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Gemeinsam in die Zukunft: Beurteilungssystem der Luzerner Volksschulen im Fokus

Text: Romy Villiger

Vorschaubild: Pixabay / Markus Winkler

Beurteilung bewegt. Aus diesem Grund hat die Dienststelle Volksschulbildung zur Zukunftskonferenz geladen. Ziel der Konferenz war, die Meinungen und Bedürfnisse der vielen Akteure rund um die Luzerner Volksschule einzuholen und damit Ideen und Anregungen für die Überprüfung des Beurteilungssystems zu erhalten. Die Ergebnisse werden nun ausgewertet und - soweit möglich - im Rahmen des Entwicklungsvorhabens «Schulen für alle» weiterbearbeitet.

Die Beurteilung mit Noten ist uralt, die Zukunftskonferenz soll neue Ansätze zeigen, wie künftig beurteilt werden soll. (Bild: Jonas Räber)
Die Beurteilung mit Noten ist uralt. Die Zukunftskonferenz soll neue Ansätze hervorbringen, wie künftig beurteilt werden soll. (Bild: Jonas Räber)

Die Beurteilung mit Schulnoten ist alt, wenn nicht sogar uralt. Gesellschaft und Schule haben sich gewandelt und die Forschung hat neue Erkenntnisse zum Lehren und Lernen hervorgebracht. Das Beurteilungssystem aber ist seit vielen Jahren dasselbe. Zwar ist es im Kanton Luzern für die Volksschulen in den Gemeinden bereits jetzt möglich, während des Semesters auf Noten zu verzichten und Leistungsrückmeldungen auf alternative Arten zu geben – die Semesterzeugnisnoten aber bleiben obligatorisch. Der mit der Einführung des Lehrplans 21 auf Kompetenzen fokussierte Unterricht macht nun aber eine grundsätzliche Überprüfung der aktuellen Beurteilung und Bewertung notwendig. Kinder und Jugendliche lernen unterschiedlich schnell, sie bauen Kompetenzen also individuell auf, daher kann eine gleichförmig angelegte Überprüfung problematisch sein.

Name ist Programm

Die Konferenz zeigte eines ganz klar: Beurteilung bewegt. (Bild: Jonas Räber)
Die Konferenz zeigte eines ganz klar: Beurteilung bewegt. (Bild: Jonas Räber)

Über hundert Teilnehmende, darunter Schulleitende, Lehr- und Fachkräfte, Vertretungen aus Wirtschaft und Gewerbe, Schulbehörden, Wissenschaft, Politik und Partnerverbänden nahmen deshalb am 20. Januar 2024 an der Zukunftskonferenz mit dem Titel «Beurteilung bewegt», teil. Eingeladen hatte die Dienststelle Volksschulbildung, um die Standpunkte und Anliegen der verschiedenen Akteure im Bildungsbereich zu erfassen. Schnell wurde klar, dass Beurteilung wirklich bewegt.

 

Bildungsdirektor Dr. Armin Hartmann hielt gleich zu Beginn der Konferenz fest: «Die Überprüfung der aktuellen Beurteilungspraxis erfolgt ergebnisoffen. Es gibt keine versteckte Agenda zum Abschaffen der Noten». Ziel des Tages sei es, sich offen über Haltungen, Gemeinsamkeiten und Differenzen auszutauschen. «Entscheide werden keine gefällt», so der Bildungsdirektor weiter. Martina Krieg, Leiterin der Dienststelle Volksschulbildung wies bei ihrer Begrüssung darauf hin, dass Beurteilen sehr viel mehr als nur eine Prüfung beinhalte: «Die Schule hat nicht nur eine Qualifikations- sondern auch eine Sozialisationsfunktion», so Krieg. Sie müsse fachliche und überfachliche Kompetenzen fördern, weil Selbständigkeit, Problemlösefähigkeit, Reflexionsfähigkeit und Teamfähigkeit an Bedeutung gewinnen würden. Die Kinder und Jugendlichen sollten sich in der Schule ihrer Stärken bewusst werden und ihr Potenzial entfalten können. 

Stärken und Schwächen der Beurteilung mit Noten

In einem ersten Schritt tauschten sich die Teilnehmenden über Stärken und Schwächen des aktuellen Beurteilungssystems aus. Die meisten schätzen die Einfachheit und den verständlichen Code, der via Noten übersetzt werden kann. Als Schwäche sehen die Konferenzteilnehmenden hingegen die Scheinsicherheit der Noten und die nicht immer gegebene Nachvollziehbarkeit. Zudem würden Noten wenig über die tatsächlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler aussagen.

