Interview: Vera Bergen
Bilder: zVg
Vom kleinen Landschulhaus bis zur städtischen Schule: Seit 20 Jahren ehrt die Stiftung für hochbegabte Kinder mit dem LISSA-Preis innovative Schulprojekte, die gezielt Begabungen und Stärken von Kindern und Jugendlichen fördern. Der Name ist Programm: LISSA steht für «Lernfreude in Schweizer Schulen anregen». Mit 14 ausgezeichneten Projekten führt der Kanton Luzern die Rangliste an. Regula Haag, Geschäftsführerin der Stiftung und Projektleiterin des LISSA-Preises, spricht über das Erkennen von Talenten, erfolgreiche Ansätze zur Begabungsförderung und die Kriterien für preiswürdige Projekte.
Für eilige Leserinnen und Leser:
- Seit 2004 unterstützt der LISSA-Preis innovative Schulprojekte, die die Stärken und Talente von Kindern fördern. Schulen werden ermutigt, kreative Ideen in die Begabungsförderung einzubringen und diese in den regulären Unterricht zu integrieren, um möglichst viele Kinder zu erreichen.
- Seit 2022 liegt der Fokus des LISSA-Preises neu auf Exzellenz. «LISSA par excellence» zeichnet Schulen und Lehrpersonen aus, die besondere Lernmöglichkeiten schaffen und gute Umsetzungen teilen.
- Der Kanton Luzern führt mit 14 Auszeichnungen die Rangliste der LISSA-Preisträgerinnen und -Preisträger an, gefolgt von Zürich (12) und St. Gallen (8). Seit 2022 und dem neuen Fokus gingen allerdings keine Ehrungen mehr an Luzern.
- Am 5. Dezember 2024 werden in Luzern zum zweiten Mal Projekte mit dem «LISSA par excellence»-Preis ausgezeichnet.
Regula Haag, Sie sind Geschäftsführerin der Stiftung für hochbegabte Kinder, welche vor 20 Jahren den LISSA-Preis ins Leben gerufen hat. Was genau ist der LISSA-Preis, und warum wurde er initiiert?
Ziel des LISSA-Preises ist es, innovative Schulprojekte zu fördern sowie die Begabungen und Stärken von Kindern und Jugendlichen gezielt unterstützen. «LISSA» steht für «Lernfreude in Schweizer Schulen anregen». Es sollen zukunftsweisende Projekte ausgezeichnet werden, die eng mit dem Regelunterricht verknüpft sind und möglichst viele Schülerinnen und Schüler ansprechen. Die Stiftung wollte damit Schulen ermutigen, kreative Ansätze zur Begabungsförderung zu entwickeln und umzusetzen. Seit der Einführung des Preises wurden zahlreiche Schulen ausgezeichnet, die ein breites Spektrum abdecken – vom kleinen Landschulhaus bis zur grossen städtischen Schule. Dies zeigt, dass innovative Begabungs- und Begabtenförderung unter verschiedensten Rahmenbedingungen möglich ist.
Seit 2022 liegt der Fokus des LISSA-Preises verstärkt auf der Exzellenzförderung. Mit dem Projekt «LISSA par excellence» werden Schulen ausgezeichnet, die innovative Formen der Exzellenzförderung umsetzen, indem sie besondere Talente erkennen, deren individuelle Potenziale herausfordern, diese kreativ fördern und gemeinschaftlich integrieren.
Der Kanton Luzern führt mit 14 LISSA-Preisen (2004–2020) die kantonale Rangliste an und übertrifft damit alle anderen Regionen. Schulen im Kanton Zürich folgen mit 12, der Kanton St. Gallen mit acht Auszeichnungen. Seit der Neuausrichtung des Preises im Jahr 2022 ging bislang noch keine Ehrung an Projekte im Kanton Luzern.
Was zeichnet ein preiswürdiges Projekt aus?
Das sind mehrere Merkmale: Ein Projekt soll eine ganzheitliche Förderung anstreben, das die individuellen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler gezielt bis hin zur Exzellenz unterstützt. Diese Förderung muss nahtlos in den Regelunterricht integriert sein, sodass sie auf bestehenden Bildungsangeboten aufbaut und den Schulalltag bereichert. Dabei ist eine individuelle Planung essenziell, die sowohl die Schülerinnen und Schüler als auch deren Eltern aktiv einbezieht, um massgeschneiderte Entwicklungswege zu gestalten.
Flexibilität und Dynamik sind entscheidend, damit die Massnahmen kontinuierlich an die sich verändernden Bedürfnisse der Lernenden angepasst werden können. Ebenso wichtig ist die Nutzung externer Ressourcen durch die Einbindung ausserschulischer Angebote und Partnerschaften, um ein breites Spektrum an Fördermöglichkeiten zu schaffen. Das Konzept sollte langfristige und kurzfristige Ziele berücksichtigen und systematisch gestaltet sein, um nachhaltige Erfolge zu sichern.
