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30 Jahre Kinderrechte: Für starke und mündige Kinder und Jugendliche

Interview: Urs Amstutz

Jährlich am 20. November wird der internationale Tag der Kinderrechte begangen, in diesem Jahr zum dreissigsten Mal.  Thomas Kirchschläger gibt einen Überblick über Entstehung, Umsetzung und Notwenigkeit dieser Rechte und stellt als aktuelles Bildungsangebot für Luzerner Schulen die Lernumgebung LUKIRE vor.

Frage: Thomas Kirchschläger, die Menschenrechte für Kinder, die Kinderrechte, feiern dieses Jahr 30-jähriges Jubiläum. Wie kam es dazu, diese Rechte festzuhalten und sind Kinderrechte heute noch aktuell? 

Thomas Kirchschläger: Kinderrechte sind Menschenrechte. Und weil Kinder und Jugendliche eine besonders schützenswerte Gruppe sind, ist es für die internationale Gemeinschaft sowie für ein demokratisches Land wie die Schweiz unabdingbar geworden, Rechte für alle Kinder festzusetzen und deren Umsetzung nach allen Kräften zu garantieren. Am 20. November 1989 erlangten die Kinderrechte durch die Verabschiedung der Kinderrechtskonvention durch die UNO-Generalversammlung internationale Beachtung und Durchschlagskraft.  

Thomas Kirchschläger, Luzern, PH Luzern, Menscherechtsbildung
Thomas Kirchschläger leitet das Zentrum für Menschenrechtsbildung (ZMRB) an der PH Luzern seit über 10 Jahre


Kinder zu schützen, sie zu fördern und

sie zu beteiligen – das sind die drei Hauptaufgaben

eines jeden Staates.


Ab sofort war es möglich, sich als Kind und Jugendlicher auf das Prinzip zu berufen, Rechtsträgerin und Rechtsträger zu sein. Kinder und Jugendliche waren keine «Objekte» mehr. Ab da galten Kinder als ernstzunehmende «Subjekte», deren Meinungen anzuhören und zu berücksichtigen sind. Ihr Wohl und Interesse sind in allen sie betreffenden Situationen vorrangig zu beachten. Kinder zu schützen, sie zu fördern und sie zu beteiligen – das sind die drei Hauptaufgaben eines jeden Staates.

Illustration Kinderschutz und Kinderrechte gemäss der UNO-Menschenrechtskonvention von 1989
Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen von 1989 formuliert die allgemeinen Menschenrechte aus der spezifischen Perspektive von Kindern. In insgesamt 54 Artikeln werden 41 einzelne Rechte für Kinder formuliert. Illustration: infografik.biz

Alle Kinder haben diese Rechte – ohne Ausnahme! Ihr Leben und ihre Entwicklung muss garantiert sein. Die Kinderrechte stehen den Kindern in ihrem Wesen als Mensch zu. Ich muss als Kind also nichts dafür tun, dass ich Rechtsträger bzw. Rechtsträgerin bin. Sie gelten für mich in meiner «Menschenwürde» bedingungs- und voraussetzungslos. Je mehr Zutrauen und Vertrauen Kindern und Jugendlichen zugesichert werden, desto mehr steigt die Verantwortung und das Bewusstsein dafür, zu mir, zu anderen und meiner Um- und Mitwelt Sorge zu tragen.

 

Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, z.B. in Beruf, Familie, sind gehalten, die Meinung der Kinder und Jugendlichen in ihre Entscheidungen und die entsprechenden Prozesse einzubeziehen und zu berücksichtigen. Ganz nach dem Prinzip «über uns nie ohne uns»!

 

Da Menschen sich oft nicht einfach an «neue» Regelungen für betroffene Gruppen halten, war

es wichtig, Prozesse zu definieren, die Kindern und Jugendlichen bzw. ihren Vertreterinnen und Vertretern ermöglichen, sich bei Verletzung ihrer Rechte zur Wehr setzen zu können.


Kinder an Entscheidungsprozessen beteiligen

nach dem Prinzip  

«Über uns, nie ohne uns»


Neben der Verankerung in rechtlichen Verfahren (z.B. die Kindesanhörung in Kindesschutzverfahren) nennt die UNO-Kinderrechtskonvention Mechanismen, die die Umsetzung der Kinderrechte unterstützen. Im Juli 2019 hat das «Netzwerk Kinderrechte» für das nächste Staatenberichtsverfahren der Schweiz eine Liste zu den Themen und Fragen (Link) zusammengestellt, in der die Schweiz ihre Aufgaben noch nicht sauber gemacht hat.

 

Unter anderem wird gefordert, dass Kindern und Jugendlichen mehr Kinderrechtsbildung zukommen sollte. Auch sollten Kindern und Jugendliche strukturiert in ihrer Lebenswelt und in der Praxis beteiligt werden, sei das in rechtlichen Verfahren, sei dies in der Schule, Zuhause, im kulturellen Bereich sowie in Freizeitaktivitäten.


Kinder und Jugendliche

brauchen mehr Kinderrechtsbildung


Generell wird nach dem staatlichen Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die besonderes vulnerablen Gruppen angehören (z.B. Kindern mit Behinderungen, mit Migrationshintergrund, Kinder auf der Flucht oder mit Eltern ohne Papiere), gefragt: Wird in den entsprechenden Verfahren, die diese Kinder betreffen, immer auf das Wohl der Kinder geachtet?

