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Projekt Unkke: Spielerisch zu nachhaltigem Denken und Handeln

Interview: Vera Bergen 

Die Pädagogische Hochschule Luzern geht neue Wege mit ihrem Projekt «Unkke» - Unterricht zur Nachhaltigkeit: komplex, kontrovers, emotional. Das Projekt des Instituts für Fachdidaktik Natur, Mensch und Gesellschaft erforscht, wie Bildung in nachhaltiger Entwicklung BNE am besten vermittelt wird. Das Projektteam sucht interessierte Lehrpersonen und Schüler und Schülerinnen der 5. und 6. Klasse, welche beim Projekt mitmachen möchten. Diese tauchen dank Planspielen am Computer ein in die Bedeutung nachhaltiger Entwicklung. Scheitern und Neustarts inklusive.


Für eilige Leserinnen und Leser: 

  • Das Projekt «Unkke» der Pädagogischen Hochschule Luzern erforscht, wie Bildung in nachhaltiger Entwicklung BNE am besten vermittelt werden kann.
  •  Durch Planspiele am Computer soll Schülerinnen und Schülern ein Verständnis für komplexe Nachhaltigkeitsfragen vermittelt werden.

  •  Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler der 6. Primarklasse (auch 5./6. Klassen möglich) sind eingeladen, am Projekt teilzunehmen.

  • «Unkke» dauert vom 1. Januar 2024 bis 31. Dezember 2027 und wird vom Schweizerischen Nationalfonds finanziell unterstützt. 

Prof. Dr. sc. nat. Markus Wilhelm ist Unkke-Projektleiter sowie Leiter des Instituts für Fachdidaktik Natur, Mensch, Gesellschaft (IF NMG) an der PH Luzern. (Bild: zVg)
Prof. Dr. sc. nat. Markus Wilhelm ist Unkke-Projektleiter sowie Leiter des Instituts für Fachdidaktik Natur, Mensch, Gesellschaft (IF NMG) an der PH Luzern. (Bild: zVg)

Prof. Dr. Markus Wilhelm, das Institut für Fachdidaktik Natur, Mensch, Gesellschaft (IF NMG) der PH Luzern ist mit dem Projekt «Unkke» ins neue Jahr gestartet. Was ist Unkke?

Unkke ist ein Forschungsprojekt, das  am 1. Januar 2024  gestartet ist und vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt wird. Wir wollen während des Projektes untersuchen, wie die Art des Unterrichts und der Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler im Umgang mit komplexen und kontroversen Fragen zu Nachhaltigkeit zusammenhängen. Es geht also um die Frage, wie Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) gestaltet werden muss, damit sie lernwirksam ist. 

 

Welche Methoden werden bei Unkke angewendet?

Um Schülerinnen und Schülern der Primarstufe ein Handeln in einem komplexen System zu ermöglichen und einen individuellen Lernprozess auszulösen, wird im untersuchten Unterricht mit Planspielen gearbeitet. Es gibt zwei Varianten des Planspiels: eine weniger komplexe, bei der eine Lösung gefunden werden kann, und eine komplexe, bei der keine einfache Lösung zum Ziel führt, sondern nur ein stetes Neuausrichten des Handelns. Die Studie untersucht zum einen das Denken und Handeln der Lehrpersonen mittels Fragebögen, Interviews und Unterrichtsvideos; zum andern werden die Kompetenzen der Lernenden im Umgang mit komplexen Fragen und die emotionale Befindlichkeit durch Fragebögen in einem Vorher-Nachher-Design erhoben.

Wer darf beim Projekt mitmachen und wie ist der Weg dahin?

Wir würden uns freuen, wenn sich möglichst viele Lehrpersonen des Kantons Luzern mit ihren Schülerinnen und Schülern der 5. und 6. Primarklasse am Projekt beteiligen. Selbstverständlich steht das Projekt allen Schulklassen der Deutschschweiz offen. Aus logistischen Gründen werden wir uns aber auf die Zentralschweiz und den Kanton Bern konzentrieren müssen.  

 

Was sind die Hauptziele von Unkke in Bezug auf die Förderung von BNE?

Fragen zur Nachhaltigkeit sind komplex und mit Zielkonflikten behaftet. Sie umfassen unter anderem naturräumliche und gesellschaftliche Systeme, unvorhersehbare Entwicklungen, unbekannte Einflussgrössen, politische Meinungsverschiedenheiten und ethische Herausforderungen in nicht eindeutigen Wertesystemen. Das Projekt Unkke zielt folgerichtig darauf ab, Schülerinnen und Schülern einen differenzierten Umgang mit solchen Fragen zu ermöglichen.

