Werte spielen im Leben eine wichtige Rolle. Sie stehen für Ziele, nach denen wir streben, für das, was uns wichtig ist. Sie beeinflussen unsere Beziehungen, unser Wohlbefinden, unser Handeln und begleiten uns bis ans Lebensende. Neben den Bezugspersonen spielt auch die Schule eine wichtige Rolle bei der Vermittlung von Werten. Denn im Klassenzimmer werden die Einstellungen und Verhaltensweisen der Kinder durch Werte geprägt. Die VALISE-Studie zeigt nun, dass Kinder selbstlos denken.
Welche Werte sind Schülerinnen und Schülern der ersten und zweiten Primarklassen in der Schweiz wichtig? Eine spannende Frage, denn diese Werte prägen nicht nur das Leben der Kinder, sondern sind auch bildungspolitisch relevant. Aus diesem Grund wurden Werte wie beispielsweise Chancengerechtigkeit auch im Lehrplan 21 verankert. Doch decken sich diese Werte im Lehrplan auch mit den Werten der Kinder? Und was ist mit den Werten, welche die Lehrpersonen als wichtig erachten und den Kindern weitergeben möchten?
Antworten darauf gibt die VALISE-Studie (Values In School Education). Deren Ergebnisse zeigen ein erstaunlich klares Bild für Deutschschweizer Primarschulen: Universalismus, Wohlwollen und Selbstbestimmung sind Lehrpersonen und Primarschulkindern am wichtigsten, während Leistung auf dieser Stufe noch nicht wirklich wichtig zu sein scheint.
Die VALISE-Studie
Im Rahmen der VALISE-Studie befragten Forschende vom Bildungswissenschaftlichen Institut der Universität Basel von Frühling 2021 bis Sommer 2022 rund 1200 Primarschüler und Primarschülerinnen zwischen fünf und neun Jahren und ihre Lehrpersonen. Die Befragung wurde mit Bildkarten durchgeführt, da die Kinder in diesem Alter erst mit dem Lesen beginnen. Die Kinder mussten die Bildkarten nach Wichtigkeit sortieren. Bei der VALISE-Studie handelt es sich um eine Langzeitstudie vom September 2020 bis August 2024, die vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert wird.
Die Analyse der VALISE-Studie basiert auf dem Wertemodell von Prof. Dr. Shalom H. Schwartz aus dem Jahre 1992 (siehe Abbildung). Gemäss diesem Modell werden die vielfältigen menschlichen Werte zehn Wertetypen zugeordnet, die den Wertekreis bilden. Die zehn Wertetypen sind Universalismus, Wohlwollen, Tradition, Konformität, Sicherheit, Macht, Leistung, Hedonismus, Stimulation und Selbstbestimmung.
Um die Werte der Primarschüler und -schülerinnen sowie ihren Lehrpersonen in Bezug auf den Lehrplan 21 zu untersuchen, führten die Forschenden eine Inhaltsanalyse des Lehrplans 21 unter Berücksichtigung des Wertemodells nach Schwartz durch. Es hat sich gezeigt, dass der Lehrplan 21 in Bezug auf die ersten beiden Primarstufen sich vor allem auf humanistische Wertetypen (45%), wie Selbstbestimmung, Universalismus und Wohlwollen bezieht (siehe Abbildung rechts). Der Wertetyp Leistung findet nur wenig Erwähnung, der Wertetyp Macht fast gar keine.
In einem weiteren Schritt und ebenfalls in Bezug auf Schwartz` Wertemodell erfassten die Autoren und Autorinnen durch die Befragung der Lehrpersonen diejenigen Werte, die Lehrpersonen im Unterricht fördern wollen (wertebezogene Erziehungs- und Unterrichtsziele).
Kinder & Lehrpersonen gewichten humanistische Werte hoch
Die Auswertung der VALISE-Studie zeigt, dass es den befragten Kindern (siehe Abbildung links) am Wichtigsten ist, anderen Gutes zu tun. Mädchen wie Jungen setzen den Wert Wohlwollen an die Spitze ihrer Wertehierarchie. Die Förderung des Wohlergehens der Menschen, die ihnen nahestehen, ist ihnen am wichtigsten. Am anderen Ende steht für Buben und Mädchen der Wertetyp Macht. Prestige und Autorität scheinen für sie (noch) keine Bedeutung zu haben. Hingegen gewichten die Mädchen den Wertetyp Sicherheit höher als die Jungen, wohingegen diese Hedonismus höher bewerten.
