Interview: Vera Bergen
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In der Zentralschweiz sollen Maturandinnen und Maturanden weiterhin einen prüfungsfreien Zugang zu den Hochschulen haben. Dafür müssen die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten jedoch einige Voraussetzungen erfüllen. Damit diese gewährleistet werden können, setzt der Dialog Zentralschweizer Gymnasien – Hochschulen auf einen regelmässigen Austausch zwischen den Zentralschweizer Hochschulen und Gymnasien sowie den Universitäten Luzern, Bern, Zürich und der ETH Zürich. Was an diesen Treffen besprochen wird und wo der Fokus bis 2026 liegt, erklärt Judith Albisser von der Dienststelle Gymnasialbildung des Kantons Luzern.
Judith Albisser, warum muss der prüfungsfreie Zugang zu den Hochschulen überhaupt gesichert werden?
Mit dem gymnasialen Maturitätsausweis wird die allgemeine Hochschulreife mit dem Anrecht auf einen prüfungsfreien Zugang zu den universitären Hochschulen in der Schweiz erworben. Darauf haben sich alle Kantone verständigt und es in der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK) 2016 in einer Erklärung kommuniziert.
Die Kantone sind dafür verantwortlich, die Vergleichbarkeit der gymnasialen Abschlüsse zu erhöhen und landesweite Standards zu schaffen. Dies geschieht bspw. durch die Einführung der basalen Kompetenzen für allgemeine Studierfähigkeit in Mathematik und Erstsprache.
Die Kantone stellen die stetige Weiterentwicklung der gymnasialen Ausbildung sicher und gerade die Nahtstelle zu den universitären Hochschulen steht stets im Fokus. Sollte der prüfungsfreie Zugang zu den Hochschulen nicht mehr gewährleistet sein, müssten die Hochschulen eine Aufnahmeprüfung einführen oder auch bestimmte Notenschnitte verlangen.
Die Grundlage für das Projekt «Dialog Zentralschweizer Gymnasien - Hochschulen» bildet die oben erwähnte EDK-Erklärung von 2016 zum prüfungsfreien Hochschulzugang mit der gymnasialen Maturität. Dort werden unter anderem regionale Strukturen zur konkreten Zusammenarbeit zwischen den beiden Stufen Gymnasien und Hochschulen gefordert. Mit einem entsprechenden Dialog können so schnittstellenspezifische Fragen betreffend den Übergang diskutiert werden.
Nach einem Pilotprojekt von 2018 bis 2021 wurde entschieden, das Projekt bis 2026 weiterzuführen. Wieso ist das nötig?
Es geht um einen regelmässigen Austausch zwischen den Zentralschweizer Gymnasien, den pädagogischen Hochschulen der Zentralschweiz, der Fachhochschule Luzern sowie den Universitäten Luzern, Bern, Zürich und der ETH Zürich.
Der Bildungsbereich ist stark in Bewegung, weswegen der Dialog wichtig bleibt, gerade auch aktuell bei Reformprozessen wie der Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität (WEGM). Deswegen unterstützen alle beteiligten Institutionen die Weiterführung des Zentralschweizer Projekts. Zu Beginn in der Zeit 2018-2021 wurden sogenannte Thementage durchgeführt. Die Themen waren übergeordnet (beispielsweise Digitalisierung in der Bildung oder überfachliche Kompetenzen) und sprachen jeweils sowohl die Dozierenden der Hochschulen als auch die Lehrpersonen der Gymnasien an. Es gab jeweils Ateliers zu spezifischen Themen des Oberthemas, Referate und Inputs von Gastreferentinnen und -referenten sowie Diskussionsrunden, um sich auszutauschen.
Beim Nachfolgeprojekt wurde der Fokus geändert. Was ist neu?
Das neue Projekt zielt stärker auf die Fachebene, um Schnittstellenprobleme fachspezifisch zu diskutieren. Ziel ist es, die entsprechenden Fachlehrpersonen der Gymnasien als auch die Dozierenden der universitären Hochschulen des entsprechenden Fachs gezielter ansprechen zu können. Mit diesem Format sollen die involvierten Akteure und Akteurinnen gemeinsame Schnittstellenprobleme identifizieren und mögliche Lösungsvorschläge erarbeiten. Das sind beispielsweise grundlegende Mathematik-Kompetenzen für ein Studium in einem MINT-Fach (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Als entsprechendes Dialoggefäss dienen hier die gegenseitigen Besuchstage.