Lernende der 5. und 6. Klassen und ihre Lehrpersonen können sich aktuell für das Projekt Unkke anmelden. (Bild: Pexels / Max Fischer)
Lernende der 5. und 6. Klassen und ihre Lehrpersonen können sich aktuell für das Projekt Unkke anmelden. Bei Unkke werden sie unter anderem Planspiele am Computer lösen. (Bild: Pexels / Max Fischer)

Was für eine Rolle spielen die Plan- und Simulationsspiele im Unterricht und wie tragen sie dazu bei, Nachhaltigkeit zu vermitteln?

In einem Plan- oder Simulationsspiel wird eine Problemstellung der realen Welt in ein fiktives Szenario übersetzt. Planspiele eigenen sich deshalb gut, um den Umgang mit Komplexität und Kontroversität – beides zentrale Aspekte der Nachhaltigkeit – zu üben. So können in einem Planspiel Systemeigenschaften und unerwartete Ereignisse rekonstruiert werden, auf die Schülerinnen und Schüler mit Probehandlungen reagieren können. Dieses Probehandeln eröffnet den Lernenden Optionen für ihre Lebenspraxis.

 

Was machen die Schülerinnen und Schüler bei den Planspielen?

Die Schülerinnen und Schüler werden einerseits in Gruppen versuchen ein Quartier aufzubauen, das individuellen wirtschaftlichen und sozialen Ansprüchen gerecht wird. Alle Gruppen (Quartiere) zusammen bilden eine Siedlung. Diese Siedlung muss auch übergeordneten ökologischen Kriterien genügen. Das führt notgedrungen zu Zielkonflikten, die nur dadurch aufgehoben werden können, dass wirtschaftliche Ziele oder Ziele zur Wohn- oder Ernährungssituation angepasst werden.

 

Was soll Unkke bei den Schülerinnen und Schüler auslösen?

Die Schülerinnen und Schüler sollen erkennen, dass es bei Problemen der Nachhaltigkeit nicht eine einfache richtige Lösung gibt, sondern dass wir alle miteinander in den Austausch treten und zuweilen Entscheidungen treffen müssen, die individuell nachteilig, aber für die Gemeinschaft von Vorteil sind.

Das Projekt Unkke ist am 1. Januar 2024 gestartet und dauert bis am 31. Dezember 2027. (Bild: Pexels / Akil Mazumder)
Das Projekt Unkke ist am 1. Januar 2024 gestartet und dauert bis am 31. Dezember 2027. (Bild: Pexels / Akil Mazumder)

Warum ist es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler lernen, mit Scheitern und unerwarteten Herausforderungen umzugehen, besonders im Kontext der Nachhaltigkeit?

Bei Fragen der Nachhaltigkeit geht es immer um komplexe naturräumliche und sozioökonomische Systeme. Typisch komplex sind Systeme dann, wenn deren Veränderung nicht präzise vorhersehbar ist, sondern nur wahrscheinliche und weniger wahrscheinliche Szenarien angegeben werden können. Das führt dazu, dass komplexe Systeme nicht vollständig regelbar sind. Wenn wir in komplexe Systeme eingreifen, und das machen wir, indem wir handeln, müssen wir mit unerwarteten Systemveränderungen rechnen und damit auch immer mit einem Scheitern unseres Handelns.

 

Wo liegen Schwierigkeiten für die Lehrpersonen, welche mit ihren Klassen bei Unkke mitmachen und wie werden sie unterstützt?

Es ist uns wichtig, dass möglichst keine Schwierigkeiten auf die Lehrpersonen zukommen. Sie erhalten eine kurze Weiterbildung zu Nachhaltigkeit und zu Unterricht mit Planspielen sowie entsprechendes Unterrichtsmaterial. Die Lehrpersonen benötigen vor allem etwas Neugier, um sich mit uns auf eine Lernreise zu begeben. Denn für alle Beteiligten, von den Schülerinnen und Schülern über die Lehrpersonen bis zum Forschungsteam bietet das Projekt Unkke eine Möglichkeit etwas auszuprobieren und dabei viel zu lernen.

 

Welche langfristigen Auswirkungen erhoffen Sie sich durch das Projekt Unkke auf die Schülerinnen und Schüler sowie auf die Lehrpersonen?

