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Dienststellenleiter mit besonderem Profil: Charles Vincent geht in Pension

Interview: Romy Villiger

Wohl kaum jemand anders hat die Luzerner Volksschule über so viele Jahre so stark geprägt wie Charles Vincent. Fast 35 Jahre leitete er deren Geschicke und zeichnet damit direkt verantwortlich für die grossen Entwicklungsschritte, welche die Volksschule in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten durchlaufen hat. Ende Jahr geht Charles Vincent in Pension.

Charles Vincent Leiter Dienststelle Volksschulbildung im Kanton Luzern bis Ende 2020
Charles Vincent in seinem Büro in der Dienststelle Volksschulbildung an der Kellerstrasse in Luzern

Charles Vincent, gibt es so etwas wie ein übergeordnetes Ziel, das Sie all die Jahre an der Spitze der Volksschule verfolgt haben?

 

Die Volksschule - nomen est omen - ist eine Schule für das ganze Volk, also für alle. Dass das so blieb, war mir immer sehr wichtig. Dafür musste und muss sich die Schule jedoch, parallel zur Gesellschaft, ständig weiterentwickeln. Bisher ist uns das im Kanton Luzern recht gut gelungen. Immerhin besuchen gut 98 Prozent aller Kinder und Jugendlichen die öffentliche Volksschule.

 

Stichwort Entwicklung: Welches sind die prägendsten Entwicklungsschritte, welche die Volksschule unter Ihrer Führung durchlaufen hat?

 

Das war wohl im ersten grossen Projekt «Schulen mit Profil» das Element der «geleiteten Schule». Die Einführung von Schulleitungen war eine besonders wichtige und nachhaltige Veränderung in der Schullandschaft. Was heute eine Selbstverständlichkeit ist, war zu dieser Zeit (ca. 1990 - 2000) etwas völlig Neues. Vorher hatten die grossen Gemeinden Rektoren, die sich vor allem um die Anstellung der Lehrpersonen und die Organisation der Räume kümmerten. Von pädagogischer Führung war noch nicht die Rede. In unserem zweiten grossen Projekt «Schulen mit Zukunft» (2005 - 2020) stand dann der Unterricht im Fokus bzw. im Besonderen der Umgang mit «Heterogenität».

 

Homogenität im Klassenzimmer gab es nie und gibt es einfach nicht mehr, auch wenn dies Einzelne immer wieder herbeisehnten. Aus diesem Grund wurden letzten Endes auch die Kleinklassen aufgegeben. Im Kanton Luzern haben wir recht früh erkannt, dass es heutzutage nicht mehr möglich ist, Homogenität bei den Lernenden im Klassenzimmer anzustreben, sondern es muss das Ziel des Unterrichts sein, den unterschiedlichen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden.

Charles Vincent Label Schule mit besonderem Profil 2019
Charles Vincent ist Mitinitiator des Labels "Schule mit besonderem Profil". An der Erstverleihung 2019 erläutert Vincent die Einbettung des Labels in der Schulentwicklung des Kantons Luzern.

Das waren sehr grosse Projekte mit weitreichenden Folgen. Worauf führen Sie deren erfolgreiche Umsetzung zurück?

 

Die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den fünf hauptverantwortlichen Verbänden bzw. Trägern der Luzerner Volksschulen* war eine entscheidende Voraussetzung für die gelungene Weiterentwicklung der Volksschule überhaupt. Aber auch die gute Verankerung der einzelnen Schulen vor Ort war wichtig für die Unterstützung durch die kommunalen Behörden und die lokale Bevölkerung. So konnten die Schulen ihr eigenes Profil gestalten und sich als lernende Organisation inhaltlich und organisatorisch entwickeln. Die enge Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen der PH Luzern ermöglichte zudem auf unkomplizierte Art und Weise die Bereitstellung von wichtigen Unterstützungsangeboten für die Schulen und Lehrpersonen. Von grosser Bedeutung waren aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Dienststelle, sie haben mit ihrem Engagement und ihrer Fachkompetenz ganz wesentlich zu den Entwicklungen in der Praxis beigetragen.

 

*Zu den fünf Trägerinstitutionen der Luzerner Volksschulen zählen der Verband Luzerner Gemeinden (VLG), der Verband Bildungskommissionen Kanton Luzern (VBLU), der Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Kanton Luzern (VSL LU), der Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverband (LLV) und das Bildungs- und Kulturdepartement, Dienststelle Volksschulbildung (DVS)

 

Charles Vincent am Stand der Volksschulbildung während des Tags des offenen Regierungsgebäudes 2018. Bild BKD
Charles Vincent am Stand der Volksschulbildung während des Tags des offenen Regierungsgebäudes 2018. Bild BKD

Die Luzerner Volksschule gilt als zeitgemäss und modern. Wo sehen Sie die nächsten Entwicklungsschritte, damit dies so bleibt?

