Text: Gabriela Mischkale, Bilder: Kantonsschule Beromünster; DIAGNOSTIK
«Mit einem Auge schaust du auf die Welt, mit dem anderen in dich hinein» - dieses Zitat von Amedeo Modigliani ist Thema und Auftrag eines internationalen Kunstprojektes namens Diagnostik. Es spricht Schülerinnen und Schüler aus der ganzen Welt während der Corona-Pandemie an: Wie geht es dir in dieser Situation? Wie hat die Situation dich und dein Umfeld beeinflusst, verändert? Ab dem 20. Juni 2021 sind über 800 Werke in einem virtuellen Diagnostik-Museum zu sehen: Mit dabei sind 15 junge Erwachsene von der Kantonsschule Beromünster.
76 Schulen mit 84 Lehrpersonen aus 26 Ländern und 5 Kontinenten haben sich am Kunstprojekt DIAGNOSTIK beteiligt. Das gibt die Initiantin des Projektes, die Lehrerin Mélissa Nadeau aus Québec, Canada, in einem Video auf Instagram an. Aus der Sorge und der Fürsorge heraus habe sie Jugendlichen rund um den Globus ein Forum bieten wollen, um ihre Erfahrung mit der Pandemie zu reflektieren und einen individuellen künstlerischen Ausdruck für diesen Zustand zu finden. Nadeau suchte nach einer Möglichkeit, das durch Social Distancing, Fernunterricht und Isolation entstandene persönliche, kulturelle und gesellschaftliche Vakuum zumindest zeitweise zu lösen. Um die jungen Menschen in kreativer Weise wieder zusammenzubringen, habe sie die verbindende Kraft des Virtuellen genutzt, wo ab dem 20. Juni eine Ausstellung von 800 Beiträgen aus allen beteiligten Schulen startet. Die Kantonsschule Beromünster hat sich auch an dem Projekt beteiligt - als eine von zwei Schulen schweizweit.
Corona und das jugendliche Ich - eine künstlerische Annäherung
«Das Projekt stiess sofort auf grosses Interesse unter den Schülerinnen und Schülern des Schwerpunktfachs Bildnerisches Gestalten», sagt Denise Lüthi, Fachlehrerin an der Kantonsschule Beromünster. In gerade einmal zwei Monaten, von Mitte März bis zum 20. Mai, sind nun 15 Werke von Schülerinnen und Schülern der 5. und 6. Klassen entstanden.
Dabei handelt es sich um so genannte symbolische Selbstporträts. Eine Darstellung von sich selbst, welche nicht nur das äussere Erscheinungsbild sondern auch einen Blick auf die innere Persönlichkeit freisetzt.
Zur Verfügung standen jeweils zwei Leinwände in der Grösse 18 x 24 cm. Auf diesen zwei Leinwänden konnten die Schülerinnen und Schüler zwei Seiten von sich, zwei Momente, zwei Blickwinkel, zwei Gemütszustände oder eben ein Innen und ein Aussen zeigen.
Denn gemäss der Kernidee des Diagnostik-Projektes geht es herauszufinden und zu zeigen, wie die Corona-Krise als Identitäts- und Gesundheitskrise, sich in der Wahrnehmung der Heranwachsenden nach innen und nach aussen manifestiert. Für die Umsetzung standen verschiedene Materialien wie Acryl, Aquarell, Pastell, Stoff, Papier u.a. zur Verfügung, die Technik oder Mischformen waren frei wählbar.
Eine Auswahl der Selbstporträts - berührend und tiefgründig
Alle Werke der Kantonsschule Beromünster wie auch
aus den anderen 75 Schulen weltweit sind
unter DIAGNOSTK.ME zu sehen
Zum Prozess gehörten Fragen nach dem Sinn und der eigenen Identität, auch Selbstreflexion und der Umgang mit Emotionen, auch mit negativen. Neben den gestalterischen Mitteln mussten die jungen Menschen für die Auseinandersetzung mit dem Thema auch passende Worte finden.
«Besonders auffällig während der Entstehung war für mich die grosse Experimentierlust und der freie Umgang mit den Materialien. Zum Teil wurden Leinwände durchgeschnitten oder bestickt, also gewissermassen verletzt und dann wieder heile gemacht», beschreibt Denise Lüthi die Besonderheiten während der Umsetzungsphase.
Als prägendes Ereignis und äusseres sichtbares Merkmal der Pandemie an der Schule sieht Denise Lüthi den Fernunterricht im Frühjahr 2020 und die Gesichts- und Schutzmaske an. Was einerseits vor dem Virus schützt, verbirgt andererseits die Mimik und den Ausdruck. Auch hier zeigt sich der Gegensatz von physisch präsent sein und emotional nicht sichtbar.
Die 15 Werke hat Denise Lüthi nicht mit Noten bewertet. Jedes einzelne ist zutiefst persönlich und für sich wertvoll. Und als Prozess der Reifung und der Selbsterkenntnis nicht mit äusserlichen Massstäben messbar.
Reflexionen der Schülerinnen und Schüler
Meine Gefühle in dieser Pandemie sind wild und ängstlich. Mein Selbstporträt soll vor allem diese Gefühle verdeutlichen. Die seelische Zerrissenheit, die Gefahr, die
Verzweiflung sollen sichtbar werden. Ein Schwall von Gefühlen trifft das schmerzverzogene Gesicht.
> Sonja Estermann
Während der Pandemie habe ich mich viel mit mir selbst befasst und mich besser kennengelernt. In meinem Diptychon zeige ich das durch den Blick in den Spiegel. Die
Schmetterlingsflügel stehen für die Seite an mir, die ich zuvor oft noch nicht erkennen konnte.
> L. S.
Während der Pandemie fiel es mir schwer, innere Ruhe zu finden. Alles um mich herum war laut und unerträglich. In diesem Diptychon will ich meine Gefühle
niederlassen und diese Unruhe visualisieren.
> E. S.
Mein Diptychon soll zwei Seiten von mir zeigen. Wie ich nach Aussen glücklich scheine, aber von Innen her starke Gefühle nach aussen dringen – Geschrei, welches raus
will.
> T. R.
Mir war es wichtig ein Aussen und ein Innen darzustellen. Das Aussen sieht jeder, das Innen (das wahre Ich) nur die mir wichtigen Menschen.
> A. B.
In meinem Werk ist mir das Thema Unsicherheit wichtig. Weil momentan vor allem das in meinem Leben herrscht.
> Marc Schuler
Im Moment merke ich wie sich alles ändert. Ich gehe bald nicht mehr an die Kanti und werde immer mehr erwachsen. Ich bin mir noch nicht sicher, in welche Richtung es
gehen wird.
Darum zeige ich mich gleichzeitig aus vielen Blickwinkeln.
> Jan Milczarek
Momente zum Durchatmen oder gar Aufatmen gab es in den letzten Monaten kaum. Weder hat sich die Welt gedreht, noch ist sie stehen geblieben. Sie wurde aus der Bahn
gezogen.
> Silja Graf
Mein Grundgedanke ist der des Wachstums. Blumen werden grösser, stärker und schöner. Mit Erfahrungen und Erlebnissen wachsen auch wir Menschen. In der jetzigen
Pandemiezeit wachsen wir gemeinsam als Gesellschaft wie auch jeder Einzelne.
> Leonie Ottiger
Durch die Pandemie wurde der Satz „seine Gefühle hinter einer Maske verbergen“ zur Realität.
> J. S.
Einblick in den Arbeitsprozess
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