Gemäss VALISE-Studie fördern die Lehrpersonen im Unterricht der 1. und 2. Primarschulklasse bevorzugt Kompetenzen, welche den Wertetypen Konformität und Wohlwollen zugeteilt werden. Am wenigsten wichtig fanden die Lehrpersonen das Erlernen von Kompetenzen, die den Wertetypen Macht und Tradition entsprechen. «Offensichtlich erachten Lehrpersonen wohlwollende und universalistische Leitmotive für wichtiger als leistungsorientierte um solche Erziehungsziele zu erreichen und vermitteln dies dementsprechend auch», so die Projektleiterin Prof Dr. Elena Makarova und ihr Projektmitarbeitender M.A. Thomas Oeschger. Im Rahmen der Studie zeigte sich zudem, «dass Lehrpersonen wohlwollende, universalistische, aber auch konfirmatorische Werte vor allem anhand von Geschichten, ausserschulischen Aktivitäten, Partizipationsformen und dem allgemeinen Vorleben von Werten in ihren Unterricht einfliessen lassen», so die Forschenden weiter.
Leistung ist noch nicht wichtig
Es fällt auf, dass die Werte, die den Kindern wichtig sind, sich weitgehend mit den Grundsätzen des Lehrplans und den wertebezogenen Unterrichts- und Erziehungszielen der Lehrpersonen decken. So ist beispielsweise der Wertetyp Leistung weder bei den Schülerinnen und Schülern noch bei den Lehrpersonen der ersten beiden Primarstufen von grosser Bedeutung. Auf dieses Ergebnis angesprochen, sagen die Studienautoren: «Tatsächlich wird das Unterrichten von leistungs- und machtbezogenen Werten auf der Unterstufe nicht speziell fokussiert. Die von uns befragten Kinder befinden sich noch am Anfang ihrer schulischen Laufbahn. Selektions- und leistungsbedingte Aspekte scheinen auf Grund verschiedener Aspekte zu diesem Zeitpunkt noch eine geringere Rolle zu spielen, werden jedoch, so unsere Vermutung, mit zunehmendem Alter aus verschiedenen Gründen wichtiger werden». Diese Ergebnisse zeigen unter anderem auch «wie die Lehrpersonen einerseits die im Lehrplan 21 abgebildeten Werte in ihrem Schulumfeld wahrnehmen und andererseits, für wie wichtig sie diese für den Unterricht erachten», so Makarova und Oeschger. Entsprechend integrieren die Lehrpersonen, die von ihnen wahrgenommenen und als wichtig erachteten Werte aus dem Lehrplan 21 in ihren Schulalltag.
Unterschiede gibt es jedoch bei der Priorisierung der wertebezogenen Unterrichtsziele aus dem Lehrplan 21 und der wertebezogenen Erziehungsziele der Lehrpersonen. «Die Ergebnisse unterscheiden sich beim Wertetyp Leistung, aber auch bezogen auf den Wertetyp Konformität deutlich voneinander. Bezogen auf die Unterrichtsziele werden Leistung und Konformität als wichtiger gewertet. Das impliziert, dass Lehrpersonen zwar möchten, dass Kinder der 1. und 2. Klasse (noch) nicht zu leistungsorientiert sind, den entsprechenden Unterrichtszielen aus dem Lehrplan 21 jedoch bereits einen erwähnenswerten Stellenwert zuschreiben», folgern Makarova und Oeschger. Die beiden gehen jedoch davon aus, dass die Leistungsorientierung in den höheren Stufen ansteigt, und sich der Unterricht der Lehrpersonen mehr und mehr nach den Selektionsmechanismen des Schulsystems ausrichtet.
Die Studie geht noch weiter
Die VALISE-Studie läuft noch bis 2024, damit die Werte-Entwicklung der Primarschulkinder über zwei Jahren hinweg analysiert werden kann. Bis dahin werden auch die Werte-Einstellungen der Erst- und Zweitklässler und ihrer Lehrpersonen in Grossbritannien sowie deren Lehrplan auf der Basis der Wertetypen von Schwartz analysiert und erforscht. Die Forschenden der Universität Basel möchten so einen Vergleich zwischen der Schweiz und Grossbritannien ziehen können. Diese Ergebnisse werden zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.
Weiterlesen:
Quellen:
- Scholz-Kuhn, R., Oeschger, T., & Makarova, E. (2022). Eine Studie der Werteentwicklung von Primarschulkindern in der Schweiz und in Grossbritannien. 100019M_189365.
- Schwartz, S. H. (1992). Universals in the content and structure of values: Theoretical advances and empirical tests in 20 countries. In M. P. Zanna (Ed.), Advances in experimental social psychology, 25, 1–65. Academic Press.
Kommentar schreiben