 

Schulentwicklung ist eine kontinuierliche Aufgabe und Teil des umfassenden Qualitätsmanagements. Und wir wollen die hohe Qualität unserer Schulen behalten und weiterentwickeln. Bereits seit Mitte 2018 beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe mit Recherche- und Planungsarbeiten für die Schulentwicklung nach 2023. Im neuen Projekt «Schulen für alle» geht es vor allem um das individuelle Lernen. Nicht alle Kinder müssen und können zur gleichen Zeit das Gleiche lernen. Es ist nötig, Kompetenzen und Bildungsstrukturen immer wieder an neue Anforderungen anzupassen. Auch methodisch lernen die Kinder nicht alle mit derselben Methode am besten. Die digitalen Lernmittel bieten uns hier eine grosse Unterstützung. Sie stellen aber auch eine grosse Herausforderung für die Schule und insbesondere die Lehrpersonen dar, denn deren Einsatz stellt durchaus hohe Anforderungen.

 

Wo könnte sich die Volksschule noch verbessern?

Ich denke, wir müssen uns sehr mit der Entwicklung der Digitalisierung befassen und die Chancen für eine stärkere Individualisierung in diesem Bereich nutzen. Digitalisierung in der Arbeitswelt und Individualisierung sind für mich – neben der demographischen Entwicklung – die beiden wichtigsten Megatrends der Zukunft. Auch bei den Tagesstrukturen sehe ich noch Verbesserungspotenzial hinsichtlich Quantität und Qualität. Man kann und muss Bildung und Betreuung noch mehr zusammendenken und neue gemeinsame Wirkungsweisen von Lehrpersonen und Sozialpädagogen entwickeln, um die vorhandenen Synergien noch besser nutzen zu können.

Charles Vincent Gastgeber Pensioniertenfeier 2020
Charles Vincent spricht an der Verabschiedungsfeier pensionierter Lehrpersonen im Sommer 2020. Bild Heidi Hostettler

Ganz generell: Wo sehen Sie die grösste Herausforderung für die Volksschule?

Die öffentliche Schule muss sich einer Aufgabe stellen, die sehr schwer zu meistern ist: Sie muss sich möglichst schnell auf zukünftige Entwicklungen einstellen – auf die vorhersehbaren und auch auf die unvorhersehbaren. Aber mit dem gemeinsamen Engagement der fünf Partner ist dies möglich. Da bin ich aufgrund der Erfahrungen mit den zwei bisherigen gemeinsam getragenen Projekten sehr zuversichtlich.

 

Sie planen nun nicht mehr die Entwicklung der Volksschule, sondern Ihren persönlichen neuen Lebensabschnitt. Verraten Sie uns etwas über Ihre Pläne?

 

Ich freue mich darauf, mehr Zeit für die Dinge des ganz normalen Alltags zu haben. Dazu gehört auch mein Engagement im Verein «Freunde der Ronmühle» in Schötz oder im Naturlehrgebiet Ettiswil und in verschiedenen Stiftungsräten von Sonderschulen. Eine grosse Rolle spielt auch die Musik in einer grossen Bandbreite in meinem Leben. Ich hoffe, dass ich die Wagner-Festspiele in Bayreuth nun wieder regelmässig besuchen kann sowie natürlich die Konzerte der Band «Rammstein».

 

Und da mich Bildung ein Leben lang begleitet hat, wird sich daran nichts ändern, denn wer sich bildet, ist bereit, sich auch weiterhin zu entwickeln. Und das möchte ich natürlich persönlich weiterhin tun. In welcher Form bleibt offen, aber es gibt viele Themen, die mich interessieren. Und da sind ja noch Hunderte von Büchern, die ich zu Hause habe und noch lesen möchte. Dafür, dass ich nicht nur geistig, sondern auch körperlich fit bleibe, sorgen unsere beiden Hunde: Max und Moritz. Und Moritz verlangt noch viel Bildungsarbeit, denn er ist erst fünf Monate alt. Aber er hat die erste Klasse - die Welpenschule - schon sehr gut bestanden. Potenzial ist also vorhanden!

Hier die offizielle Medienmitteilung zur Verabschiedung von Charles Vincent als Dienststellenleiter Volksschulbildung

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