Text: Roger Rauber / Blogredaktion
Bilder: Kantonsschule Seetal
Die Kantonsschule Seetal steht vor einem bedeutenden Wandel. Mit dem Schulentwicklungsprogramm «KS Seetal 2030» will die Schule auf gesellschaftliche und technologische Veränderungen reagieren, darunter die Digitalisierung und das neue Maturitätsanerkennungsreglement. Im Rahmen eines partizipativen Prozesses stellen Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler, Eltern und eine externe Beraterin gemeinsam die Weichen für eine Neuausrichtung des Unterrichts. Dabei geht es nicht nur um innovative Lernformen, sondern auch um die Schaffung einer zukunftsfähigen Schulkultur, die den Herausforderungen der modernen Welt gerecht wird. Roger Rauber, Rektor der Kantonsschule Seetal, gibt Einblick in das wegweisende Vorhaben.
Für eilige Leserinnen und Leser:
- Veränderte Rahmenbedingungen, wie das neue Maturitätsanerkennungsreglement oder die Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität sowie die rasante digitale Entwicklung, stellen Gymnasien vor neue Herausforderungen.
- Die Kantonsschule Seetal reagiert darauf mit dem Programm «KS Seetal 2030».
- Lehrpersonen, Lernende und Eltern arbeiten gemeinsam an Ideen, wie der Unterricht der Zukunft aussehen soll. Dabei werden neue Lernmethoden entwickelt, die auf die Bedürfnisse der Schüler und Schülerinnen eingehen und digitale Medien sinnvoll nutzen.
- Der Schulentwicklungsprozess wird fortlaufend angepasst und flexibel gestaltet, um schnell auf neue Herausforderungen reagieren zu können und die verschiedenen Themenfelder miteinander zu verknüpfen.
Die Kantonsschule KS Seetal ist als innovative Schule bekannt. Denn bereits vor bald 20 Jahren startete die damalige «Kantonale Mittelschule Seetal» am Standort Baldegg mit einem neuen Schulprofil. Seither gehören unter anderem die 70-Minuten-Lektionen, ein Sozialeinsatz für alle Lernenden des Gymnasiums, ein obligatorischer Fremdsprachenaufenthalt von vier Wochen und das Integrationsfach «Sprache und Kultur der Antike» zum Profil der Schule. Alle diese schulspezifischen Elemente sind in den letzten Jahren zwar etwas modifiziert worden, haben aber ihren Grundcharakter bewahrt.
Gesellschaftlicher Wandel und rasante Digitalisierung
In den letzten Jahren hat sich das gesellschaftliche und schulische Umfeld stark verändert. Unsere Welt ist ungewisser, unbeständiger und komplexer geworden und einem starken Wandel unterworfen (vgl. das Akronym VUCA-World, wobei das V für «volatility» (= Unbeständigkeit), das U für «uncertaintiy» (= Unsicherheit), das C für «complexity» (= Komplexität) und das A für «ambiguity» (= Mehrdeutigkeit) stehen).
Ein Treiber des Wandels ist die rasante Digitalisierung, die seit November 2022 mit der Marktfreigabe der generativen Text-KI «ChatGPT» nochmals deutlich an Fahrt zugenommen hat.
Die KS Seetal verfügt als kantonale Pilotschule bei digitalen Projekten zwar über eine langjährige Expertise im Bereich Unterricht mit digitalen Medien und Geräten. Doch ist das Tempo der digitalen Entwicklung so hoch, dass es auch für uns herausfordernd ist, den Überblick zu bewahren. Die Digitalisierung ist ein Grund, dass wir unser Schulentwicklungsprogramm «KS Seetal 2030» gestartet haben. Es geht uns nämlich auch darum, den Nutzen und die Einsatzmöglichkeiten der digitalen Medien und Geräte für den Unterricht zu prüfen und weiterzuentwickeln.
WEGM – Weiterentwicklung der gymnasialen Matura als Anstoss
Im Jahr 2024 hat das nationale Projekt Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität WEGM seinen Abschluss gefunden. Denn am 1. August 2024 ist das neue Maturitätsanerkennungsreglement MAR in Kraft getreten und im Juni 2024 ein neuer Rahmenlehrplan für das vierjährige Gymnasium verabschiedet worden. Dadurch ändern sich wichtige Rahmenbedingungen für das Gymnasium. Das war für uns an der KS Seetal ein weiterer wichtiger Grund, eine «grosse Auslegeordnung» zu machen. Wir wollen darüber nachdenken und klären, wie das Lernen und Lehren an der KS Seetal vor dem Hintergrund der neuen MAR-Rahmenbedingungen und dem Wandel im Jahr 2030 aussehen soll.
