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UNESCO-Lehrstuhl für die PH Luzern: Zwischen Klimakrise und Klassenzimmer

Als erster Pädagogischer Hochschule der Schweiz wurde der PH Luzern ein UNESCO-Lehrstuhl zugesprochen – mit dem Fokus auf die Didaktik der Nachhaltigkeitswissenschaften und der politischen Bildung. Markus Wilhelm und Stefanie Rinaldi, die den Lehrstuhl gemeinsam leiten, geben Einblick, wie dieser die Ausbildung an der PH Luzern prägt, wie Lehrpersonen und Lernende davon profitieren – und wie im Schulalltag mit sogenannten «wicked problems», also vertrackten Herausforderungen wie Klimakrise oder sozialer Gerechtigkeit, umgegangen werden kann.


In Kürze:

  • Die Pädagogische Hochschule Luzern hat als erste PH der Schweiz einen UNESCO-Lehrstuhl erhalten. Dieser verbindet mit Nachhaltigkeit und politischer Bildung zwei Herausforderungen unserer Zeit. 
  • Der Lehrstuhl wird von Prof. Dr. Stefanie Rinaldi und Prof. Dr. Markus Wilhelm geleitet. 
  • Vom Lehrstuhl profitieren Studierende der PH, Lehrpersonen, Schulen und Lernende. 
  • Der Lehrstuhl fördert die Vernetzung innerhalb der PH Luzern und mit Partnern in der Schweiz und weltweit.
  • In Zusammenarbeit mit Schulen, Museen und internationalen Partnern entstehen Unterrichtsmaterialien und Lernspiele.

Porträt von Markus Wilhelm und Stefani Rinaldi, die gemeinsam den UNESCO-Lehrstuhl an der Pädagogischen Hochschule Luzern führen. (Bild: PH Luzern / zVg)
Markus Wilhelm und Stefanie Rinaldi führen den UNESCO-Lehrstuhl an der PH Luzern gemeinsam. (Bild: PH Luzern / zVg)

Was ist ein UNESCO-Lehrstuhl und warum ist er ausgerechnet an der Pädagogischen Hochschule PH Luzern angesiedelt?

Markus Wilhelm (MW): Der UNESCO-Lehrstuhl ist eine Ehre und ein Auftrag zugleich. Die Idee der UNESCO-Lehrstühle ist die nationale und internationale Vernetzung in den Tätigkeitsfeldern der UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur), insbesondere auch mit dem globalen Süden. Zudem soll sich ein solcher Lehrstuhl aktuellen, weltumspannenden Herausforderungen stellen. 

Stefanie Rinaldi (SR): Die PH Luzern engagiert sich seit vielen Jahren stark in den Bereichen Nachhaltigkeit, Bildung in Nachhaltiger Entwicklung (BNE) und politische Bildung, z.B. mit dem CAS Kinderrechte, Demokratie und Menschenrechte leben, lernen und lehren, mit dem Spezialisierungsstudium Menschenrechtsbildung, mit dem Masterstudiengang Fachdidaktik Natur, Mensch, Gesellschaft und Nachhaltige Entwicklung und mit den entsprechenden Forschungsschwerpunkten. 

«Wenn es darum geht, Nachhaltigkeit auf verschiedenen Schulstufen und in verschiedenen Fächern zu integrieren, ist dieser institutsübergreifende UNESCO-Lehrstuhl hilfreich».

Was sind die wichtigsten konkreten Ziele des UNESCO-Lehrstuhls für Didaktik der Nachhaltigkeitswissenschaften und der Politischen Bildung?

MW: Wir wollen Bildung in Nachhaltiger Entwicklung und politische Bildung an der PH Luzern stärken. In der Bildung stellt sich oft und schnell die Frage: Wie lassen sich Ziele didaktisch erreichen? Von daher ist dieser institutsübergreifende UNESCO-Lehrstuhl hilfreich, wenn es darum geht, Nachhaltigkeit auf verschiedenen Schulstufen und in verschiedenen Fächern zu integrieren. Das UNESCO-Label hilft uns dabei, uns regional, national und international mit anderen Lehrstühlen zu vernetzen und gemeinsame Ziele anzustreben.