Je nach Sichtweise werden Noten als positiv oder negativ wahrgenommen. (Bild: Jonas Räber)
Je nach Sichtweise werden Noten als positiv oder negativ wahrgenommen. (Bild: Jonas Räber)

Danach schilderten Schülerinnen und Schüler in einem Video ihre Erfahrungen und ihren Umgang mit den Schulnoten. Sie berichteten über den Druck, den Noten verursachen, aber auch von der Freude über eine gute Schulnote. Dr. Markus Roos von der Pädagogischen Hochschule Zug zeigte auf, dass es aus wissenschaftlicher Sicht nicht ratsam sei, Kinder miteinander zu vergleichen und die Errechnung von Klassendurchschnittsnoten keinen Sinn ergebe. Denn ausserhalb des Schulzimmers würden die Noten ihren Wert verlieren. So bedeute eine Sechs in Deutsch gemäss Markus Roos grundsätzlich bloss, dass ein Kind in seiner Klasse das Beste sei. Noten seien also nur scheinbar genau und wiesen Messfehler von plus oder minus einer ganzen Note auf, je nach Stärke der Leistungen einer Klasse. Dies werde offensichtlich, wenn die Lehrperson oder die Unterrichtsform wechsle. Roos empfiehlt, darüber zu sprechen, was Noten aussagen sollen und Kompetenzraster oder Portfolios mit den besten Leistungen der Schülerinnen und Schüler zusammenzustellen. Diese könnten dann bei Elterngesprächen oder Bewerbungen zum Einsatz kommen. 

 

Schliesslich gab Erika Neumann, Geschäftsführerin von Schindler Berufsbildung, Einblick in die Praxis des Rekrutierungsprozesses in ihrem Betrieb. Die Schulnoten spielen dort eine wichtige Rolle, insbesondere im Hinblick auf die Berufsfachschule. Wer diese nicht zu bewältigen vermag, schafft es nicht zum Berufsabschluss. Neumann stellte aber auch fest, dass die Schulnoten wenig über das Potenzial der künftigen Lernenden aussagen und berufsrelevante Faktoren wie beispielsweise Sozialkompetenz nur beschränkt abbilden würden. 

Der Blick in die Zukunft

Nach der intensiven Auseinandersetzung mit der aktuellen Beurteilungspraxis richteten die Konferenzteilnehmenden den Blick in die Zukunft und definierten Empfehlungen. Wie es sich für eine Zukunftskonferenz gehört, enthielten die Rückmeldungen auch visionäre Ansätze. Ebenso wurden Forderungen platziert, die erst kürzlich politisch breit diskutiert und abgelehnt wurden. Im Projekt «Schulen für alle» werden deshalb nur jene Empfehlungen bearbeitet, die dem Projektauftrag entsprechen.  Im Folgenden sind die sieben bestbewerteten Empfehlungen aufgeführt.  

1.     Überprüfung des Selektionsprozesses und des Selektionszeitpunkts*

2.     Alternative Beurteilungs- und Bewertungsformen (Kompetenzraster, Selbsteinschätzung, Spider, Lerngespräche, 

        Erweiterung der Zeugnisse mit Kompetenznachweisen und Selbstbeurteilungen)

3.     Guter Unterricht, Lernprozess und Beurteilung als zusammenhängend erkennen

4.     Vernetzung der Akteure (Nahtstellen)

5.     Öffentlichkeitsarbeit – Vertrauen in die Schule stärken

6.     Klares Statement der Regierung, Rückenstärkung

7.     Konsequente Umsetzung der Kompetenzorientierung; Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis

Bei der Zukunftskonferenz waren sich alle einig, dass das Beurteilungssystem Entwicklungsbedarf hat. (Bild: Jonas Räber)
An der Zukunftskonferenz waren sich alle einig, dass das Beurteilungssystem Entwicklungsbedarf hat. (Bild: Jonas Räber)

In der Dienststelle Volksschulbildung erfolgt nun die Auswertung der Ergebnisse der Zukunftskonferenz. Dienststellenleiterin Martina Krieg versprach abschliessend: «Wir werden die Entwicklungen immer wieder zur Diskussion stellen». Instanz für die Entscheidungen ist der Regierungsrat.

 

*Gemäss Planungsbericht ist das Langzeitgymnasium ein Teil der Talentförderung, welche im strategischen Legislaturprogramm definiert ist. Aufgrund mehrfacher Überprüfungen des Angebots des Langzeitgymnasiums ist dessen Beibehaltung im Planungsbericht nicht in Frage gestellt (vgl. Planungsbericht über die weitere Entwicklung der Volksschule, der Gymnasien und der Berufsbildung im Kanton Luzern. S. 37 ff.). Dies führt dazu, dass der Aspekt der Selektion im Rahmen von «Schulen für alle» nicht bearbeitet werden wird, obwohl er an der Zukunftskonferenz als Themenfeld priorisiert wurde.


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