 

Auf Grund dieser Hinweise ist klar: Nach 30 Jahren haben Kinderrechte noch nichts an ihrer Dynamik und Bedeutung verloren. Auch in der Schweiz nicht. Die Umsetzung der Kinderrechte ist wichtig für ein demokratisches Land. Sie hat enormes Potential um Systeme, die von Erwachsenen erdacht und gelebt werden, positiv für die Kinder und Jugendlichen und für alle zu verändern. Kinderrechte in der Schweiz sind heute noch nötig – und wie!

Wir und unsere Kinder leben im Wohlstand. Ihnen fehlt es an nichts. Das Fazit könnte also lauten: Kinderrechte braucht es in der Schweiz gar nicht! Trotzdem identifiziert der aktuelle Bericht des UN-Kinderrechtsausschusses in der Schweiz diverse Lücken in der Umsetzung der Kinderrechte. Können Sie etwas zu diesen Lücken sagen und wie kann man sich diesen Widerspruch erklären?

Der Widerspruch liegt in der Haltung der Erwachsenen. Anstatt Kinder und Jugendliche echt zu beteiligen und in den sie betreffenden Sachen als partizipierende Menschen wahrzunehmen, erleben Kinder und Jugendliche noch oft, die faktische Behandlung als Objekte, die den Entscheidungsprozessen der Erwachsenen ausgeliefert sind.

 

Der UN-Kinderrechtsausschusses sieht in 108 Bereichen in der Schweiz Handlungsbedarf. Er empfahl im Bericht des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte (SKMR) zusammenfassend in etwa

  • eine nationalen Koordinationsstelle, eine nationale Strategie und eine Monitoringstelle für die Umsetzung der Kinderrechte in der Schweiz einzurichten.
  • die Begriffe «Wohl des Kindes» bzw. «übergeordnetes Interesse» für die Schweiz zu klären und in politischen, gesetzlichen und rechtlichen Prozessen vermehrt anzuwenden.
  • Partizipationsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche in allen Gesellschaftsbereichen zu realisieren und zu stärken und genügend Schulungen für die beteiligten Fachpersonen bereit zu stellen und zu garantieren.

Im Rahmen des 30-Jahre Jubiläums werden im ganzen Kanton verschiedene Aktionen für alle Zyklen der Schule aber auch für Jugendvereinigungen angeboten. Welche Angebote gibt es?

Der Kanton Luzern bietet in Kooperation mit der Stadt Luzern und dem Zentrum für Menschenrechtsbildung der PH Luzern ab Herbst 2019 eine Lernumgebung Kinderrechte - LUKIRE genannt - an. Kinder und Jugendliche sollen anhand von Stationen auf spielerische Weise ihre Rechte mit ihrem Kopf, mit ihrem Herz und mit ihren Händen erleben und erfahren. LUKIRE versucht dabei, den Ansatz des selbstgesteuerten und selbstbestimmten Lernens umzusetzen und möglichst nahe an der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen Inhalte der Kinderrechte bearbeiten und erleben zu lassen.

LUKIRE, die Lernumgebung ‚Kinderrechte‘ ist während des laufenden und wahrscheinlich auch im folgenden Schuljahr unterwegs. Was wird dort angeboten und bewirkt? 

Mit dem Besuch der LUKIRE und den darin vorgesehenen Aktivitäten sollen Kinder und Jugendliche des Kantons Luzern für ihre Rechte sensibilisiert und aktiviert werden. LUKIRE ist Menschenrechtsbildung. Sie bildet das Fundament für eine Kultur der Menschenrechte und der Demokratie. Kinder haben das Recht, über ihre Rechte informiert zu werden, ihre Rechte zu verstehen und dazu Lernerfahrungen zu machen. Denn: Ihre Rechte und die Rechte anderer wahrnehmen und einfordern können Menschen nur, wenn sie um ihre Rechte und die Rechte anderer wissen. 

 

Für Kinder- und Jugendgruppen sowie Schulen bietet sich mit LUKIRE die einmalige Gelegenheit, Kindern und Jugendlichen Kinderrechte und die damit verbundenen Kompetenzen näher zu bringen. Die Lernumgebung ist auf die drei Zyklen des Lehrplan 21 ausgerichtet und beinhaltet pro Zyklus 10-12 Stationen.


Alle Informationen (auch zur Anmeldung) sowie eine Kontaktmöglichkeit mit den Verantwortlichen des Zentrums für Menschenrechtsbildung der PH Luzern finden sich laufend auf der Website der PH Luzern bzw. dem Zentrum für Menschenrechtsbildung ZRMB. Aus organisatorischen Gründen ist eine Anmeldung für LUKIRE notwendig.

 

Für die Stadt Luzern hat das Angebot Mitte Oktober begonnen und ist bereits ausgebucht.

Nächster Standort ist Wauwil im Januar 2020. Im Frühjahr und Frühsommer 2020 ist die Lernumgebung Kinderrechte LUKIRE in Wolhusen und Hitzkirch geplant. Weitere Standorte (z.B. Sursee) sind in Abklärung, interessierte Schulen können sich beim ZMRB melden.

 

Faktenblatt Kinder- und Jugendgruppen

Faktenblatt für Schulem - LUKIRE - Lernumgebung Kinderrechte  Eine interaktive Ausstellung zu den Kinderrechten


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