SR: Der Lehrstuhl möchte konkret in vier Bereichen tätig werden:

  • Erstens wollen wir zum theoretischen Diskurs und zur konzeptionellen Weiterentwicklung von BNE und von politischer Bildung beitragen, indem wir eine zukunftsgerichtete Didaktik der Nachhaltigkeitswissenschaften entwickeln.
  • Zweitens beabsichtigen wir, unsere Aktivitäten in der Beforschung von Lernprozessen im Kontext von BNE und politischer Bildung zu verstärken und gemeinsam mit Partnerinstitutionen Unterrichtsmaterialien zu entwickeln.
  • Ein dritter Bereich ist die Modellierung und Beforschung von Professionskompetenzen von Lehrpersonen.
  • Darauf aufbauen wollen wir viertens die Aus- und Weiterbildung von Bildungsfachpersonen in BNE und politischer Bildung stärken.

Wie profitieren Studierende an der PH Luzern vom Lehrstuhl in ihrer Ausbildung und Vorbereitung auf den Beruf?

SR: Sie profitieren direkt vom UNESCO-Lehrstuhl in ihrer Ausbildung und Vorbereitung auf den Lehrberuf. Die enge Zusammenarbeit zwischen Forschung, Entwicklung und Ausbildung stellt sicher, dass die Studierenden stets an den neuesten Erkenntnissen und Methoden teilhaben.

MW: Ein konkretes Beispiel dafür ist das BNE-Ambassadorinnen- und -Ambassadoren-System: In jedem Fach – von Mathematik über Geografie bis Englisch – gibt es Ansprechpersonen, die in engem Austausch mit dem Lehrstuhl stehen und BNE-Inhalte in ihre Fachbereiche integrieren. So lernen die Studierenden bereits zu Beginn ihres Studiums die Grundlagen der BNE kennen und können diese später fachspezifisch vertiefen – stets orientiert an den geltenden Lehrplänen. Dadurch werden sie gezielt auf ihre Rolle als zukünftige Lehrpersonen vorbereitet, die Nachhaltigkeitsthemen wirksam und alltagsnah im Unterricht behandeln können. Zudem eröffnet der gemeinsam mit der PH Bern angebotene Masterstudiengang Fachdidaktik Natur, Mensch, Gesellschaft und Nachhaltige Entwicklung die Möglichkeit, sich vertieft mit BNE auseinanderzusetzen. Dieser Master ist besonders zukunftsweisend, da er inter- und transdisziplinär ausgerichtet ist und eine enge Zusammenarbeit mit Hochschulen und Praxispartnerinnen und -partnern fördert. Damit bildet er zukünftige Dozierende für Pädagogische Hochschulen aus, die BNE als zentrales Bildungsthema weitertragen.

«Wenn Schülerinnen und Schüler lernen sollen, sich kritisch mit solchen Themen auseinanderzusetzen […], müssen die Lehrpersonen entsprechende Kompetenzen mitbringen».

Wie wirkt sich das UNESCO-Label des PH-Lehrstuhls auf den Arbeitsalltag von Lehrpersonen aus?

SR: Eine grosse Herausforderung für Lehrpersonen ist, dass sich Aspekte aus dem Themenbereich der Nachhaltigkeit oft als sehr komplex und kontrovers herausstellen. Darum haben wir als zweiten Teil des Lehrstuhl-Namens die «Politische Bildung» genannt. Denn es geht auch um die Frage, wie man mit derartigen kontroversen Themen umgeht an Schulen, zumal schulen einerseits der politischen und konfessionellen Neutralität verpflichtet sind und andererseits wertebasiert sind, wie etwa aus dem Luzerner Volksschulgesetz hervorgeht. Für Lehrpersonen ist dieses Spannungsfeld anspruchsvoll zu navigieren. Das heisst: Wenn Schülerinnen und Schüler befähigt werden, sich kritisch mit Themen der Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen, ihre eigene Meinung dazu zu bilden und diese in gesellschaftliche und politische Aushandlungsprozesse einzubringen, müssen die Lehrpersonen entsprechende Kompetenzen mitbringen, um die Jugendlichen in diesen Lernprozessen zu begleiten.