Das heisst, Lehrpersonen resp. Dozierende beider Stufen des entsprechenden Fachgebiets treffen sich zum Dialog sowohl an der Hochschule als auch im Folgejahr an einem Gymnasium in der Zentralschweiz.
Aktuell liegt der Fokus auf die MINT-Fächer. Im nächsten Jahr 2024 werden die Sozial- und Geisteswissenschaften im Fokus stehen und im Jahr 2025 die Fachgebiete Wirtschaft und Recht.
Sie haben die Besuchstage erwähnt. Sie waren kürzlich zu Besuch an der Universität Bern. Können Sie uns erzählen, wie solch ein Besuchstag abläuft?
Nach einem Fachinput von zwei Mathematik-Professoren folgte die erste Diskussionsrunde in den sechs naturwissenschaftlichen Fächern (Biologie, Chemie, Mathematik, Informatik, Geographie und Physik). Als Grundlage für die Diskussionsrunde dient ein Fragenkatalog, der von den kantonalen Fachschaften der Zentralschweizer Gymnasien vorgängig den Dozierenden der Universität Bern zustellten. Basierend darauf wurden Schnittstellenprobleme in MINT-Fächern identifiziert.
Die Diskussionen in den Fachgebieten stiessen auf gegenseitiges Wohlwollen und waren zielführend. Nach der Mittagspause folgten weitere Fachdiskussionen. Der Schluss bildete eine Plenumsdiskussion zu zwei grundlegenden Fragen: Wo gibt es Gemeinsamkeiten und wo gibt es Unterschiede? Ein kurzer Ausblick auf den Gegenbesuch an der Kantonsschule Menzingen (ZG) am 3. September 2024 bildete den Abschluss.
An diesen Besuchstagen nehmen Hochschuldozierende und Gymnasiallehrpersonen teil. Was nutzen ihnen diese Gespräche?
Das Verständnis der je anderen Stufe wird durch den Dialog gefördert. Deshalb finden die Besuchstage sowohl an den Hochschulen als auch an den Gymnasien statt. Dabei ist der Einblick wichtig. Ebenso können die gegenseitigen Erwartungen abgeholt werden.
Ein Beispiel: Um das Fach Biologie zu studieren, braucht es ein gewisses Fachwissen (Grundlagen). Aber das Fach Biologie an der Universität ist gross und in drei Richtungen unterteilt. Es braucht mathematische Kenntnisse, wie bei vielen naturwissenschaftlichen Fächern. Man muss beispielsweise Statistik verstehen, das ist eine wichtige Voraussetzung. Die Wahl des Schwerpunktfaches Biologie/Chemie am Gymnasium ist jedoch keine Voraussetzung für ein Studium. Die Motivation und das Interesse werden seitens der Universität als wichtiger angesehen.
Sie sprechen vor allem den Übergang vom Gymnasium an die universitären Hochschulen an. Welche Bedeutung hat der Dialog konkret für Gymnasiastinnen und Gymnasiasten?
Wenn Fachlehrpersonen der Gymnasien besser Bescheid wissen, was Dozierende an den Hochschulen erwarten und umgekehrt, wenn Uni-Dozierende besser wissen, mit welchem Rucksack Maturandinnen und Maturanden an die Hochschule kommen, hilft das in einem ersten Schritt weiter. Im Dialog können und sollen diese gegenseitigen Erwartungshaltungen ein stückweit geklärt werden.
Natürlich lassen sich diese Fragen und Schwierigkeiten nicht einfach so lösen. Ziel ist aber, dass die Maturandinnen und Maturanden besser auf ihr Studium vorbereitet werden können und wissen, was sie erwartet.
Welchen Zusammenhang hat die Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität (WEGM) mit diesen Austauschen?
Der Austausch bleibt sehr wichtig. Denn mit WEGM werden nicht nur die Stunden- und Lehrpläne dichter und die Fächerpalette breiter, sondern auch unterschiedliche Akteure in der Bildungslandschaft sprechen mit und die Erwartungshaltung ist gross. Der Übergang bleibt ein wichtiges Thema. Ein übergeordnetes Ziel von WEGM ist, den prüfungsfreien Hochschulzugang zu erhalten, was auch der Kern dieses Dialogs ist.
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