Die Ziele des Schulentwicklungsprogramms
Aus diesem Grund haben wir im Schuljahr 2023/24 das Schulentwicklungsprogramm «KS Seetal 2030» gestartet und zum Hauptjahresziel gemacht. Wir wollen versuchen, für unsere Schule eine Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft zu finden. Zu Beginn des Entwicklungsprozesses im Herbst 2023 lauteten unsere Ziele wie folgt:
- Eine gemeinsame Vision für einen zeitgemässen gymnasialen Unterricht entwickeln und pädagogische Haltungen klären.
- Eine Unterrichtskonzeption entwerfen, die selbstständiges Lernen ermöglicht und individuelle Fähigkeiten und Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt; dabei die Möglichkeiten der Digitalisierung geschickt nützen.
- Die KS Seetal weiterhin als innovative Kantonsschule positionieren, die als attraktiver Lernort wirkt und wahrgenommen wird.
Bildung einer Projektgruppe und Start mit einer zweitägigen Klausur
Im Herbst 2023 wurde eine fünfköpfige Steuergruppe, bestehend aus zwei Schulleitungsmitgliedern (Rektor Roger Rauber und Prorektorin Monika Iten) und drei Lehrpersonen, gebildet. Die Steuergruppe machte sich an die Vorbereitung einer zweitägigen Klausur. Im Januar 2024 kam Astrid Blunschi von der focus-mensch blubal gmbh als externe Beraterin dazu. Mit ihrer Unterstützung entwickelten wir das Programm für eine zweitägige Schulentwicklungsveranstaltung, die am 3. und 4. Mai 2024 im Campus Sursee durchgeführt wurde. Alle Lehrpersonen, die Schulleitung, 25 Schülerinnen und Schüler aus allen Stufen unserer Schule, drei Mitglieder der Schulkommission und einige Eltern und Erziehungsverantwortliche waren an dieser Klausur dabei. Dieser partizipative Ansatz war uns bereits beim Start des Schulentwicklungsprogramms wichtig. Am ersten Tag machten sich die Teilnehmenden in 10 Handlungsfeldern (siehe Bild unten) Gedanken darüber, welche Veränderungen in Zukunft möglich und notwendig wären.
Zielpunkt war dabei stets der Gedanke, ein Lernen und Lehren zu ermöglichen und zu unterstützen, das die Schülerinnen und Schüler gut auf die zukünftigen Herausforderungen unserer Gesellschaft und ihre weitere Ausbildung an einer Universität oder Hochschule vorbereitet. Durch die Methode «World Café» kam am ersten Tag eine Fülle von Ideen und Gedanken zusammen. Der Meinungsaustausch und die Diskussionen in den aus Schülerinnen und Schülern, Lehrpersonen und weiteren Erwachsenen gemischten Gruppen war sehr anregend und intensiv.
Am zweiten Tag der Veranstaltung wurden einzelne Ideen von den Lehrpersonen in Gruppen weiterentwickelt und konkretisiert. Darunter waren Entwicklungsideen, die weitere Konkretisierungsarbeit erfordern, aber auch solche, die als kleine Schritte oder Experimente ohne grösseren Aufwand im Unterricht ausprobiert und umgesetzt werden können.
Wie weiter nach dem erfolgreichen Start?
Die Klausur in Sursee war ein Erfolg. Alle Teilnehmenden waren mit Eifer und Entwicklungsfreude dabei. Der Start war also geglückt. Nun galt es zu klären, wie wir das positive Momentum nach der Klausur nutzen und die Entwicklung vorantreiben konnten. Die Projektgruppe und die externe Beraterin definierten deshalb kurz nach der Klausur die weiteren Schritte. In einer Lehrpersonenkonferenz etwa 10 Tage nach der Klausur stellten wir die drei zeitlichen Ebenen des Entwicklungsprogramms vor.
Mit den «Experimenten» und «Quick-Wins» wollten wir den «frischen Wind» unserer zweitägigen schulinternen Weiterbildung SchilW nützen, um rasch ins Handeln zu kommen und Erkenntnisse für das «grosse Bild» zu gewinnen. Die anfänglich 10 Handlungsfelder wurden auf 6 Themenfelder reduziert. Sie lauten nun: Gefässe & Strukturen; Beurteilen & Bewerten; Schulkultur & Schulklima; Lernorte & Lernräume; Partizipation, Lernen & Unterstützen; Vernetzung von Fächern. Die Themenfelder sind dabei nicht als «Schubladen» zu verstehen, sondern bilden ein Netzwerk. Sie hängen miteinander zusammen und bedingen sich auch gegenseitig.