Kathrin Krammer, Rektorin der PH Luzern, betonte an der Feier für den neuen UNESCO-Lehrstuhl: Aktuelle Krisen zeigen, wie wichtig Nachhaltigkeit und politische Bildung für Demokratie und Umweltschutz sind. (Bild: Eveline Beerkircher)
Aktuelle Krisen zeigten, wie wichtig Nachhaltigkeit und politische Bildung für Demokratie und Umweltschutz seien, betonte Kathrin Krammer, Rektorin der PH Luzern, an der Feier für den neuen UNESCO-Lehrstuhl. (Bild: Eveline Beerkircher)

Welche Wirkung hat der Lehrstuhl konkret auf Schulen im Kanton Luzern – und mit welchen lokalen Partnern arbeiten Sie dabei zusammen?

MW: Sehr oft arbeiten wir im so genannten Design-Based Research Ansatz. Das heisst Unterrichtsmaterialien werden nicht einfach von uns entwickelt – und gut ist. Nein, sie werden in enger Zusammenarbeit mit Lehrpersonen entwickelt, ausprobiert, weiterentwickelt, die Lernwirksamkeit getestet usw. Auch nehmen Schulen an mehreren Forschungsprojekten teil, wodurch die Perspektiven der Lehrpersonen und der Schülerinnen und Schüler direkt erfasst werden und wiederum in die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien einfliessen.

Fragen der Nachhaltigkeit sind immer so genannte «wicked problems», auf Deutsch: verzwackte Probleme. Ein Kern dieser Probleme ist, dass diese keine «richtige» Lösung kennen. Es gibt nur bessere oder schlechtere Lösungen. Wieso ist das so? Nachhaltigkeitsprobleme sind immer komplex und nicht nur kompliziert, wie zum Beispiel ein Auto. Sie beinhalten immer Kontroversen, oft sogar systemimmanente Widersprüche (in einem begrenzten System ist kein unbegrenztes Wachstum möglich oder einem begrenzten System kann ich nicht unbegrenzt Rohstoffe entnehmen usw.) und schliesslich kommt noch die Ungewissheit dazu. Wir haben nur eine Erde und können folglich mit ihr keine wissenschaftlichen Experimente durchführen. Dazu bräuchten wir mehrere parallele Welten, die wir nicht haben. Am Ende bleiben nur Risiko- und Werteabschätzungen.

«So lernen die Studierenden bereits zu Beginn ihres Studiums die Grundlagen der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) kennen und können diese später fachspezifisch vertiefen – stets orientiert an den geltenden Lehrplänen».

SR: Die Biosphäre Entlebuch zum Beispiel ist eine lokale Partnerin von uns. Studierende der PH Luzern können dort Praktika absolvieren oder Unterrichtsmaterialien mitentwickeln. Wir arbeiten aber auch mit dem Agrarmuseum Burgrain oder dem Verkehrshaus sowie mit Partnern und Partnerinnen im Ausland zusammen. Beispielsweise haben wir vor kurzem ein Projekt abgeschlossen mit zwei Partnerhochschulen in Brasilien, bei dem es um die Vorstellungen von Jugendlichen zu Mensch und Natur im Kontext von Klimawandel ging. Wir erachten es als zentral, dass Lehrpersonen auf die Vorstellungen ihrer Schülerinnen und Schüler eingehen können, die sie in den Unterricht mitbringen. 