Sie sagten, es gebe mehrere Merkmale. Welche kommen noch dazu?
Ein preiswürdiges Konzept zeichnet sich zudem durch die Förderung von Kreativität und Eigeninitiative aus, während klare Strukturen und gezielte Unterstützung bereitgestellt werden. Die Ergebnisse der Fördermassnahmen sollten dokumentiert und durch messbare Fortschritte belegt werden, beispielsweise durch besondere Projekte, Wettbewerbserfolge oder andere Formen der Anerkennung.
Für die Nachhaltigkeit des Projekts ist die Verankerung im Schulbetrieb entscheidend. Dies erfordert ein engagiertes Team von Lehrpersonen und Verantwortlichen sowie klare Leitlinien, regelmässige Evaluationen und Feedbackschleifen, um sicherzustellen, dass die Massnahmen auch bei personellen Veränderungen Bestand haben. Schulen sollten bereit sein, ihre Erfahrungen zu teilen und ihre Ansätze zu veröffentlichen, um andere Schulen zu inspirieren und eine Vorbildfunktion zu übernehmen. Ein solches Konzept trägt nicht nur zur Weiterentwicklung der eigenen Schulgemeinschaft bei, sondern stärkt auch die Begabungs- und Exzellenzförderung im grösseren schulischen Kontext.
2020 wurde die Sekundarschule Eschenbach für ihr Projekt «Ausdauerprojekte an der Schule Eschenbach» ausgezeichnet. Das Projekt fördert Kreativität und Durchhaltevermögen, indem Schülerinnen und Schüler eigenverantwortlich langfristige Projekte entwickeln. Als Preis wurde der begleitende Film, der die Projekte und Erfolgsgeschichte dokumentiert, durch den LISSA-Preis finanziert, zusätzlich erhielt die Schule noch 1000 Franken.
Welche Rückmeldungen haben Sie von Schulen erhalten, die in den vergangenen 20 Jahren ausgezeichnet wurden?
Der LISSA-Preis verleiht Schulen nicht nur Anerkennung für ihre Arbeit in der Begabungs- und Begabtenförderung, sondern hebt sie auch als Vorbilder im Bildungsbereich hervor. Eine Auszeichnung motiviert zudem, ein Programm weiterzuentwickeln. Durch Besuche an den ausgezeichneten Schulen können erfolgreiche Konzepte geteilt und neue Impulse zur Förderung gegeben werden. Wenn eine Schule ein Projekt einer anderen Bildungseinrichtung übernehmen möchte, erfordert dies Anpassungen an die individuellen Gegebenheiten der jeweiligen Schule. Flexible und skalierbare Ansätze erleichtern die Anwendung auf unterschiedliche Schulformen. Zentral sind die Weiterbildung des Lehrpersonals, um neue Konzepte sicher umzusetzen, und die Netzwerkbildung zwischen Schulen, um Erfahrungen und Lösungen auszutauschen.
Die Primarschule Ebnet wurde 2012 für ihr Projekt «Begabungsförderung als Schulhauskultur» ausgezeichnet. Im Fokus steht die enge Integration von Begabungsförderung in den Regelunterricht und altersübergreifende Projektarbeiten. Ziel ist es, Begabungsförderung als festen Bestandteil der Schulidentität zu etablieren.
Welche Entwicklungen und Trends in der Begabungsförderung seit 2004 beobachten Sie, und wie beeinflusst der Lehrplan 21 diese?
Seit 2004 hat sich die Begabungsförderung durch die Verankerung im Bildungsgesetz und die Professionalisierung der Lehrkräfte stark entwickelt. Das Bildungsgesetz verpflichtet Schulen, individuelle Fördermassnahmen anzubieten. Zudem sind Netzwerke in den vergangenen 20 Jahren wichtiger geworden. Beispielsweise fördert das «Netzwerk Begabungsförderung» den Austausch bewährter Praktiken. Der Lehrplan 21 betont die Kompetenzorientierung und das eigenverantwortliche Lernen. So können Lernende ihre Stärken gezielter entwickeln. Zudem unterstützt der Lehrplan 21 Lehrpersonen dabei, den Unterricht so zu gestalten, dass er den unterschiedlichen Begabungen und Interessen der Schülerinnen und Schüler gerecht wird. Auch bietet der Lehrplan 21 den Schulen die Möglichkeit, innerhalb vorgegebener Rahmenbedingungen eigenständige Förderkonzepte zu entwickeln.
Wie können Lehrpersonen erkennen, ob ein Kind besonders talentiert ist? Gibt es spezifische Anzeichen oder Indikatoren?
Besonders talentierte Kinder zeigen oft eine schnelle Auffassungsgabe, starke Neugier, hohe Konzentrationsfähigkeit, Kreativität oder Problemlösungsfähigkeiten. Auch Verhaltensweisen wie Langeweile oder Unruhe können auf Unterforderung hinweisen. Da nicht alle hochbegabten Kinder dieselben Merkmale zeigen, ist eine sorgfältige Beobachtung und eine offene, unterstützende Lernatmosphäre entscheidend.
