Benjamin Flämig* übernahm am 1. Februar 2021 die Nachfolge von Ruedi Mumenthaler als Direktor der ZHB Luzern. Als ehemaliger Leiter Abteilung E-Services und Projektleiter für die neue schweizweite Bibliotheksplattform Swisscovery ist Flämig in der ZHB zu Hause. Im Interview macht er klar, welche Bedeutung die ZHB für Gesellschaft und Wissenschaft hat und wie er dies fördern will.
Benjamin Flämig, schon seit Ihrem Studium arbeiteten Sie in verschiedenen Bibliotheken. Was fasziniert Sie an dieser Institution?
Mich, der ich meine Bibliothekslaufbahn im privatwirtschaftlichen Umfeld gestartet habe, begeistert an Bibliotheken wie der ZHB, dass sie wortwörtlich offen für alle sind und einen echten Mehrwert für die ganze Gesellschaft bieten.
Im Gegensatz zu anderen Lebensbereichen wird hier eben nicht gefragt, wer man ist, wie viel man verdient oder woher man kommt. Jeder Mensch findet bei uns einen freien und neutralen Zugang zu Informationen – sei es um das eigene Wissen zu erweitern oder auch nur um den nächsten Ausflug mit dem Wandergrüppli zu planen, gemütlich einen Kaffee zu trinken oder in der Zeitung zu schmökern.
Welche Themen werden Sie als neuer Direktor im laufenden 2021 am meisten beschäftigen?
Langweilig wird uns auf jeden Fall nicht. Aktuell arbeiten wir noch an den letzten Übergangshürden der schweizweiten Rechercheplattform swisscovery. Das neue System hat bei uns intern keinen Stein auf dem anderen gelassen und fordert unsere Kreativität und Anpassungsfähigkeit heraus.
Dann steht endlich auch die Umsetzung unseres lange geplanten Online-Portals an, auf dem wir historische Luzerner Publikationen kostenlos und im Volltext zur Verfügung stellen werden. Dafür digitalisieren wir in Kooperation mit weiteren Schweizer Bibliotheken und Google zunächst 60'000 Bücher aus dem Zeitraum von 1700-1900.
Daneben werden uns die Köpfe darüber zerbrechen, wie wir allenfalls längere Öffnungszeiten anbieten könnten. Und wenn es die Zeit dann noch erlaubt, erwischen Sie mich vielleicht auch mal persönlich am Standort Sempacherstrasse beim Versuch, unserem neuen Roboter das Beantworten von Bibliotheksfragen beizubringen.
Mit der Einführung der neuen Rechercheplattform swisscovery hat sich der Bibliotheksverbund IDS Luzern aufgelöst. Arbeitet die ZHB nun nicht mehr mit den regionalen Bibliotheken zusammen?
Ganz im Gegenteil. Da uns die regionale Zusammenarbeit sehr wichtig ist, haben wir mit den Bibliotheken des IDS Luzern innerhalb des neuen, nationalen Verbundes gemeinsam die regionale Plattform swisscovery RZS gegründet. Dort arbeiten wir mit allen bisherigen Partnerbibliotheken nun sogar enger und einheitlicher zusammen als zuvor. Das stellt uns intern zwar häufiger vor Herausforderungen, bietet unserem Publikum aber nur Vorteile.
Sie haben bisher die E-Services der ZHB geleitet. Wird die ZHB unter Ihrer Führung digitaler?
Auf jeden Fall. Allerdings wird sie das schon seit Jahren. Uns ist es wichtig, unserem Publikum nicht nur digitale Medien und Beratung anzubieten, sondern dabei auch neue Technologien einzusetzen und diese aktiv mitzugestalten, so dass sie für uns und unsere Nutzer*innen wirklich Sinn ergeben.
Schon jetzt können bei uns Notebooks, Tablets und Buchscanner genauso selbstverständlich ausgeliehen werden wie unser Medienbestand, und mit unserer IoT-Anwendung «Seat Navigator» findet sich schnell ein freier Platz im Lesesaal, wenn es bei uns dann wieder voller werden darf. Auch an Zukunftstrends wie beim Einsatz sozialer Robotern oder der Erweiterung von Öffnungszeiten nach dem Modell der Open Library bleiben wir dran, wie wir das bei unserem KI-Pilotprojekt «Lucebro» schon gezeigt haben.
Was sind Ihre langfristigen Ziele für die ZHB
Wir wollen aktiv mehr Offenheit in der Wissenschaft fördern, z.B. durch frei zugängliche Publikationen, Lehrmaterialen und Forschungsdaten. Das schreiben wir uns nicht nur auf die Fahne, sondern auch ganz konkret in die Budgetplanung. Zudem wollen wir Ideengeberin und öffentliches Experimentierfeld sein, etwa im Smart City Bereich. Mit Blick auf die langfristige Wirkung arbeiten wir an unserer eigenen Nachhaltigkeit.
Bibliotheken mögen zwar die «Sharing Economy» auf den ersten Blick schon viel länger leben, als es den Begriff überhaupt gibt, aber es bleibt noch viel zu tun. Besonders mit Blick auf globale Herausforderungen wie der Klimakrise, wachsender sozialer Ungleichheit und im Kontext von bewussten Fehlinformationen liefern uns Kampagnen wie Biblio2030 wertvolle Anregungen wie wir hier als Bibliothek wichtige Beiträge leisten können.
Das Gespräch erschien zunächst im ZHB-Newsletter 1/2021
*Benjamin Flämig (Jg. 1985) stammt aus Potsdam und hat an der Technischen Hochschule Köln und an der Humboldt-Universität zu Berlin zwei Masterstudien abgeschlossen – in Bibliotheks- und Informationswissenschaft sowie Geschichte und Deutsch. Aus- und Weiterbildungen in Führungsthemen und bibliothekarischen Fachdisziplinen runden seinen Leistungsausweis ab. Er hat bereits während seiner Studienzeit in diversen Fachbibliotheken die Infrastruktur betreut und als Projektleiter für das interne Wissensmanagement gearbeitet. Seit 2018 leitet er die Abteilung E-Services an der ZHB Luzern.
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