Inwiefern gibt es bereits Projekte dieses Lehrstuhls, die Lehrpersonen dabei helfen, Nachhaltigkeit verständlich und wirksam in den Schulalltag zu bringen?  

MW: Da gibt es bereits etliche. Einen Fokus haben wir auf Lernspiele gelegt. Für den Unterricht in Natur und Technik bzw. Biologie der Sekundarstufe 1 und 2 entwickeln wir zusammen mit Inlusio Interactive Lernmaterialien zur Simulation The Guardian of Nature. Für wirtschaftsbildung.ch erstellen wir eine Studie zur Lernwirksamkeit zur Simulation Eco4Scools, die im WAH (Wirtschaft, Arbeit, Haushalt) -Unterricht eingesetzt wird, und verbessern diese. Zusammen mit GLOBE Schweiz entwickeln und beforschen wir Planspiele für die Primar- und Sekundarstufe 1 zur nachhaltigen Boden- und Gewässernutzung. Auch Unk City ist ein Planspiel für die Primarstufe, das im Rahmen des Nationalfonds-Projekts UNKKE entstand. UNKKE steht für Unterricht zu Nachhaltigkeit – komplex, kontrovers, emotional.

SR: Bei diesen Beispielen aber auch bei allen anderen Projekten geht es nach der Konzipierungsphase immer auch um die Unterstützung von Lehrpersonen, wie sie im Unterricht Fragen der Nachhaltigkeit bzw. der politischen Bildung eingehen können. Und da wiederum ist natürlich wichtig, wenn wir auch nationale und internationale Erfahrungswerte anderer Lehrpersonenbildungsinstitutionen einbeziehen können, was durch die Vernetzung via UNESCO-Lehrstuhl noch besser möglich ist.

«Der Lehrstuhl ist partei-politisch neutral, positioniert sich jedoch klar für Werte wie Nachhaltigkeit, Chancengerechtigkeit und kulturelle Vielfalt».

Ist der Lehrstuhl politisch neutral?

SR: Der Lehrstuhl ist partei-politisch neutral, positioniert sich jedoch klar für Werte wie Nachhaltigkeit, Chancengerechtigkeit und kulturelle Vielfalt, im Einklang mit der Schweizerischen Bundesverfassung. So hat sich der Bund zu den 17 Nachhaltigkeitszielen der UNO bekannt und diese für die Schweiz reformuliert. Eines davon betrifft das Ziel 4.7 zu BNE und politischer Bildung. Es lautet: «Die Menschen sind befähigt, die Bedeutung der nachhaltigen Entwicklung zu erkennen und sich aktiv an der Gestaltung der nachhaltigen Entwicklung zu beteiligen. […]»

Warum ist dieser Lehrstuhl nicht nur für die PH Luzern, sondern für die ganze Gesellschaft wichtig?

MW: Der UNESCO-Lehrstuhl an der PH Luzern ist nicht nur für die Hochschule selbst, sondern für die gesamte Gesellschaft von grosser Bedeutung, weil er einen wichtigen Beitrag zur Vernetzung und Zusammenarbeit im Bildungsbereich leistet – lokal, regional, national und international. Durch partnerschaftliche Kooperationen mit vielfältigen Institutionen wie dem UNESCO-Welterbe AletschLuzernmobil, Schweiz debattiert sowie der bereits erwähnten UNESCO Biosphäre Entlebuch, dem Schweizerischen Agrarmuseum Burgrain oder dem Verkehrshaus der Schweiz wird eine breite zivilgesellschaftliche Bildungslandschaft gestärkt.

SR: Der Lehrstuhl fördert so nicht nur den Austausch von Wissen und Erfahrungen, sondern unterstützt auch die gemeinsame Entwicklung von nachhaltigen Bildungsangeboten. Damit trägt er wesentlich dazu bei, BNE und politische Bildung in der Gesellschaft zu verankern und zukunftsfähige Lebensweisen zu fördern.


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