genommen.

 

Dies entspricht den Befunden und Empfehlungen des bekannten Lernforschers John Hattie (2015): Lehrerinnen und Lehrer sollen lernen, den Unterricht „mit den Augen der Lernenden“ zu sehen und ihn entsprechend zu gestalten; dazu bedarf es der Entwicklung einer umfassenden Feedback-Kultur. Lernende sollen selbstständiges und eigenverantwortliches Lernen entwickeln und ihre eigenen Lehrer werden.

 

Damit dies gelingen kann, können Lehrpersonen beispielsweise aktivierende Lernstrategien vermitteln und ihre systematische Anwendung begleiten. Auch in anderen Bereichen (z.B. Emotionsregulation) können Impulse weitergeben und die Selbstreflexion sowie der Austausch darüber angeregt/angeleitet werden. Erst zusammen mit der Erweiterung der Lernkompetenz kann die Menge der selbst organisierten Lernzeiten zunehmen (s. Abb. Ziele des SOL = selbstorgansiertes Lernen).

Beispiele von Beiträgen von Synapso – der Fachstelle für Lernen und Gedächtnis der Uni Bern

Für das Studium an einer Hochschule hat das selbstorganisierte Lernen neben anderen Aufgaben des Selbstmanagements einen sehr grossen Stellenwert. Nur wer über gute Metakompetenzen verfügt, kommt erfolgreich und ohne zu viel Stress durch ein Studium. Darum haben wir an der Uni Bern Kurzvideos konzipiert, die wichtige Metakompetenzen beleuchten. Mit diesen Impulsen möchten wir die Reflexion und den Austausch über diese Kompetenzen anregen. Zum Beispiel zum Thema Selbstmanagement: 

 

Zudem organisieren wir Austauschforen, an denen allgemeinen Anliegen und Sorgen in Bezug auf das Lernen und Wohlergehen ausgetauscht werden können. Auch in Gymnasien vermitteln wir in Form von Crash- und Projektwochen Wissen und Kompetenzen rund um die Thema Lernen, Gedächtnis und Motivation. Im Sinne von «Scientainment» möchten wir jungen Lernenden wissenschaftliche Erkenntnisse zu metakognitiven Kompetenzen verständlich und ansprechend vermitteln und ihnen Mut machen, unsinnige oder schädigende Gewohnheiten zu verändern.


Zentralschweizer Dialog an der Schnittstelle Gymnasien – Hochschulen 

Der Austausch über die Bildungsstufen hinweg entstand auf Initiative der Bildungsdirektoren-Konferenz Zentralschweiz mit dem ersten Begegnungstag 2017 und wird von ihr getragen. Der Austausch an der Schnittstelle Matura – Studium soll dazu beitragen, dass die Matura weiterhin den Zugang zu allen Universitäten und pädagogischen Hochschulen offenhält. Weitere Informationen zur langfristigen Sicherung des prüfungsfreien Hochschulzugangs mit der gymnasialen Maturität sind auf der Website der Erziehungsdirektoren Konferenz nachzulesen. 

Seit 2018 treffen sich die beteiligten Institutionen zu einem jährlichen operativen oder inhaltlichen Austausch.

Mit der Organisation des Dialogs Gymnasien - Hochschulen ist die Dienststelle Gymnasialbildung des BKD Luzern beauftragt. Kontaktperson ist Judith Albisser, wissenschaftliche Mitarbeiterin.

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