Wir erwarten Erkenntnisse zur Professionskompetenz von Lehrpersonen hinsichtlich des Unterrichts zu Nachhaltigkeit. Diese Erkenntnisse werden in die Lehrpersonenaus- und -weiterbildung einfliessen. Im Endeffekt sollen dann nicht nur die Schülerinnen und Schüler der 60 Schulkassen, die am Forschungsprojekt beteiligt sind, ihr Handlungswissen erweitern können, sondern möglichst alle. Ganz wichtig ist uns, dass die Schülerinnen und Schüler gesellschaftliche Handlungsoptionen in einer komplexen Welt kennen lernen. Dabei darf es zu keiner Indoktrination kommen.

 

Wie können Eltern und die breitere Gemeinschaft in die Bemühungen zur Förderung von Nachhaltigkeit im schulischen Umfeld einbezogen werden?

Der Einbezug von Eltern beziehungsweise einer breiteren Gemeinschaft ist definitiv wünschenswert bei der Förderung von Nachhaltigkeit. Das vorliegende Forschungsprojekt sieht dies nur deshalb nicht vor, weil dadurch weitere kaum kontrollierbare Einflussfaktoren dazugekommen wären. Die PH Luzern entwickelt und beforscht aber andere BNE-Projekte, die genau diese Erweiterung als zentrales Element aufweisen, zum Beispiel das Lehrmittelprojekt Luzern Mobil, das Schulprojekt BNE Design Thinking oder das Projekt GLOBE Lernangebote mit Transferwirkung.

Das Unkke-Projektteam in Aktion: (v.l.n.r.) Dr. phil. Regula Grob, Prof. Dr. sc. nat. Markus Wilhelm, Rebecca Theiler und Maria Budmiger. (Bild: Marco von Ah)
Das Unkke-Projektteam in Aktion: (v.l.n.r.) Dr. phil. Regula Grob, Prof. Dr. sc. nat. Markus Wilhelm, Rebecca Theiler und Maria Budmiger. (Bild: Eveline Beerkircher)

Wie ist die Projektidee zu Unkke entstanden?

Rebecca Theiler, eine der beiden Doktorandinnen im Projekt und ehemalige Studentin im Masterstudiengang Fachdidaktik NMG und Nachhaltige Entwicklung, hat in ihrer Masterarbeit festgestellt, dass Lehrpersonen im Unterricht zu Nachhaltiger Entwicklung die komplexen Lerngegenstände aus naheliegenden Gründen vereinfachen. Dabei stellte sich die Frage, wie stark komplexe und kontroverse Themen der Nachhaltigkeit vereinfacht werden sollen beziehungsweise wann sie für die Schülerinnen und Schüler kognitiv und emotional überfordernd sind.

 

Unkke ist am 1.1.24 gestartet und dauert bis Ende 2027. Was passiert in diesen Jahren?

In einer ersten Phase erfolgt die Spielentwicklung und -evaluation. Parallel dazu werden Kompetenztests und Fragebogen für die Beforschung der rund 1200 Schülerinnen und Schüler erstellt und pilotiert. Das gleiche gilt für die Befragung der Lehrpersonen. Sobald die Messinstrumente auf ihre Zuverlässigkeit geprüft sind, kann die eigentliche Studie beginnen, dies wird in den Jahren 2025/26 der Fall sein. Da Lehrpersonenweiterbildungen durchgeführt werden und in jeder Klasse videografiert wird und Interviews stattfinden, ist die Haupterhebung sehr aufwändig. Bis Ende 2027 werden all die Daten ausgewertet und die Erkenntnisse in Fachzeitschriften, in Praxiszeitschriften und an Tagungen der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Die Koordination dieser Arbeiten übernimmt Dr. Regula Grob.

 

Wie geht es nach Abschluss des Projekts nach 2027 weiter?

Da die zweite Doktorandin im Projekt, Maria Budmiger, noch bis Mitte 2028 im Projekt arbeiten wird, ist bereits jetzt ein fliessender Übergang von der Forschungsphase in die Transferphase angedacht. Wie bereits erwähnt gilt es in der Transferphase die Erkenntnisse in die Lehrpersonenbildung und damit in die Schulen zu überführen. Zudem sind bereits jetzt BNE-Forschungsprojekte in Durchführung bzw. in Planung, die sich an andere Zielstufen (Zyklus 1 und Zyklus 3) richten, denn wir sind uns bewusst, dass das Projekt Unkke nur einen kleinen Beitrag an die Frage leistet, wie wirksamer Unterricht zu Themen der Nachhaltigkeit gestaltet werden kann. 


Bei Unkke mitmachen?

Lehrpersonen von 5. und 6. Klassen im Kanton Luzern können sich bei Fragen oder für eine Anmeldung via E-Mail ans Projektteam wenden. 


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