Jeder Mensch hat spezifische Talente – wie gelingt es, dass nicht nur hochbegabte oder Kinder mit Lernschwierigkeiten an Schulen besonders gefördert werden?
Individuelle Talente sollen durch einen ganzheitlichen Bildungsansatz gefördert werden. Differenzierter Unterricht passt Aufgaben, Materialien und Ziele an die Lernbedürfnisse der Schüler an und unterstützt sowohl fachliche als auch persönliche Entwicklung. Projektbasiertes Lernen stärkt fachliche und soziale Kompetenzen, während selbstgesteuertes Lernen Eigenverantwortung, Selbstbewusstsein und Motivation fördert. Kulturelle und künstlerische Angebote wie Musik, Kunst und Theater bieten Raum für kreativen Ausdruck und soziales Lernen. Dieser Ansatz schafft eine Lernkultur, die Vielfalt wertschätzt und allen Kindern Entfaltungsmöglichkeiten bietet.
Die Primarschule Gettnau wurde 2010 für ihr Modell zur Bildung für nachhaltige Entwicklung BNE ausgezeichnet. Das Projekt kombiniert die Förderung von Eigenverantwortung und selbstständigem Arbeiten mit interdisziplinären Projekten zu nachhaltigen Themen. Ziel ist es, Begabungsförderung mit nachhaltigem Denken zu verbinden und langfristige Kompetenzen bei den Schülerinnen und Schülern aufzubauen.
Welche Rolle spielen Talent- und Exzellenzförderung für die individuelle Entwicklung von Kindern sowie für Schulen und Lehrpersonen, und welche Chancen und Herausforderungen sind damit verbunden?
Die frühzeitige Entdeckung und Förderung von Talenten ist zentral für die persönliche und schulische Entwicklung von Kindern. Sie stärkt das Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl, ermöglicht Kindern, ihre Stärken zu erkennen und Herausforderungen zu meistern, und fördert eine positive Einstellung zum Lernen. Eine breite Förderung im frühen Alter hilft, verschiedene Potenziale zu entfalten, Interessen auszuprobieren und vielseitige Erfahrungen zu sammeln, ohne eine zu frühe Spezialisierung oder Überforderung zu riskieren.
2005 wurde die Primarschule Schenkon für ihr Projekt «Step-by-Step» mit dem LISSA-Preis im Wert von 10`000 CHF (1. Preis) ausgezeichnet. Das Projekt setzt auf eine ganzheitliche Förderung auf drei Ebenen: Klasseninterne Freiarbeit, die alle Kinder einbezieht, klassenübergreifende Wahlangebote (Talenteria) sowie spezifische Pull-out-Programme für die begabtesten 15–20 Prozent einer Klasse. Ziel des Projekts ist es, die Vielfalt von Begabungen zu erkennen und gezielt zu fördern.
In einer Welt, die auf herausragende Köpfe angewiesen ist, spielt die Förderung junger Talente eine wichtige Rolle. Welche langfristigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Vorteile sehen Sie in der Förderung begabter Lernender?
Die gezielte Förderung begabter Lernender bringt langfristige Vorteile für Gesellschaft und Wirtschaft. Sie treibt Innovationen voran, stärkt die Wettbewerbsfähigkeit und verbessert das Leben durch neue Technologien und Ideen. Gleichzeitig fördert sie eine vielseitige, kreative Arbeitswelt, die Fachkräftemangel mindert und Zusammenarbeit sowie Vielfalt schätzt. Durch Bildungsgerechtigkeit werden Talente unabhängig von Herkunft erkannt und gefördert, was sowohl Individuen als auch der Gesellschaft zugutekommt.
Preisverleihung «LISSA par excellence» 2024: Am 5. Dezember 2024 in Luzern
Die gezielte Förderung individueller Stärken ermöglicht Schülerinnen und Schülern grosse Fortschritte in Sach-, Selbst- und Sozialkompetenzen. Exzellenzförderung erfordert dabei Kreativität, Offenheit und Mut zur Veränderung.
Das Projekt «LISSA par excellence» unterstützt Schulen und Lehrpersonen, innovative Lernmöglichkeiten zu schaffen und erfolgreiche Ansätze zu teilen. Der LISSA-Preis bietet eine Plattform, Exzellenz sichtbar zu machen und anderen als Vorbild zu dienen.
Am 5. Dezember 2024 werden in Luzern erneut Schulen für herausragende Talentförderung ausgezeichnet. Das Programm beginnt um 16:30 Uhr mit einem Einblick in die Kunstförderung des Kunstmuseums Luzern, gefolgt von der Preisverleihung um 17:30 Uhr nahe des Bahnhofs Luzern. Um Anmeldung wird gebeten.
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