An der Schlusskonferenz Anfang Juli 2024 bildeten sich erste Teams von Lehrpersonen, die in einem der sechs Themenfeldern konkrete Experimente (mittelfristige Zeithorizont) entwickeln und Ideen und Konzepte für das «grosse Bild» (langfristiger Zeithorizont) entwerfen werden. An einem Schulentwicklungstag Mitte September arbeiteten die Lehrpersonen in den Themenfeldern weiter an der Konkretisierung ihrer Ideen.
Steuerung des Prozesses durch eine Koordinationsgruppe mit externer Beratung
Für die Steuerung des Prozesses wurde die bisherige Projektgruppe im neuen Schuljahr 2024/25 um eine Person verstärkt und in «Koordinationsgruppe» umbenannt. Die sechs Mitglieder der Koordinationsgruppe werden weiter von der externen Beraterin begleitet und unterstützt. Diese Aussensicht und externe Expertise betrachten wir als eine wichtigen Gelingensbedingung in unserem Entwicklungsprozess. Jedem der sechs Themenfelder ist ein Mitglied der Koordinationsgruppe zugeteilt. Dadurch soll die Vernetzung der Themen sichergestellt werden. Der Prozess selbst ist rollend angelegt und agil geplant. Die Koordinationsgruppe wird stets auf Entwicklungen in den Themenfeldern reagieren und den Prozess agil steuern.
Wichtig für den erfolgreichen Fortgang unseres Schulentwicklungsprogramms ist ausserdem eine transparente Prozesskommunikation. Die Beteiligten müssen wissen, was in den Themenfeldern läuft und welche Schritte gemacht worden sind. Deshalb haben wir auf unserem schulischen SharePoint eine Seite mit einer Ablagestruktur entwickelt, die es den Beteiligten ermöglicht, fortlaufend Einblick in die Arbeiten in den sechs Themenfeldern zu nehmen.
Herausforderungen im Schulentwicklungsprozess
In einem solchen Schulentwicklungsprozess gibt es verschiedene Herausforderungen. Eine davon ist die zeitliche Belastung der beteiligten Lehrpersonen. Sie haben nebst ihren unterrichtlichen Aufgaben nur begrenzt Zeit für die Schulentwicklungsarbeit in den Themenfeldern. Deshalb lassen wir die zeitlichen Ressourcen aus bereits bestehenden schulinternen Qualitäts- und Arbeitsgruppen in die Entwicklungsarbeit für «KS Seetal 2030» einfliessen. Bisherige Arbeitsgruppen haben wir «eingefroren» oder aufgelöst.
Eine weitere Herausforderung sind auch die finanziellen Ressourcen. Schulentwicklung braucht nebst Zeit immer auch finanzielle Mittel. Aus diesem Grund schauen wir, dass wir, wo es möglich und sinnvoll ist, Mittel aus unseren Poollektionen für unsere Schulentwicklung einsetzen. Ganz zentral sind dabei auch die Mittel für die Weiterbildung der Lehrpersonen. Denn die Weiterbildung ist ein Schlüsselfaktor für das Gelingen unseres Entwicklungsprozesses.
Eine noch nicht abschliessend geklärte Herausforderung sind die Entscheidungskompetenzen der verschiedenen Gremien und Akteure in der Steuerung des Prozesses: Wer - Koordinationsgruppe, Projektgruppen, Schulleitung, Lehrpersonen - entscheidet im Prozess wann über Neuerungen, die eingeführt werden sollen? Wo ist für wen Mitsprache möglich und wo für wen Mitentscheidung? Die abschliessende Antwort auf diese Fragen wird zu finden sein. Denn es ist für die nachhaltige Verankerung neuer unterrichtlicher Gefässe, pädagogischer Konzepte etc. wichtig, dass sie die Akzeptanz derjenigen geniessen, die sie umzusetzen haben. Dazu braucht es im Prozess eine stimmige Partizipation und hinreichende Gestaltungsautonomie, um die Motivation hoch zu halten. Ganz im Sinne der Selbstbestimmungstheorie von Deci & Ryan, die festgestellt haben, dass die Motivation von Menschen auf drei psychologischen Grundbedürfnissen beruht: der Erfahrung der eigenen Kompetenz, der sozialen Eingebundenheit und eben der Erfahrung von Autonomie.
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